Schon wieder eine Frauenleiche in Nordfriesland. Das Tötungsmuster gleicht den beiden Morden des rechtskräftig verurteilten Rudi Butcher (Nicholas Ofczarek). Der aber sitzt in Isolationshaft. Die BKA-Profilerin Gloria Acheampong (Thelma Buabeng), die als Sonderermittlerin den Fall leitet, geht zunächst davon aus, dass ein Trittbrettfahrer am Werk ist, sie kann aber nicht völlig ausschließen, dass Butcher unschuldig ist. Dann gäbe es drei ungeklärte Morde. Wie sich in der Gerichtsmedizin herausstellt, ist allerdings das letzte Opfer, eine ghanaische Prostituierte, nicht vergewaltigt worden. Als möglicher Täter in Frage kommt ihr Arbeitgeber (Aurel Manthei); offenbar wollte die Ermordete aus dem Milieu aussteigen. Zuletzt mit der Toten gesehen wurden Kevin (Enno Trebs), der Sohn des Bürgermeisters (Michael Lott), und sein Kumpel Idrissa (Farba Dieng). Einer der drei landet alsbald im Krankenhaus, die beiden anderen in U-Haft. Polizeiobermeister Pieper Olsen (Artjom Gilz) hat alle Hände voll zu tun. Schließlich muss er auch Butchers leichtsinnigen Bruder (Thomas Schubert) davon abhalten, nicht selbst auf Verbrecherjagd zu gehen. Acheampong versucht derweil, mehr aus Butcher herauszukriegen und die Zeugin in dessen Revisionsprozess (Jane Chirwa) zu überzeugen, Polizeischutz in Anspruch zu nehmen. Beides ohne Erfolg.
Schwarze Ermittlerinnen gab es noch nicht häufig im deutschen Prime-Time-Fernsehen. Im „Tatort“ wurde unlängst das interessante Intermezzo von Florence Kasumba neben Maria Furtwängler beendet. Jetzt darf es Thelma Buabeng im ZDF als Chefermittlerin versuchen – und sie macht ihre Sache gut: so klar und aufgeräumt die Figur, so konzentriert ihr Spiel. Gloria Acheampong ist Stanford-Absolventin, eine Koryphäe in Sachen operative Fallanalyse. Die Kompetenz können ihr die Provinzler also nicht abstreiten. Bleibt die Hautfarbe. „Die kleine Nutte ist schwarz, Kevin ist weiß, und sie sind schwarz“, so die Logik des Bürgermeisters, der sich um seinen Sohn sorgt. Schön, dass nicht Acheampong, sondern der ortansässige Beamte den Mann in die Schranken weist. Anfangs versucht Olsen noch zu vermitteln, den „normalen Rassismus“ der Dorfbevölkerung („Die Leute mögen hier keine Fremden“) pragmatisch mitzudenken, ohne die BKA-Kollegin vor den Kopf stoßen zu wollen. Doch er muss schnell erkennen, dass diese Frau, sich nicht ausbremsen lässt. Sie ist tough, kompetent, emanzipiert, feministisch, schlagfertig, attraktiv, hat Humor – und sie ist deutsch. „Die stereotypen und vorurteilsbelasteten Narrative zu brechen, heißt, nicht nur die gesellschaftliche Realität als Einwanderungsland zu zeigen, wo es viele geschafft haben, sondern – visionär – wo sich diese Frage gar nicht mehr stellt“, bringt Autor-Regisseur Becker seinen Ansatz in „Die Polizistin und die Sprache des Todes“ auf den Punkt.
