In einem Nürnberger Taxi prallen Welten aufeinander: Eine junge Frau aus der Türkei mit ihrer kleinen Tochter und der Fahrer, ein grantiger Franke, dem gerade die Frau weggelaufen ist. In dieser komischen Szene zu Beginn werden die beiden Hauptprotagonisten des Films ein- und zusammengeführt, die sechsjährige Hayat und „Mackowiak (gesprochen: Matschkowiak), Hartmut“, wie sich der von Elmar Wepper gespielte Taxifahrer etwas steif vorzustellen pflegt. Hayat, mit ihrer Mutter gerade aus Istanbul gekommen und auf dem Weg zu ihrer Oma, lernt hier die ersten Brocken Deutsch. Und weil ihre Mutter und der Fahrer ein wenig aneinandergeraten, hat sie sich aus dem Wortwechsel einen neuen Begriff gemerkt und sagt freudestrahlend zu Mackowiak: „Merhaba, Nazi.“
Der Clash der Kulturen, gemixt mit melodramatischer Zutat: Ein Kind erweicht das Herz eines verbitterten Alten. „Dreiviertelmond“ verbindet gängige Motive und Genres, spielt wie schon viele zuvor mit multikulturellen Klischees. Aber bevor man darüber ins Mäkeln geraten könnte, dass das doch etwas vorhersehbar und allzu schlau konstruiert sei, hat man den Film bereits ins Herz geschlossen. Weil Wepper den sturen, in seinen Grundfesten erschütterten Spießer so grandios überzeugend als tragikomische Figur gibt. Und weil die kleine Mercan Türkoglu nicht nur niedlich ist, sondern voller Spielfreude. Bemerkenswert, wie ein Mädchen in diesem Alter vor der Kamera derart „professionell“ agieren kann, ohne das Natürlich-Kindliche zu verlieren. Unmöglich jedenfalls, von Hajats Zielstrebigkeit und Zahnlücken-Lächeln sowie von Mackowiaks schmerzhafter „Menschwerdung“ unberührt zu bleiben.
Mackowiaks und Hayats Wege kreuzen sich erneut, als Hayats Großmutter ins Koma fällt und ins Krankenhaus eingeliefert wird. Hayat, auf den Krankenhaus-Fluren vergessen, sieht Mackowiaks Taxi und klettert heimlich hinein. Ihre Mutter ist auf einer Urlaubsreise und nicht erreichbar, ihr Vater unbekannt. Widerwillig beginnt der ältere Mann, sich um das Kind zu kümmern und nimmt es schließlich mit in die eigene Wohnung. Autor und Regisseur Christian Zübert erzählt von dieser Annäherung in vielen schönen, humorvollen Szenen, in denen kleine Gesten eine große Rolle spielen und die Sprach- und Alters-Barrieren langsam überwunden werden. Simpel und filmisch wirkungsvoll: Was Hayat einmal festhält, das lässt sie so schnell nicht los. Parallel dazu erzählt der zweifache Grimme-Preisträger Zübert („Neue Vahr Süd“, „Tatort: Nie wieder frei sein“) von der Lebenskrise des Taxifahrers, dessen Frau sich nach 30 Jahren Ehe von ihm getrennt hat. Der Film besticht durch eine wohlausgewogene Balance aus Komödie und Tragödie, aus einem herzerwärmenden Wohlfühl-Drama und einem guten Schuss Alltags-Realismus, aus Humor und Tiefgang. Sieht man von der manchmal zu üppig aufgetragenen Musik ab, wird kein Zuckerguss über die bewegende Geschichte gekippt. Sterben und Tod etwa werden beiläufig beim Angeln thematisiert. Und wenn Mackowiak Hayats Oma am Krankenbett etwas unbeholfen aus der Zeitung vorliest, sagt dies ebenso viel über seine Einsamkeit wie über seine wiederentdeckte Fähigkeit zum Mitgefühl aus.
Gelungen auch der Schluss, der die Zuschauer mit einem unspektakulären Happy-End und ohne Spur von Kitsch entlässt. Wahrlich ein warmherziger, lebensbejahender, beglückender Film – wie ihn die Kritik bereits zur Kino-Premiere im Oktober 2011 gefeiert hat. Zübert erhielt für sein Drehbuch den Bayerischen Fernsehpreis, außerdem war „Dreiviertelmond“ 2012 für den Deutschen Filmpreis nominiert. Teilweise wurde allerdings moniert, der Film sei ja nur Fernsehen und werde den besonderen visuellen Anforderungen der großen Kino-Leinwand nicht gerecht. Stimmt schon, dass die Nürnberger Stadtansichten hier auch einem typischen Fernsehkrimi entstammen könnten. Statt überwältigender Optik überzeugt die Bildsprache eher durch Sorgfalt im Umgang mit den Figuren, außerdem lässt der Film in einigen Bildstrecken immer mal wieder Raum für Stimmungen und Atmosphäre. Dann machen auch die treffsicheren Dialoge im fränkisch-türkischen Kauderwelsch Pause. Wenn das „nur“ Fernsehen sein soll, darf sich mancher Kinofilm daran gern ein Beispiel nehmen.