Nach sechzehn Jahren ist Bärbel Leitner (Jennifer Ulrich) wieder zurück in ihrer Heimat. Gezwungenermaßen. Die populäre Extremkletterin sitzt nach einem Unfall im Rollstuhl – und auch wenn die Heilungschancen nicht schlecht stehen, muss die vitale Mittdreißigerin dennoch mit einer monatelangen Rekonvaleszenzzeit rechnen. Ihr Freund Jörg (Johannes Zirner) scheint diese Zeitreserven nicht zu besitzen und lädt Bärbel deshalb für längere Zeit in ihrem Elternhaus im Allgäu ab. Und die weiß nicht so recht, wie sie sich hier fühlen soll. Alle meinen es so gut mit ihr und geben sich so viel Mühe: Mutter Irene (Michaela May), Vater Hans (Herbert Knaup) und ihre Schwester Moni (Teresa Rizos), die sogar im Elternhaus einen Physio-Raum für die Heimkehrerin eingerichtet hat. Andererseits fühlt sich die junge Frau, die ihr bisheriges Leben stets selbst in die Hand genommen hat, ein bisschen bevormundet. Ihre Ungeduld und Anflüge von Unzufriedenheit werden bald aber charmant zerstreut vom neuen Nachbarn, Pirmin der Ältere (Philipp Hochmair), einem ehemaligen erfolgreichen Künstler, den es nach New York aus gutem Grund nun wieder in seine alte Heimat verschlagen hat. Von diesem Individualisten geht eine wohltuende Kraft aus – und auch mit seinem Sohn Wim (Niklas Nißl), einem Schwarzfahrer aus Überzeugung, der bei ihr seine Sozialstunden abarbeiten darf, versteht sie sich richtig gut. Eine kleine Krise stört zwischenzeitlich allerdings doch noch den „Familienfrieden“, als Bärbel die Hintergründe ihres Unfalls in der Bergwand erfährt und erkennen muss, dass alle – außer ihr – seit langem Bescheid gewusst haben.
Denn das Gute liegt so nah – mit dem 25. Beitrag der „Ein Sommer in“-Reihe zieht es die Macher nicht ins Ausland, sondern zum zweiten Mal in süddeutsche, bergige Gefilde. Ob sich darin das neue, offenbar quer durch die Gesellschaft ziehende „Heimatgefühl“ spiegelt oder ob das zu viel der zeitgeistigen Ehre für diesen kleinen, sympathischen „Herzkino“-Film ist, sei einmal dahingestellt. Auffallend ist auf jeden Fall, dass sich „Ein Sommer im Allgäu“ deutlich einem Image zwischen Tradition und Moderne, Naturpflege und Aufklärung verpflichtet fühlt. Und auch, was die Narration angeht, gehört diese Lobpreisung eines familienidyllischen Biotops (ist es ein Zufall, dass es hier einmal keine Figuren mit Migrationshintergrund gibt?) zu den deutlich angenehmeren Wohlfühlfilmen am Sonntag im ZDF. Das liegt insbesondere am Mut, trotz des Milieus der Extremkletterer im Drehbuch von vornherein auf allzu dramatische Fallhöhen zu verzichten. Selbst der Grund für den Unfall der Heldin ist weniger in seiner universellen Tragik von Belang, sondern wird eher in seiner moralischen Wertigkeit diskutiert: Darf man aus Liebe lügen? Darf man die Unwahrheit sagen, um seinen Liebsten zu schützen? Dass der von Johannes Zirner gespielte Freund der Heldin mit seiner Marketing-Masche auf Dauer nicht der Richtige für sie sein kann, merkt der Unterhaltungsfilm-Kenner spätestens in der zweiten Szene, als sich die Heimkehrerin im Rollstuhl einem überlebensgroßen Plakat, wie sie sexy in der Bergwand hängt, gegenübersehen muss.
