Manchmal aber kann es gewinnbringend sein, wenn man weiß, was sich ein Schöpfer bei seinem Werk gedacht hat. Die Tragikomödie „Ein Geschenk der Götter“ eröffnet das diesjährige „Debüt im Dritten“ des SWR und vermengt auf geschickte Weise die Kunstformen Film und Theater. Hintergrund von Oliver Haffners Drehbuch für seinen zweiten Langfilm nach „Mein Leben im Off“ (2011) war die Überlegung „Wer steht im Rampenlicht der Gesellschaft, wer nicht – und warum ist das so?“ Um dies herauszufinden, lässt er eine Laiengruppe Theater spielen, allerdings nicht ganz freiwillig: Weil der theaterbegeisterten Jobcenter-Sachbearbeiterin (Eva Löbau) kein Computerkurs bewilligt wurde, kommt ihr die arbeitslose Bühnenschauspielerin Anna (Katharina Marie Schubert), die kurz zuvor vom Intendanten des Kleinstadttheaters mit blumigen Worten entlassen worden ist, gerade recht. Kurzerhand wird Anna engagiert, um mit den Seminar-Teilnehmern, lauter vermeintlich schwer vermittelbare Langzeitarbeitslose, einen Schauspielkurs zu veranstalten.
Foto: SWR / Kaspar Kaven
Das mag zunächst absurd klingen, ist aber völlig plausibel, wenn man Haffners Sicht der Dinge kennt, schließlich habe sich die „Lebensrealität zu einer umfassenden Selbstdarstellungsbühne gewandelt, in der Geschäftigkeit, wirtschaftlicher Erfolg, Attraktivität und Gesundheit dafür garantieren, wahrgenommen zu werden.“ Tatsächlich ist ja die Fähigkeit, sich selbst möglichst überzeugend zu verkaufen, unabdingbare Voraussetzung für jedes Bewerbungsgespräch; insofern ist die Idee mit dem Schauspielkurs gar nicht schlecht. Davon abgesehen erinnert Haffners Konstellation an Paul Harathers nachdenkliche Komödie „Blütenträume“, die die ARD kürzlich gezeigt hat. Dort ging es zwar um ein Flirtseminar, aber dessen Teilnehmer sollten gleichfalls lernen, sich von ihrer besten Seite zu zeigen. Auch formal ähneln sich die beiden Filme. Selbst wenn einige der handelnden Personen bei kurzen Zwischenspielen in ihr Privatleben begleitet werden: Der Star ist in beiden Fällen das Ensemble. Gerade für einen Regisseur mit wenig Erfahrung bedeutet das eine besondere Herausforderung; er muss ja nicht nur die Schauspieler führen, sondern immer auch den Blickwinkel der Kamera berücksichtigen. Darüber hinaus entsteht ein derartiges Werk letztlich am Schneidetisch, weshalb Haffner zurecht die Arbeit seiner Cutterin Anja Pohl würdigt.
Aller Anerkennung fürs Handwerk zum Trotz: Aus Sicht des Publikums ist jeder Film nur so gut wie die Geschichte, die er erzählt; und die wiederum lebt von den Figuren. Wichtigstes Identifikationsangebot ist natürlich Anna, denn ein Großteil der Handlung wird aus ihrer Sicht geschildert. Subtil vermittelt Haffner anfangs ein gewisses Unbehagen Annas an ihrer Bühnenarbeit, denn tatsächlich ist das Regieführen ihre eigentliche Berufung; das wird ihr aber erst durch den Kurs klar. Dessen Teilnehmer (bekannte Gesichter: Adam Bousdoukos, Paul Faßnacht, Marion Breckwoldt, Rick Okon) wiederum scheinen den erwartbaren Klischees zu entsprechen, die man in bunt zusammengewürfelten Gruppen antrifft: die eine still, der andere laut; der eine verbittert, die andere verhuscht. Einer hält das Unterfangen grundsätzlich für Unfug; ein anderer auch, aber nur, weil er nicht lesen kann. Dank der Ausflüge ins Privatleben bekommen die Klischees jedoch zunehmend Risse, die im Verlauf der Proben für „Antigone“ von Sophokles mehr und mehr aufbrechen. Gleichzeitig wächst die Solidarität innerhalb der Gruppe, sodass selbst das offizielle Ende des Kurses den Enthusiasmus nicht bremsen kann, und so kommt es schließlich zur vielumjubelten Aufführung des Stücks im Stadttheater.
Foto: SWR / Kaspar Kaven
Natürlich ist „Ein Geschenk der Götter“ dem Titel entsprechend mitunter etwas dick aufgetragen; wirklich sparsam sind allein das stark reduzierte Bühnenbild und die musikalische Untermalung, die aus zwei Klavierstücken aus Franz Schuberts „Moments Musicaux“ besteht. Die Laien entpuppen sich jeder auf seine Weise als Naturtalente, und der Theaterkritiker der regionalen Tageszeitung hätte in seine Rezension der finalen Darbietungen unter Garantie die Floskel vom „nicht enden wollenden Applaus“ einfließen lassen. Aber das ist Teil der Vereinbarung, die Haffner, der vor seinem Studium der Spielfilmregie (HFF München) am Wiener Max-Reinhardt-Seminar Theaterregie gelernt hat, mit seinem Publikum eingeht. Er inszeniert übrigens noch heute regelmäßig am Theater Ulm, an dem weite Teile des Films entstanden sind. Kein Wunder, dass er die Eitelkeiten der Bühnenbranche so gut getroffen hat.
Auszeichnungen:
2014: BR-3-Publikumspreis (Filmfest München)
2014: Förderpreis Neues Deutsches Kino „Beste Produktion“ (Filmfest München)
2014: Goldener Biber, „Bester Spielfilm“ (Biberacher Filmfestspiele)
2014: Nominiert zum Metropolis Regiepreis „Bester Nachwuchsregisseur“
2014: Bayerischer Filmpreis für Katharina Marie Schubert als „Beste Hauptdarstellerin“
2015: Deutschen Filmpreis: Katharina Marie Schubert nominiert als beste Hauptdarstellerin
2015: Deutscher Schauspielerpreis in der Kategorie „Bestes Ensemble“