Die reichen Leichen. Ein Starnbergkrimi

Giebel, Hellenthal, Stetter, Graf. Weißblaue Mythen – poetisch durchgeknallt

Foto: BR / Julia von Vietinghoff
Foto Rainer Tittelbach

Der Kini (= Ludwig II.) wurde ermordet und die Sisi entführt. „Die reichen Leichen. Ein Starnbergkrimi“ ist keiner jener Gaudi-Krimis, die auf der Grundlage von bayerischer Lebensart und deftigem Humor Mord zur schönsten Nebensache der Provinz machen. Dafür gibt es abgedrehte Geschichten, Auswüchse historischer Heimatkunde & Momente, die regionale Poesie verströmen. Heimat, das entspringt in diesem Film mehr der Mentalität der Menschen, weniger dem bayerischen Stereotypen-Kabinett. Anders als in seinen Stadt-Krimis setzt Dominik Graf statt auf wilde Montagen verstärkt auf die Raum-Komponente. Die (königliche) Geschichte, die Magie von Landschaft & See geben den Rhythmus vor.

Die Ludisten, die Königstreuen, gehen um am Starnberger See. Einen ganz depperten hat es jetzt erwischt. Er sieht nicht nur aus und ist nicht nur gekleidet wie Ludwig II., er scheint auch genauso gelebt zu haben: „Stark kariöses Gebiss, heftige Adipositas“, stellt die Rechtsmedizinerin fest. Sein Ende fand er, dem großen Vorbild gleich, selbstredend im See. Immer wieder ertränken sich Ludwig-Fans. Also Selbstmord? Mord? Oder ein Unglücksfall? Ähnlich wie beim Tod des Märchenkönigs muss eine zweite Person mit dem Wiedergänger am Ufer gerangelt haben. Für Polizeichef Lu Reinhold, die soeben aus Dortmund zugereiste Polizeimeisteranwärterin Ariane Fink und den Ludwig-Kenner, Kommissar Timo Senst, gerät diese kuriose Leiche jedoch bald in den Hintergrund, denn „die Sisi ist entführt worden!“ In Starnberg kennt jeder jeden – und diese junge Frau, Spross eines alteingesessenen Industrieadels, ist der Liebling aller. Da Geld für deren Mutter, die geschäftsmännische Rita Weilinger, keine Rolle spielt, sollte die Entführungssache eigentlich schnell vom Tisch sein.

Die reichen Leichen. Ein StarnbergkrimiFoto: BR / Julia von Vietinghoff
Schön hässlich. Reich ja – aber Geschmack?! Florian Stetter & Ulrike C. Tscharre

Einen ziemlich abgedrehten Fall hat sich da Autor Sathyan Ramesh für „Die reichen Leichen. Ein Starnbergkrimi“ ausgedacht. Weißblaue Mythen, oberbayerische Klischees und ein paar Motive aus der realen Geschichte des Kreis Starnberg wie das verkehrstechnische Chaos mit Staus und Todesrasern fließen in die Story ein. Die Stereotypen werden benannt, mal belächelt, mal umgewertet – aber nie als Ursprung für die üblichen Bayern-Witze missbraucht. Ein kluger Schachzug des Halbinders Ramesh: Er macht die Frau aus dem Westen der Republik zur gefühlten Hauptfigur. Ähnlich wie einst der Preuße Hanns von Meuffels im Münchner „Polizeiruf 110“ kommt hier jemand ins oberbayerische Biotop, dem diese Lebensart und diese Auswüchse historischer Heimatkunde fremd sind. Aber jene Ariane ist jung, versteht schnell und wundert sich nicht lange. Dafür bleibt ihr auch keine Zeit – am Ende muss sie sogar heftig um ihr Leben kämpfen. Auch dramaturgisch gibt es nichts vom altbekannten Neig’schmeckten-Firlefanz. In Starnberg ist man lieb zueinander. „Eine flache Hierarchie“, verspricht der Lu. Angenehm grundentspannt gibt der Inspektionschef die Stimmung auf dem Revier – und Andreas Giebel die Tonlage des Spiels vor. Heimat, das entspringt in diesem Film mehr der Mentalität der Menschen, dem Lebensrhythmus, einem archaischen Traditionsbewusstsein – bayerische Versatzstücke und Rituale wie Weißwurst, Bier(garten) und Lederhosen werden einmal nicht mobilisiert. Starnberg ist halt anders.