Foto: ZDF / Hans-Joachim Pfeiffer
Der Film von Jeanette Wagner („liebeskind“) nach dem Drehbuch von Wolfgang Limmer („Polizeiruf“ bis „Pfarrer Braun“) erzählt vom Umgang mit einem Schicksalsschlag angenehm unaufgeregt. Gezeigt wird, wie sich die Heldin einrichtet in der neuen Situation und wie die an sich starke Frau mehr und mehr die Hilfe der Anderen anzunehmen bereit ist. Dass daraus kein Befindlichkeits- oder Selbstfindungsschmus entsteht, ist auch der vorzüglichen Besetzung bis in die kleinste Nebenrolle zu verdanken. Jennifer Ulrich bedient einmal mehr sehr überzeugend ihr Rollenimage „klein, aber oho“; außerdem ist sie – was sie auch trägt – eine Augenweide; selbst das Dirndl wirkt bei der Berlinerin, die sich allein mit dem Dialekt ein bisschen schwer tut, fesch und alles andere als deplaziert. Ein sicheres Pfund im schweren wie im leichten Fach ist auch Philipp Hochmair. Dem Österreicher kann man seine Rolle als sympathischer Aussteiger vielleicht sogar noch besser abnehmen als der zierlichen Ulrich die Extremkraxlerin. Wenn beide mit leicht ironischen Dialogen verbal die feine Klinge kreuzen, wenn sich diese zwei hinreißenden Lächeln treffen, dann hat diese Wellness-Dramödie ihre emotionale Bestimmung gefunden. Einen weiteren Glaubwürdigkeitsbonus, wie er im ZDF-„Herzkino“ eher eine Seltenheit ist, bekommt der Film durch Michael May und vor allem durch Herbert Knaup, der seine Oberallgäuer Herkunft seit dem Beginn seiner Karriere („Wallers letzter Gang“) bis heute („Kluftingerkrimi“) immer auch ein Stück weit gepflegt hat – und bei dem selbst der Mundart-Laie den perfekten Zungenschlag zu erkennen glaubt.
Vergleicht man den Film mit der in die Jahre gekommenen Sonntagsreihe rund um das oberbayerische fiktive Dorf „Frühling“, mit Simone Thomalla in der Hauptrolle, so zeichnet sich „Ein Sommer im Allgäu“ durch eine weniger standardisierte Bildsprache aus. Die leise Selbstironisierung des Genres, die gelegentlich durch das Drehbuch schimmert (wenn beispielsweise der künftige Bürgermeister und Schwager der Heldin vor lauter Ämterfülle gar keine richtige Willkommensrede zustande bringt), zeigt sich vor allem auch in den Bildern. Die saftigen Wiesen und der blaue Himmel sind nie Selbstzweck, der (Kamera-)Blick nie ein touristischer, sondern es ist der Blick des Einheimischen oder des Rückkehrers, der das, was er hier vorfindet, kennt und zutiefst wertschätzt. Die nachhaltigsten Bilder zeigen das ziellose Verweilen in der Natur. Insbesondere der die Muße genießende Nachbar überantwortet sich gern der Nutzlosigkeit. Ein Lied auf dem Akkordeon, eine Wildblumenwiese, dazu das Summen der Bienen. Das sind die ehrlichsten Momente dieses Films, weil sich hier die Moral des Erzählten und eine sehr sinnliche Bildsprache in schöner, entspannter Harmonie begegnen. Manchmal glaubt man sogar, die Blätter im Wind rauschen zu hören, und irgendwo gackert immer ein Huhn oder muht eine Kuh, wenn sie nicht gerade frech ins Zimmer der Heldin glotzt. Aber es gibt auch ganz andere, stilisierte, Augenblicke: Wenn da auf einmal die Möbel aus ihrer Münchner Wohnung vor dem Hof der Eltern verstreut herumstehen, dann wird die Rat- und Planlosigkeit der jungen Frau auf ein sehr stimmiges Bild gebracht. Schließlich wird auch das wohl austarierte, zarte Happy End höchst sinnlich in die Wege geleitet: Zuerst gibt es Salz auf die Fußsohlen, dann dürfen die Ziegenbocke lecken, plötzlich kitzelt es – und die Heldin kann sich eines Strahlens nicht erwehren. Wenig später sieht man zehn Zehen und vier Köpfe vor blauem Himmel. Und plötzlich liegt das Gute so nah.