Das Venedig, in dem Donna Leon ihren Commissario Brunetti ermitteln lässt, hat nicht viel mit den weltberühmten Touristenklischees zu tun. Der Ermittler trinkt zwar mal einen Espresso auf dem Markusplatz, und gelegentlich sieht man auch die Rialto-Brücke, aber der Reiz der Geschichten wie auch ihrer Verfilmungen liegt nicht zuletzt im Kontrast zwischen den bekannten Bildern, die man im Kopf hat, und den düsteren Schauplätzen, an denen die Autorin die Handlung gern ansiedelt. „Venezianische Scharade“ zum Beispiel spielt zu großen Teilen überhaupt nicht im eigentlichen Venedig, sondern im Ortsteil Mestre. Hier wird im Müll vor einem Schlachthof eine vermeintliche Frauenleiche gefunden, die sich aber als Mann im Kleid entpuppt. Und nicht nur das: Zu Lebzeiten war das Mordopfer Leiter eines renommierten Bankhauses. Während die Witwe Stein und Bein schwört, dass ihr Mann keinerlei ungewöhnliche sexuelle Neigungen hatte, berichtet sein Stellvertreter (Michael Greiling), der Chef habe ihm sein Herz ausgeschüttet und diverse Details aus dem Doppellleben erzählt.
Brunetti (Król) kommt das alles komisch vor, zumal der Tote in der Transvestiten-Szene unbekannt ist. Als dann auch noch eine „Lega della Moralita“ ins Spiel kommt, wird die Sache interessant. Präsident dieses konservativen gemeinnützigen Vereins zur Erhaltung christlicher Tugenden, der billigen Wohnraum an Bedürftige vermietet, ist ein angesehener Anwalt (Michael Gwisdek), der dem Commissario ebenso unsympathisch wie verdächtig ist.
„Venezianische Scharade“ (2000) war seinerzeit die zweite Donna-Leon-Adaption der ARD. Der Film zeichnet sich unter anderem durch eine melancholische Grundstimmung aus, die unter anderem aus der Bildgestaltung resultiert: Viele Szenen spielen nachts oder im Zwielicht. Auch die Gesichter liegen bei den Dialogen oft im Halbschatten. Mitunter hat man den Eindruck, die Schauspieler hätten sich nicht an ihre Markierung gehalten und seien aus dem Licht getreten. „Venezianische Scharade” war der zweite & letzte Film des Gespanns Christian von Castelberg (Regie) und Reinhard Schatzmann (Kamera), anschließend übernahmen Sigi Rothemund und Dragan Rogulj, die bis heute alle weiteren „Donna Leons“ gedreht haben.
Zum düsteren Gesamteindruck passt auch der weitgehende Verzicht auf typische Venedig-Aufnahmen. Ein Sonnenuntergang ist praktisch der einzige Tribut ans Fernweh-TV; wie zum Ausgleich gibt es auch einen Panoramablick über Industrieanlagen. Erst kurz vor Schluss zeigt Castelberg die obligate Bootstour mit Brunetti und dem treuen Vianello. Kanalszenen sind ohnehin die Ausnahme; die Fahrten nach Mestre, das auf dem Festland liegt, erledigt Brunetti mit Bahn, Bus und PKW. Dabei kommt es zu einem tragischen Vorfall: Als ein Wagen das von Vianello gesteuerte Polizeiauto rammt, stirbt die eifrige Kollegin Maria, was der Geschichte eine zusätzliche tragische Note gibt; die Trauer der Ermittler trübt die Stimmung noch stärker. Quasi zum Ausgleich wird es auch auf Seiten der Verbrecher noch einige Opfer geben.
Natürlich ist früh klar, dass die Männer mit dem besten Renommee auch die größten Schurken sind, das zieht sich durch nahezu alle Romane Donna Leons; aber abgesehen vom Anfangsmord bleibt es lange offen, welche Art von Verbrechen die Honoratioren begangen haben. Die Geschichte ist also interessant, die Umsetzung dagegen eher beschaulich. Als Brunetti gegen Ende mit Blaulicht durch die Kanäle braust, wirkt das wie eine Spazierfahrt. Interessant auch, dass der vergleichsweise schlanke und gut gebräunte Król hier nicht zuletzt aufgrund seiner Kleidung deutlich „italienischer“ wirkt als in den zwei Jahre später gedrehten Filmen, mit denen er sich aus Venedig verabschiedete. (Text-Stand: 15.7.2015)