Wenn man in einem Krimi nach wenigen Minuten nicht nur ahnt, sondern sicher weiß, wer der Mörder ist, büßt der Film zwangsläufig an Spannung ein; es sei denn, die Preisgabe der Identität geschah mit voller Absicht. Nun sind die Adaptionen der Romane von Dora Heldt natürlich keine Krimis. Wie in allen „Herzkino“-Werken des ZDF geht es letztlich immer nur um das Eine: die große Lebensliebe. Trotzdem trägt „Wind aus West mit starken Böen“ kriminalistische Züge, zumal die Arbeit der weiblichen Hauptfigur der eines Kommissars nicht unähnlich ist: Katharina Johanson (Ann-Kathrin Kramer) ist Rechercheurin und sammelt im Auftrag eines großen Verlags Material, das die Autoren in ihren Büchern verwenden. Ihr jüngster Job führt sie nach Sylt, wo sie für den Bestsellerschreiber Bastian de Jong (Sky Du Mont) der Liebesbeziehung eines bekannten verstorbenen Malers nachspüren soll.
Das ist als Hintergrund schon mal nicht uninteressant: Offenbar gab (oder gibt) es auf Sylt eine Frau, deren Liebe so groß war, dass sie sich zwei Jahrzehnte lang mit wenigen gemeinsamen Sommermonaten begnügte. Sie stand dem Künstler immer wieder Modell, doch er hat sie stets so gemalt, dass ihr Gesicht verborgen blieb. Diese Liaison ist jedoch nur die eine Seite der Geschichte, und sie verliert prompt an Reiz, weil Regisseur Dirk Regel („Ein Sommer in Barcelona“) ein Inszenierungsfehler unterläuft und daher früh klar ist, wer sich hinter der geheimnisvollen Muse verbirgt. Aber die andere Seite ist ohnehin entscheidender. Auch sie erzählt von einer Beziehung, die ebenfalls lange zurück liegt. Damals hat Katharina Sylt Hals über Kopf verlassen, weil ihre große Liebe Hannes (Hannes Jaenicke) eine andere geheiratet hat. Deshalb kehrt sie nun mit gemischten Gefühlen auf die Insel zurück, wo Hannes prompt rein zufällig im selben Hotel abgestiegen ist wie de Jong.
Zumindest die zweite Ebene der Geschichte ist als Handlungsmuster aus vielen Freitags- und Sonntagsfilmen sattsam bekannt: Eine nicht mehr ganz junge Frau kehrt in ihre alte Heimat zurück und läuft jenem Mann über den Weg, dem einst ihr Herz gehörte; und weil die Trennung damals auf einem Missverständnis basierte, ist der Weg fürs späte Happy End offen. Katharina und Hannes ergeht es nicht anders: Erst giften sie sich eine Weile an, dann landen sie im Bett. Am nächsten Morgen jedoch hält sie zu seiner großen Verblüffung die Gelegenheit für günstig, um dieses Kapitel ein für alle Mal zu beenden.
Diese überraschende Wendung ist sogar plausibel, denn Dora Heldts Hauptfigur ist eine spezielle Frau: Katharinas ausgeprägtester Wesenszug ist ihr Hang zum Perfektionismus. Das Drehbuch (Carolin Hecht, Sabine Glöckner) verdeutlicht das zu Beginn mit einer Vielzahl hübsch ausgedachter kleiner Momente. Sehr beredt in dieser Hinsicht ist auch eine Strandszene, als Katharina nach der Nacht mit Hannes voller Lebensfreude über den Sand tanzt, bis sie schließlich erschrocken über so viel unkontrollierte Ausgelassenheit innehält. Am anschaulichsten wird die Neurose aber im Vergleich zur nach wie vor auf Sylt lebenden jüngeren Schwester (Rhea Harder), denn die völlig verschuldete Inken ist als Chaos auf zwei Beinen das genaue Gegenteil. Auch dafür gibt es zu Beginn diverse originelle Belege. Am Ende wird Katharina gestehen, dass sie Inken im Grunde ihres Herzens beneidet, weil die jüngere so leicht auf den Wogen des Lebens dahin gleitet. Bloß die Schulden trüben das idyllische Bild, und als Inken einer mit ungeöffneten Umschlägen überfüllten Schublade einen weiteren Brief hinzufügt, ist sonnenklar, dass ihre Schwester auf der Suche nach irgendetwas auch einen Blick in die Schublade werfen wird. Ungleich beiläufiger inszeniert Regel einige komische Momente, etwa die trockenen Kommentare der beiden wortkargen Brüder Knud und Piet, die sich auf ihrer Schaukel durch nichts aus der Ruhe bringen lassen, oder die Verblüffung im Gesicht des Rezeptionisten, als Katharina Hannes im Hotel eine faustdicke Lüge auftischt.
Die Darsteller passen ohnehin gut zu ihren Rollen, wenn auch Hannes Jaenicke als Schauspieler, der nicht zuletzt von seiner physischen Präsenz lebt, ein bisschen wenig Spiel-Material bekommt; in Carolin Hechts Drehbüchern für die Sat-1-Filmreihe „Allein unter…“ hat er deutlich mehr zu tun. Sky Du Mont verkörpert so gesehen eine etwas dankbarere Figur: Frauenbuchautor de Jong will noch mal einen großen und vor allem ehrlichen Roman schreiben, womöglich seinen letzten; was er damit meint, verdeutlicht der Film mit vergleichsweise subtil inszenierten kleinen Aussetzern. Sehr schön ist auch die Rolle von Lisa Kreuzer als frühere Lehrerin von Katharina und Hannes. Die von ihren ehemaligen Schülern respektvoll als „Doktor Martha“ titulierte ältere Dame leitet seit ihrer Pensionierung ein kleines Museum, das jenem Maler gewidmet ist, dessen Liebesleben Katharina erforscht. Selbstredend sehenswert ist auch das vorwinterliche Sylt, zumal Kameramann Peter Ziesche neben den üblichen Aufnahmen von Sonne, Sand und Meer auch einige erlesen schöne Schmuckbilder von Leuchttürmen vor wechselndem Himmelshintergrund gelungen sind.