Die zwölfjährige Lea Borchardt lebt mit ihrem Vater in der Einsamkeit eines der letzten Vogelparadiese Deutschlands. Der leidenschaftliche Naturschützer ist als Tierfreund und Menschenhasser verschrien. Für das vorpubertierende Mädchen ist es nicht leicht, ihren Weg zu finden. Als Vater und Tochter beim Beobachten der einfliegenden Kraniche ein ausgesetztes Neugeborenes entdecken und vor dem Erfrierungstod retten, kommen bei Lea schmerzhafte Gefühle auf. Auch ihre Mutter hat sich kurz nach ihrer Geburt aus dem Staub gemacht. Dass die Wahrheit sehr viel komplizierter ist und sich menschliches Handeln nicht immer in „gut“ und „schlecht“ einteilen lässt – diese Lektion lernt Lea im Laufe der nächsten Tage. Sie sorgt sich um das Baby, aber sie zeigt auch Interesse an der jungen Mutter.
Wenn der MDR mit dem ORF – dann wird meist die Kitsch-Schublade geöffnet. „Die Zeit der Kraniche“ ist die Ausnahme von der Regel. Zwar ist die Moral einfach gehalten, doch das ist für diesen Film die passende Gangart. Drehbuchautorin Silke Zertz („Woche für Woche“) hat die Geschichte ganz auf ihre kleine Heldin zugeschnitten. Der Film bleibt bei seinem Thema, ist konzentriert erzählt mit melodramatischen Ausflügen, die durchaus Sinn machen. Auch Regisseur Josh Broecker („Scheidung für Fortgeschrittene“) hält die kindliche Perspektive in den Bildern durch. Die Geschichte ist visuell gut aufgelöst, der Film modern geschnitten und die Musik hält sich angenehm mit künstlichen Emotionalisierungseffekten zurück.
„Die Zeit der Kraniche“ bewegt, muss Zuschauern, die selber Kinder haben, ans Herz gehen in seiner naiven Wahrhaftigkeit. Alle Schauspieler agieren mit angenehmem Understatement, erdig trocken, im Gegensatz zu den Drehorten an der Unteren Havelniederung, dem größten Binnenfeuchtgebiet Mitteleuropas. Bernhard Schir überzeugt als allein erziehender Vater, der seinem Kind stets zu viel abverlangt hat. Alice Dwyer als verzweifelte Mutter, gewohnt ausdrucksstark, kommt mit wenig Dialog aus, und Manfred Zapatka gibt dem Dorfpolizisten etwas angenehm Sprödes. Doch das Gesicht und die Seele des Films ist die zwölfjährige Stella Kunkat („Anonyma“). Sie meistert ihre vielschichtige Rolle mit derselben Zurückhaltung wie ihre erwachsenen Kollegen. Von ihr wird man noch viel hören und viel Gutes sehen.