Es beginnt mit einer Entführung nach gewohntem Krimimuster. In einer Tiefgarage lauern zwei Maskierte einer jungen Frau auf, stülpen ihr einen Sack über den Kopf, werfen sie in einen Transporter. Skrupellos gehen sie vor, ein Mann, der eingreifen will, wird kurzerhand erschossen. Ein Verstoß gegen den Plan, wie sich alsbald zeigen wird. Nicht der einzige Fehler. Denn die junge Frau, die sich bald darauf in einem verfallenen Gebäude wiederfindet, ist nicht Sarah Reibert (Luise von Finckh), auf die es die Verbrecher abgesehen hatten. Sarahs Vater Uwe Reibert (Justus von Dohnányi) ist ein wohlhabender Unternehmer, der ein hohes Lösegeld zahlen soll. Nur hatte Sarah kurzfristig das dänische Au-pair Jette Andersen (Mette Lysdahl) gebeten, ihren kleinen Bruder von der Physiotherapie abzuholen. Die Entführer stehen nun vor der Frage, ob Reibert auch für die junge Hausangestellte zahlen wird.
Die Entführung blieb nicht unbeobachtet, die Einschaltung der Polizei lässt sich nicht vermeiden. Als die Kommissare Otto Garber (Florian Martens) und Linett Wachow (Stefanie Stappenbeck) bei den Reiberts eintreffen, finden sie den Hausherrn bereits bestens vorbereitet. Er hat seine eigenen IT-Experten eine Telefonanlage aufbauen lassen, um die Anrufe der Entführer mitzuschneiden und gegebenenfalls nachverfolgen zu können. Nicht nur bei dieser Gelegenheit versetzt Reiberts Kaltblütigkeit die Ermittler in Erstaunen. Und dann steht die in den Händen ihrer Entführer vermutete Sarah plötzlich in der Tür. Die Verwechslung wird nun auch den Polizisten klar. Und auch ihnen stellt sich die Frage: Wird Uwe Reibert zahlen?
Leo P. Ard alias Jürgen Pomorin, einer der Stammautoren der Reihe „Ein starkes Team“, entwickelt in „Familienbande“ auf Basis eines Standardplots der Kriminalliteratur ein durchtriebenes moralkritisches Drama, in dem unerwartete Allianzen enthüllt und Opfer gar zu Tätern werden. Die Ermittler folgen, das ist nachvollziehbar, ihrer Erfahrung, handeln quasi nach Lehrbuch und haben deshalb lange Zeit das Nachsehen. Eine clever ausgedachte Kriminalhandlung also, die allerdings auch mit so ziemlich jedem anderen Ermittlerteam hätte in Szene gesetzt werden können. Was in letzter Zeit häufiger auf die Drehbücher der Reihe „Ein starkes Team“ zutrifft. Die einstigen Besonderheiten sind nivelliert, selbst der regelmäßige Gastauftritt von Jaecki Schwarz in der Rolle des windigen Geschäftemachers Sputnik – in dieser Episode arbeitet er direkt bei der Polizei und verhökert nebenbei Kleidungsstücke zweifelhafter Herkunft – ist zum lieblosen Pflichtprogramm geronnen.
Kleine Bemerkung am Rande: Mit dem elegischen „Take My Leave Of You“ von Ólafur Arnalds feat. Arnór Dan im Ausklang wurde ein Song aus der mit keiner deutschen Produktion vergleichbaren Serie, der dritten Staffel von „Broadchurch“, übernommen. Mithin eine Second-Hand-Idee. Auch hier also: wenig Originalität.
TV-Spielfilm ist im Urteil freundlicher:
„Mit zwei, drei halbwegs überraschenden Wendungen und geschickt geschlagenen Haken schafft es der Entführungskrimi, Spannungspegel und Interesse so hoch zu halten, dass man dranbleibt, auch wenn aus den angerissenen Konflikten wenig gemacht wird und die Jetzt-wird’s-spannend-Musik so irritiert wie die Lebhafte-Kamera-Sperenzchen.“
Es wäre an der Zeit, die Profile der einzelnen Ermittlerfiguren wieder zu schärfen. Immerhin hat man mit Stefanie Stappenbeck, die 2016 die damals schwer erkrankte und im selben Jahr verstorbene Maja Maranow als Hauptdarstellerin ablöste, eine eher leise, dafür aber ungemein präzise Schauspielerin zur Verfügung. Stappenbeck zeigt ihr Können sogar, wenn sie, wie in dieser Episode, kaum gefordert wird. Oder besser: gerade dann. Ein schneller, vielsagender Blickwechsel mit dem Kollegen Florian Martens, eine winzige Regung, eine situationsgenaue kleine Geste – Stappenbeck versteht sich auf das Verhalten realer Menschen.
Immerhin gewährte Leo P. Ard in dieser Folge einen winzigen Einblick in das Privatleben des immer etwas steifen Ermittlungsleiters Reddemann (Arnfried Lerche). Er hatte vor sechs Jahren eine Liaison mit einer Dänin, nutzt eine berufliche Gelegenheit, sie anzurufen, verhält sich aber ungeschickt und die brüskierte Dame legt umgehend auf. Wie ein Fremdkörper wirkt diese Szene, weil derart Privates, anders als in früheren Zeiten, mittlerweile nur noch ausschnitthaft in die Handlung eingebettet wird. Davon darf es wieder mehr geben, in ausgewogenem Verhältnis zur Kriminalhandlung, sodass deutlich wird, dass die wiederkehrenden Figuren nicht ihr gesamtes Leben in ihrer Dienststelle verbringen. Auch Fernsehkommissare sollten einmal Feierabend haben – nicht erst, wenn der Fall gelöst ist und zum gemeinsamen Bier gerufen wird. (Text-Stand: 6.12.2017)