Die Volontärin fasst sich ein Herz: „Wie wär’s mal mit einer Geschichte über eine Frau, die von zwei Männern umschwärmt wird?“ Sie hat mit allen möglichen Reaktionen gerechnet, aber nicht mit dem betretenen Schweigen, das nun folgt. Einige Mitglieder der überwiegend weiblich besetzten „Herzkino“-Redaktionskonferenz blättern in ihren Unterlagen, andere finden es plötzlich sehr interessant, sich mit dem Treiben der Kaninchen auf dem Lerchenberg zu beschäftigen. Endlich ergreift die Redaktionsleiterin das Wort. „Um ehrlich zu sein: Wir erzählen solche Geschichten ständig.“ Die junge Kollegin hat jedoch noch ein Ass im Ärmel: „Ja, aber was wäre, wenn die Frau eigentlich gar keine Beziehung will?!“
Die Anekdote ist natürlich fiktiv, was sich schon daran erkennen lässt, dass die meisten Fernsehfilmideen gar nicht in den Redaktionen, sondern bei den Produktionsfirmen entwickelt werden. Außerdem finden die Verantwortlichen der ZDF-Reihen „Rosamunde Pilcher“, „Inga Lindström“ oder „Ein Sommer…“ offenkundig nichts dabei, dem Publikum regelmäßig Filmhandlungen nach Schema F zu präsentieren, solange sich die Zielgruppe daran erfreut. Bei den „Herzkino“-Romanzen ist die Verpackung ohnehin mindestens ebenso wichtig wie der Inhalt, schließlich konkurriert der Sendeplatz nicht mit dem Sonntagskrimi im „Ersten“, sondern mit den zeitgleich ausgestrahlten Ausflugsreportagen im WDR („Wunderschön“): Dort gibt’s am Ende bloß einen Rucksack, im ZDF hingegen die große Liebe. Vor diesem Hintergrund ist die Idee der fiktiven Praktikantin fast schon wieder ungewöhnlich: Nell, die Heldin aus „Ein Sommer am Gardasee“, um die 30, will sich überhaupt nicht verlieben. Sie hat sich nach dem Tod der Eltern um ihre jüngeren Geschwister und den Familienbetrieb gekümmert, jetzt will sie ihre Freiheit genießen; aber natürlich hat das Leben andere Pläne.
Ausgedacht hat sich die Geschichte Sarah Esser, die für das „Herzkino“ originell und unterhaltsam mehrere Märchen adaptiert hat, unter anderem „Die Sterntaler des Glücks“ (2021) und „Schneewittchen am See“ (2020). Die Filme von Stefanie Sycholt, die in den letzten Jahren vor allem für die Reihe „Inga Lindström“ gearbeitet hat, sind in der Regel ebenfalls keine Zeitverschwendung. „Ein Sommer am Gardasee“ mag zwar bis ins Detail vorhersehbar sein, hat aber zwei Trümpfe zu bieten: Die Romanze besteht zu einem gefühlten Drittel aus prachtvollen Aufnahmen von See und Landschaft, denn Nell ist leidenschaftliche Gleitschirmfliegerin und nach Norditalien gekommen, um ihre Fluglehrlizenz zu machen; über weite Strecken könnte der Film auch „Der Gardasee von oben“ heißen. Ein echter Einschaltgrund ist außerdem Pia-Micaela Barucki. Die Berlinerin hat Henning Baum in der RTL-Serie „Der König von Palma“ die Show gestohlen und ist mit ihrer natürlichen Herzlichkeit die perfekte Besetzung für die weibliche Hauptrolle. Die beiden Männer, die um Nells Herz buhlen, können sich gleichfalls sehen lassen.
Auch die Anbahnung der Beziehungen ist geschickt eingefädelt. Auf der Fahrt zum Campingplatz entdeckt Nell eine blinde Passagierin in ihrem Camper: Die 15jährige Viola (Samirah Breuer) war bei einem Musikfestival und möchte nach Hause. Ihr Vater, Simone (Stefano Bernardin), hatte keine Ahnung, wo sich das Mädchen herumgetrieben hat, und bietet Nell in seiner dankbaren Erleichterung an, auf dem Grundstück zu campieren. Weil der Campingplatz geschlossen ist, nimmt sie das Angebot an und wird prompt in die Familie integriert, die ein besonderes Restaurant betreibt: Simone verarbeitet in seiner Küche ausschließlich Erzeugnisse aus der Region. Es ist nicht zu übersehen, dass der geschiedene Mann überaus angetan von der sympathischen Nell und ihrer zupackenden Art ist. Die besseren Karten scheint jedoch Lukas (Joshua Grothe) zu haben. Nell und er kennen sich vom Gleitschirmfliegen, aber Lukas wird ihre Prüfung abnehmen, deshalb lässt sie ihn erst mal abblitzen. Simone hat zudem nicht nur einen Standortvorteil, er verwöhnt sie auch ständig mit Leckereien, und sonntags im ZDF geht Liebe gern durch den Magen.
Soundtrack: Elodie & Marracash („Margarita“), Lions Head („When I Wake Up”), Måneskin („L’altra Dimensione”), Jovanotti („A te”), James Bay („Let It Go”), Boomdabash & Loredana Bertè („Non ti dico no”), Zucchero feat. Frida Sundemo („Cosec he già sai”), Paolo Conte („Un gelato al limon”), Rkomi („Partire d te”)
Der Rest ist allerdings „Herzkino“-Malen nach Zahlen: jede Menge Italo-Pop, eine Romanze auch für den älteren Teil der Zielgruppe (repräsentiert durch Daniela Ziegler als Simones leicht nervige Mutter), nebenbei zudem das mittlerweile obligate homosexuelle Pärchen, diesmal sogar in doppelter Ausführung. Für weitere Diversität sorgt Samirah Breuer, die ihre typische Teenagerrolle sehr lebendig verkörpert und deren Name im Notizbuch der Redaktion hoffentlich mit mindestens einem Ausrufezeichen versehen ist. (Text-Stand: 4.4.2022)