Der Titel ist trügerisch: Im Mittelpunkt steht nicht die Titelfigur selbst, die junge Muslimin Sevda Toprak (Ava Celik), die als Neuzugang in die Klasse von Gymnasiallehrerin Eva Arendt (Iris Berben) kommt. Es geht vor allem um die Reaktionen ihrer Umgebung, um den Blick der anderen. Gehört der Islam zu Deutschland? Es geht darum, wie das Bildungsbürgertum mit der Herausforderung umgeht, dass auch strenggläubige Muslime Teil der Gesellschaft sein wollen, ohne alle Vorstellungen und Regeln zu akzeptieren. „Die Neue“ ist eigentlich ein Zitat aus einem Dialog im Lehrerzimmer. „Wie ist denn die Neue?“ „Ich hab gar keine Ahnung, ich hab sie nicht gesehen.“ Schnitt. Dann tritt Sevda das erste Mal auf: Man sieht die Füße in einfachen Schuhen, über die ein langer, dunkler Rock fällt. Dann folgt die Kamera ihr von hinten durch den leeren Schulflur, man blickt der Neuen auf den Hinterkopf. Die Figur, die da bedrohlich in unsere Mitte schreitet, ist auf das Merkmal „verschleiert“ reduziert.
Das hübsche, ernste Gesicht der Neuen sieht man erst, als Sevda das Klassenzimmer betritt. Jetzt wird sie zum Individuum, mit dem man mitfühlen kann. Dass ihr Misstrauen und Spott entgegenschlagen, lässt sie nicht kalt. Aber Sevda erweist sich als selbstbewusste Muslimin, die sich in der Klasse nicht neben Jungs setzen möchte, die die Teilnahme am Sportunterricht verweigert, im Keller einen Gebetsraum einrichtet und sogar zwei Klassenkameradinnen dazu bringt, ebenfalls Kopftücher zu tragen. Sevda ist intelligent, vertritt ihre Glaubens- und Moral-Thesen ernsthaft, glaubwürdig und nicht fanatisch – auch wenn ihr das Drehbuch im Streit mit den modern und westlich orientierten Eltern schon mal Plakatives in den Mund legt: „Was ist denn so großartig an eurem Leben? Nichts. Ich bin ganz, ihr seid nur noch ein Haufen Scherben.“ Trotz der nahezu „körperlosen“ Figur bringt Ava Celik diese Mischung aus Aufbegehren, Wut, Überzeugung und Verletzlichkeit eindrucksvoll auf den Schirm.
Foto: ZDF / Christian Schulz
Im Mittelpunkt aber steht Eva Arendt, beinahe jede Szene wird aus ihrem Blickwinkel erzählt. Arendt ist eine beliebte, kluge, liberale Frau. Sie hält sich auf dem Laufband fit, genießt die Affäre mit dem Schulleiter (Hans-Jochen Wagner) und hat ihre Klasse gut im Griff. „Es ist alles gut so, wie es ist“, versichert sie versöhnlich der alten Mutter, die ihr noch auf dem Sterbebett die Identität des Vaters verschweigt. Auch daran, dass ihr Chef nach dem Liebesakt den Ehering wieder überstreift, scheint Eva nicht groß Anstoß zu nehmen. Es ist nicht schwer zu erraten, dass hier gleich in den ersten Szenen die künftigen Konflikt- & Entwicklungslinien des Films angerissen werden. Parallel zur Auseinandersetzung mit Sevda, der Arendt offen und freundlich gegenübertritt, hinterfragt sie im Laufe der Handlung ihr eigenes Leben.
„Die Neue“ ist ein sympathischer, aber auch ein vorhersehbarer und arg didaktischer Film. Eine Art Staatsbürgerkunde wie aus seligen öffentlich-rechtlichen Zeiten. Mit jeder Menge Dialoge, in denen Themen wie Glaubensfreiheit, die Stellung der Frau, Ehe und Moral, die Bedeutung von Dialogbereitschaft und gegenseitigem Vertrauen angerissen werden. Und Goethes „Prometheus“ gibt’s obendrauf. Das gut Gemeinte, das Lehrstückhafte ist offensichtlich, auch in den Unterrichtsszenen. Immerhin sind die Szenen im Klassenzimmer meist lebendig und prägnant, hier traut sich die Regie zudem eine mutige, bildstarke Konfrontation zu. Um zu provozieren, erscheint die gesamte Klasse voll verschleiert. Das Drehbuch von Christoph Silber macht es sich mit der Verortung in einem Gymnasium einerseits leicht. Hier platzt eine verschleierte junge Frau wie ein ungläubig bestauntes Ufo ins Klassenzimmer, während (auch strenggläubige) Muslime in anderen Schulformen längst zum Alltag gehören. Eine härtere soziale Realität bleibt somit ausgeblendet, ebenso wie Sprach-Barrieren. Andererseits wird das Klischee, dass Strenggläubige nur aus der Unterschicht stammen können oder kurz vorm Überlaufen zum Islamischen Staat stehen, vermieden.
Ein Film, der an Toleranz appelliert und sich den gängigen Vorurteilen entgegen stemmen will, kommt immer recht. Doch es scheint so, als fürchte man sich hier vor einem selbständigen, womöglich „falschen“ Urteil des Publikums. Denn die Sache mit der Toleranz muss noch einmal erklärt werden, in einer Ansprache von Iris Berben, pardon: Eva Arendt an die Klasse. Die Harmonie am Ende ist schon sehr optimistisch und ein bisschen auch verklärend, aber wichtig ist die Botschaft zweifellos: So könnt’s gehen, in gegenseitigem Respekt.