“Muss denn alles größer, schneller, weiter werden, muss alles immer mehr werden?” Eine Frage, die sich Anno Saul zuletzt immer öfters stellte. Sind Aktienkurse das Leben? Sein Fernsehfilm “Die Novizin” ist quasi das filmische Gegenmodell zum Gewinndenken unserer Tage. Eine junge, moderne Frau sucht im Kloster nach Antworten, die sie im normalen Leben nicht finden kann. Weltflucht sei das nicht, vielmehr ein “sensationell radikaler Ansatz” des Seins. “Klosterleben heißt, wir stellen das her, was wir brauchen, Kontemplation und Arbeit, nicht mehr”, so Saul, der seine Schulzeit zeitweise in einem Jesuiteninternat verbrachte.
So radikal die Entscheidung der Heldin, nach einem ersten “Erholungstrip” ins Kloster die Aufnahme in den kontemplativen Orden der Benedektinerinnen zu erbitten, so radikal ist auch Sauls Film – indem er versucht, die Motivationen der Heldinnen für ihren lebenentscheidenden Schritt zu durchleuchten und das Leben im Kloster realistisch darzustellen. Und auch, ob die Heldin, Mitte 20, als Nonne eine endgültige Lösung ihrer Lebensfragen erfahren wird, das bleibt offen. “Es war mir sehr wichtig, dass das Kloster nicht als die heile Welt dargestellt wird und die Außenwelt als die böse Welt”, betont Anno Saul.
Der Film beruht auf genauen Recherchen. Die Autorin Akiko Hitomi hat im Kloster Varensell dem Leben der Nonnen nachgespürt, Saul selbst hat sich eine Woche in einem Frauenkloster einquartiert, wo er auch am täglichen Leben teilgenommen hat. Sein Kommentar: “Wer meint, in einem Kloster laufen graue Mäuschen herum, die den ganzen Tag nur an den lieben Herrgott denken, der würde sich wundern!” Und so greift der Filmemacher auch bewusst zu Erzählmitteln, die eher mit heutigem Sehen statt traditionellem Denken zu tun haben. Mit seiner frischen Bildsprache fordert er das Sujet heraus. Er zeigt, dass originelle Montagen der Klarheit des Themas nicht im Wege stehen müssen. Wenn die Heldin mit einer anderen jungen angehenden Novizin heimlich zu Disco-Beats tanzt, dann ist das für Saul ebenso realistisch, wie eine andere Szene, in der das Bedürfnis der beiden nach Zärtlichkeit thematisiert wird.
So bewusst, wie die Heldin im Kloster lebt, so bewusst ist Anno Sauls Inszenierung. Katholische Liturgie und filmische Inszenierung haben für den Filmemacher ohnehin vieles gemeinsam: sie ordnen. Eine ordnende Kraft des Films ist vor allem auch die 25-jährige Kathrin Kühnel, die in “Die Novizin” ihre erste Hauptrolle spielt. Ihr Gesicht ist das Tor zum Film, wunderbar unaufdringlich lotet es die psychologischen Tiefen der Geschichte aus.