Dominik Graf, der Polizeifilm & das lokale Ambiente:
„Jeder Polizeifilm ist per se schon zwangsläufig ein Heimatkrimi, egal ob er in Berlin spielt oder in Bayern, ob ‚Tatort’ oder Kinofilm.
Wenn der Film irgendwas taugen soll, dann muss er möglichst viel Ort, viel Topographie, viele Unverkennbarkeiten und seine Figuren möglichst häufig im Dialekt erzählen. Der Polizeifilm hohnlacht damit sozusagen allen globalisierten Strukturen ins Gesicht, weil jeder Polizist und Kommissar ja weiß, dass kein Krimifall unabhängig von den Orten zu sehen ist, an denen er geschieht.“

Die reichen Leichen. Ein StarnbergkrimiFoto: BR / Julia von Vietinghoff
„Der Fall hat keinen Rhythmus“, findet Polizeichef Lu. Mit Geld scheint sich in Starnberg alles regeln zu lassen. Hannes Jaenicke, Alicia von Rittberg, Ulrike C. Tscharre

Und dann ist da ja noch Dominik Graf, der stets großen Wert darauf legt, den Schauplätzen seiner Filme Gesichter zu geben und den „Geist“ eines Ortes zu erspüren. Für Starnberg und Umgebung heißt das: einen magischen See atmosphärisch ins Bild zu rücken und – trotz einiger pittoresker Villen, auf die im Vorbeirauschen aus dem Auto der Ermittler der Blick fällt – eine ästhetisch wenig reizvoll anmutende Stadt zu zeigen. Im Gegensatz beispielsweise zu Grafs München-Filmen besitzt „Die reichen Leichen“ eine stärkere Raum-Komposition und verzichtet auf die oft hektischen, von der Informationsflut der Großstadt geprägten Montagen. Auch der in einigen von Grafs Krimis so präsente Polizeifunk ist hier nur ein Mal kurz und leise zu hören. Die Landschaft, der See und die (königliche) Geschichte geben den entsprechenden Rhythmus vor. Und dann schlagen die Ludisten als eine Art Ku-Klux-Klan der Königsjünger noch einmal zu. Schwanenangriff statt Schwanengesang. Und Florian Stetters Hauptkommissar bekommt noch eine Abreibung, die leicht hätte tödlich ausgehen können.

Dieser „Starnbergkrimi“ ist der siebte Heimatkrimi des BR. Es ist keiner jener Gaudi-Krimis, die auf der Grundlage von bayerischer Lebensart und deftigem Humor Mord zur schönsten Nebensache der Provinz machen. Dafür gibt es Momente, die regionale Poesie verströmen, und Charaktere wie Eisi Gulp als beseelter Ludwig-Forscher oder Martin Feifel als durchgeknallter Wiedergänger Ludwigs II., der als wahnwitzige Ikone durch die Rückblenden geistert. Andreas Giebel ist wie gewohnt ein Pfund im bayerischen Mikrokosmos, Florian Stetter als schwuler Schöngeist, der den Genitiv liebt, ein wunderbares Pedant und die Graf-Entdeckung Annina Hellenthal macht sich gut zwischen Ludisten, kleinen Philosophen und gar nicht so reichen Leichen. Ihnen allen legt Autor Sathyan Ramesh Texte in den Mund, die „sachdienlich“ und zugleich skurril sind, die mal etwas Sentenzenhaftes („Wer umkippt und ersauft braucht koa Kugel mehr“) in sich tragen und doch nie künstlich & überpointiert wirken. So wie der ganze Film so gar nichts Lautes an sich hat. (Text-Stand: 21.9.2014)

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Reihe

BR

Mit Andreas Giebel, Annina Hellenthal, Florian Stetter, Hannes Jaenicke, Ulrike C. Tscharre, Alicia von Rittberg, Eisi Gulp, Martin Feifel, Saskia Vester, Beatrice Richter, Franz Pätzold

Kamera: Hanno Lentz

Szenenbild: Gabi Pohl

Schnitt: Claudia Wolscht

Produktionsfirma: Hager Moss Film

Drehbuch: Sathyan Ramesh

Regie: Dominik Graf

EA: 18.10.2014 20:15 Uhr | BR

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