Vor der Kulisse eines ungewohnt düsteren Bodensees ereignet sich eine mysteriöse Mordserie. Haben übermutige Forscher tatsächlich keltische Gottheiten aus ihrem verdienten Jahrhundertschlaf erweckt, die ihren Zorn über die impertinente Störung nun an unschuldigen Opfern auslassen? Die ZDF/ORF-Koproduktion „Die Toten vom Bodensee“ schlägt – wenn auch nur leise – übersinnliche Töne an und versucht sich darin, inspiriert von amerikanischen Vorbildern, einen Mystery-Krimi zu erzählen. Statt des schon sprichwörtlichen Indianer-Friedhofs, der freilich in keinem der an den Bodensee grenzenden Länder vorzufinden ist, kreisen die Theorien hier um eine keltische Grabstätte und den Fund kultischer Masken.
Es beginnt düster. Unheilvolle Musik begleitet einen Fischer, als dieser im Morgengrauen zu seinem Boot hinausfährt. Obwohl (oder gerade weil) die dichte Atmosphäre Unheil erahnen lässt, ist diese mit Soundeffekten unterlegte, schnell und abwechslungsreich geschnittene Sequenz ein überaus packendes Intro für diesen typischen ZDF-Montagskrimi. Die verzerrte Fratze einer keltischen Maske, Explosion, Feuer, der Tod des Fischers… Kommissar Micha Oberländer (Koeberlin) nimmt die Ermittlungen auf. Am Tatort trifft er auf die österreichische Kollegin Hannah Zeiler (von Waldstätten), die im Fall eines Museumseinbruchs ermittelt und die keltische Maske als Teil des Diebesguts identifiziert. Da die Spuren des Verbrechens die Grenze zwischen Deutschland und Österreich überschreiten, muss sich Oberländer schließlich widerwillig mit der starrköpfigen und kaltschnäuzigen Kollegin zusammentun, um dem Mörder auf die Schliche zu kommen. Oder handelt es sich doch um einen Fluch?
Foto: ZDF / Hubert Mican
Leider gelingt es Regisseur Andreas Linke nicht, die mysteriöse Stimmung der ersten Filmminuten aufrechtzuerhalten. Die Hinweise auf ein vermeintliches Erzürnen der Götter sind zu punktuell, um den Zuschauer tatsächlich auf diese Fährte zu locken. Die Einwirkung übersinnlicher Mächte ist innerhalb dieses Krimi-Konzepts keine reale Option, auch wenn sogar Hannah Zeiler kurzzeitig dem Glauben daran verfällt. Auch die wirkungsvolle Inszenierung des ersten Mordes bleibt ein isoliertes Highlight. Zwar wiederholt sich die Arbeit mit Handkamera, schneller Montage und knalligem Score, um weitere Schreckmomente zu kreieren, doch bleiben auch diese als Fremdkörper in der ansonsten recht klassischen TV-Krimi-Inszenierung bestehen. Linke verschenkt hier das Potenzial des Konzepts, sich von anderen Mordermittlungsplots abzugrenzen und über das Mystery-Thema hinaus auch eine eigene Bildsprache zu finden. Wenn die Masken und die damit verknüpften Geschichten keltischer Opferriten aber zu schnell als Aberglauben entlarvt werden, wird auch umgehend ihre platte Deko-Funktion offenbar. Sie sollen der Kriminalhandlung lediglich ein wenig Pfiff verleihen, ohne tatsächlich Einfluss auf das Konzept als Ganzes zu nehmen.
Über diese Mystery-Show lässt sich indes in Anbetracht der im Rahmen des engen Genre-Konzepts recht gelungenen Dramaturgie einigermaßen hinwegsehen. Das Drehbuch von Thorsten Wettcke spinnt ein komplexes Netz aus verschiedenen Figuren und lenkt den Verdacht gekonnt von einer zur anderen. Vater, Bruder, Schwägerin und Lebensgefährtin des ersten Mordopfers bilden den kleinen Kreis der Verdächtigen, der sukzessive erweitert wird und auch vor den Rängen der Polizei nicht halt macht. Mit gekonnt platzierten Enthüllungen und Twists gelingt es Wettcke, die Spannung bis zum Schluss aufrechtzuerhalten.
Foto: ZDF / Hubert Mican
Als Achillessehne des Films erweist sich ausgerechnet Arthaus-Actrice Nora von Waldstätten, deren versteinertes Gesicht hier zuweilen an die humanoiden Roboter aus der Serie „Echte Menschen“ (Arte) erinnert. Ihre extreme Gefühlskälte und Misanthropie wirkt übertrieben, wobei diese Charakterisierung wohl nicht allein der Schauspielerin zur Last gelegt werden darf. Auch Wettke schießt mit seiner allzu krassen Gegenüberstellung des perfekten Familienvaters Oberländer und der emotional unterkühlten Alleinkämpferin Zeiler über das Ziel hinaus. Die Konstruktion des tradierten „ungleichen Ermittler-Duos“ tritt als solche besonders stark zutage, wenn eine Parallelmontage das Familienglück Oberländers mit Bildern Zeilers verknüpft, in denen die einsame Wölfin bei kalter Pizza und Bier die Nacht in ihrem Büro verbringt. Da hilft es auch nichts, dass Wettke der armen Frau auch noch ein Kindheitstrauma andichtet, das sie trotz ihres taffen Auftretens schließlich in eine Opferposition befördert.
Zum Glück gibt es neben Hannah Zeiler noch viele weitere, interessantere Figuren, die weit weniger konstruiert erscheinen und die Sympathien oder auch Verdächtigungen des Zuschauers auf sich ziehen können. Und so ist die „Die Toten vom Bodensee“ trotz allem ein recht unterhaltsamer, gut erzählter Whodunit, dem vornehmlich anzulasten ist, dass er dem Publikum sein verschenktes Potenzial zu stark vor Augen führt. Die Andeutungen einer Mystery-Komponente lässt zu sehr daran denken, was „Die Toten vom Bodensee“ alles hätte sein können, wenn der Film die Freiheit besäße, aus dem ZDF-typischen 08/15-Krimikorsett auszubrechen und neue Wege zu beschreiten. Es hätte ja keinen Indianer-Friedhof gebraucht, um eine Atmosphäre von Grusel und Mystik zu erschaffen. Die keltischen Masken und düsteren Untiefen des Bodensees waren ein guter Anfang!