Wer die Krimis des Hamburger Filmemachers kennt, Reihen wie „Nachtschicht“, die Diller/Kessel-Polizeifilme mit Fritz Karl und Nicholas Ofczarek oder „Der letzte Bulle“, muss sich erst daran gewöhnen, dass hier das platte Land den Großstadt-Dschungel ersetzt. Das ist nicht nur eine andere Welt, das ist auch filmisch ein völlig anderes Terrain. Schon immer dominierte der Regisseur über den Autor, legte Lars Becker größeren Wert auf stimmige Atmosphäre und den Flow der Bilder als auf Drehbuch-Finessen. Bei seiner Inszenierung zählt das Große und Ganze, die Detailarbeit ist Beckers Sache nicht; dafür hat er ja seine Schauspieler, meist sehr physisch agierende Charakterköpfe, die kleine narrative und inszenatorische Unstimmigkeiten einfach wegspielen. In Stadt-Szenarien ist das einfacher als auf dem Land, wo man weniger auf Tempo und Schnitt setzen kann. Dass die zeitliche Abfolge in den Inserts oder im Dialog („gestern Nacht“) nicht immer stimmt, ist geschenkt, fällt eh keinem Zuschauer auf. Durch den ländlichen Erzählrhythmus gibt es aber auch gänzlich überflüssige Szenen wie das Einchecken im Hotel, auch Szenenanschlüsse wirken (Kevin: „Ich soll mich hier melden“) nicht immer geschmeidig, und mal ist eine Buch-Idee hölzern umgesetzt. „Sieht echt nicht gut aus“, kommentiert Olsen den Zustand der Leiche, an der es nichts Übelkeitserregendes gibt; und auch er wirkt keineswegs sonderlich mitgenommen. Der Satz der Rechtsmedizinerin „Draußen, den Gang runter ist eine Toilette, bevor sie mir den Gang vollkotzen“, wirkt also schlichtweg unpassend. Das alles sind keine nachhaltigen Aussetzer, doch gerade im ersten Drittel eines Films, wenn die Krimihandlung noch im Findungsprozess und Spannung noch nicht angesagt ist, fallen solche kleinen handwerklichen Mängel eher ins Auge.
In den Beckerschen Flow kommt man als Zuschauer spätestens, wenn Nicholas Ofczarek („Tatort – Die Geschichte vom bösen Friederich“, „Der Pass“) seinem mutmaßlichen Frauenmörder ein Gesicht geben darf. Anfangs erscheint er noch ganz umgänglich: ein Monster in Menschengestalt oder nur ein Handwurst, ein Großkotz, dem jeder Sinn für die Realität abhandengekommen ist? Beim zweiten Gespräch mit der Profilerin ist er schon mal ungehalten gegenüber Acheampong (er mag keine „Frauen, die auf tough machen“), aber seine narzisstische Veranlagung und die geschickte Gesprächsführung der BKA-Frau machen ihn gesprächig. Wenn dann auch noch Thomas Schubert („King of Stonks“) als sein sein kaum weniger schräger Bruder Ollie ins Spiel kommt, bekommt dieser Landkrimi mit dem etwas prätentiösen Titel Charakter. Nach einer Stunde verdichtet sich das Ganze, nachdem Becker die Katze aus dem Sack gelassen hat – und er dem Zuschauer ein Mehrwissen gegenüber den Ermittlern zugesteht. Und wenn wenig später auch noch der dritte Butcher-Bruder vorbeischaut, einen Kofferraum voller Waffen, dann kann sich „Die Polizistin und die Sprache des Todes“ durchaus messen mit den durchgeknallten norddeutschen Provinz-Killer-Plots eines Holger Karsten Schmidt („Nord bei Nordwest“). Mit einem Unterschied: Lars Becker ist kein Thriller-Experte, und seine Showdowns sind nur selten spektakulär. Seine Geschichten verlängert er aus den Charakteren, oft genretypischen „Weirdos“, die weder eiskalt noch planvoll vorgehen, weil sie dafür oft zu viel Toxisches im Blut haben, und die deshalb nur selten taugen für eine kontrollierte Spannungsdramaturgie. Laune macht das am Ende aber immer – ganz egal, ob Stadt oder Land. (Text-Stand: 30.8.2024)