Ein offener Käfig

Oliver Mommsen, Martin Feifel – zwei Brüder: der Biedermann & der Vergewaltiger

Foto: SWR / Martin Furch
Foto Volker Bergmeister

Florierendes Autohaus, neues Glück – alles läuft prima, bis der „missratene“ Bruder auftaucht. „Ein offener Käfig“ ist ein packendes Drama um zwei ungleiche Brüder und die Frage, wie es gelingen kann, einen Sexualstraftäter nach Verbüßen seiner Strafe wieder in Familie und Gesellschaft einzugliedern. Autor Holger Joss beweist psychologisches Feingefühl, verdammt weder Täter, noch verklärt er die Tat. Regisseur Johannes Grieser setzt das hoch emotionale Thema routiniert und sachlich um. Schade, dass vieles vorhersehbar ist in diesem gut besetzten Film um Schuld & Sühne, gesellschaftliche Ächtung & zweite Chance.

Robert Dühring (Oliver Mommsen) führt ein zufriedenes Leben: er leitet ein Autohaus, lebt glücklich mit seiner Freundin Lisa (Anna Schudt) samt deren Teenager-Tochter Hanna. Bis Roberts Halbbruder Georg (Martin Feifel) auftaucht und sich bei ihm einnistet. Nach Verbüßen einer Haftstrafe samt anschließender Sicherungsverwahrung muss er einige Wochen auf einen Therapieplatz warten und fordert, dass Robert ihn vorübergehend aufnimmt. Der hatte Georg, der wegen brutaler Vergewaltigung von drei jungen Frauen verurteilt worden war und 15 Jahre gesessen hat, längst komplett aus seinem Leben gestrichen. Doch nun ist der verhasste Bruder plötzlich da und keinesfalls gewillt, sich zu verstecken. Robert ist von der Situation überfordert. Seine Lebensgefährtin Lisa hat Angst um ihre Tochter, der gesamte Ort gerät in Panik und alle verlangen, dass Georg verschwindet. Doch es ist Roberts Bruder. Und da ist ja auch noch ein Geheimnis aus der Kindheit, das beide verbindet…

Gibt es eine Chance der Vergebung? Kann man Schuld ungeschehen machen? Und wie geht man damit um, dass das Monster gleich nebenan wohnt? Das Drama „Ein offener Käfig“ wirft viele Fragen auf. Und es will keine einfachen Antworten geben. Der Film ergreift nicht Partei, zeigt unterschiedliche Perspektiven – Täter, Bruder, Freunde, aufgebrachte Bürger – und wählt so einen eher sachlichen Blick auf ein hoch emotionales Thema. Die Bilder, die Krimi-Regisseur Johannes Grieser („Tatort“), findet, sind nicht immer originell, vor allem wenn der Mob von der Straße gegen die „Sex-Bestie“ loslegt, wirkt das sehr konventionell und zuweilen auch hölzern. Weit gelungener hingegen, wie flüssig er die Rückblenden in die Handlung einfügt und wie er die latente Bedrohung durch den „Täterbruder“ Georg einfängt.

Ein offener KäfigFoto: SWR / Martin Furch
Kann man diesem Mann (Martin Feifel), der einst drei Frauen vergewaltigt hat, vertrauen? Die Bewohner im Ort sind sich einig.

Holger Joos, der das Drehbuch nach einer Idee von Marco Rossi verfasst und mit Grieser schon bei „In gefährlicher Nähe“ zusammengearbeitet hat, zeigt psychologisches Feingefühl, verdammt weder Täter, noch verklärt er die Tat. Vielmehr lotet er in seinem vielschichtigen Psychodrama die verschiedenen Positionen aller Beteiligter aus. Es geht darum, wie man mit Menschen umgeht, die zwar ihre Strafe verbüßt haben, in den Augen der Mitmenschen aber noch immer „schuldig“ sind oder als mögliche Gefahr wahrgenommen werden. Haben sie eine Chance, wieder in die Gesellschaft integriert zu werden? Joos verhandelt dies anhand einer Brudergeschichte. Er bedient sich dabei eines (in Fernsehfilmen allzu beliebten) Motivs: ein Ereignis aus der Vergangenheit, hier aus der Kindheit von Robert und Georg, beeinflusst das Verhalten in der Gegenwart. Robert hat – und das deutet sich an, wird aber erst spät konkret – als Kind Schuld auf sich geladen, indem er geschwiegen hat, als sein Bruder zu unrecht beschuldigt wurde. Georg ist als Erwachsener, als brutaler Vergewaltiger, zum Schuldigen geworden. So werden die beiden zu einer Art Schicksalsgemeinschaft. Für das Umfeld – ob familiär oder gesellschaftlich – ist nicht nachzuvollziehen, dass Robert Empathie für seinen Bruder entwickelt, obwohl er auch Angst vor ihm hat. Oliver Mommsen spielt diesen brav-biederen Bürger, der in Georg nicht nur das „Monster“ sieht, sondern auch einen in der Kindheit vom tyrannischen Vater gebrochenen Menschen, sehr feinfühlig und nuanciert. Und Martin Feifel ist ein wahrer Spezialist für psychische Grenzgänger, er verleiht diesem Georg, dessen Gewalttätigkeit auch auf Kindheits- und Familienerlebnisse zurückzuführen ist, zwei Gesichter: das eines nur durch Tabletten ruhig zu haltenden Sexualverbrechers und das eines leidenden und Hilfe suchenden Menschen, der eine zweite Chance sucht. Anna Schudt, Cathérine Flemming und Ole Puppe ergänzen das insgesamt gute Ensemble.

„Ein offener Käfig“ bietet schwere Kost, bereitet das Geschehen – und das ist eine Schwäche – etwas zu erwartbar auf, ist aber aufgrund seiner differenzierten Charakterzeichnung und der verschiedenen Perspektiven ein guter Film, der nicht so sehr mit Emotionen spielt, sondern für einen sachlichen Umgang mit einem heiklen gesellschaftlichen Thema plädiert. Am Ende muss jeder für sich entscheiden, wie er selbst in so einer Situation reagieren würde.

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Fernsehfilm

SWR

Mit Oliver Mommsen, Martin Feifel, Anna Schudt, Nicole Mercedes Müller, Ole Puppe, Catherine Flemming

Kamera: Jürgen Carle

Szenenbild: Peter Bausch

Schnitt: Sabine Garscha

Produktionsfirma: Maran Film

Drehbuch: Holger Joos

Regie: Johannes Grieser

Quote: 3,72 Mio. Zuschauer (12,8% MA)

EA: 10.09.2014 20:15 Uhr | ARD

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Kontoinhaber: Rainer Tittelbach