Die Grippewelle bringt die Familie Freese in Not: Vater Alfred (David Bredin) ist auf der Kieler Howaldtswerft zusammengebrochen und liegt hustend und schwitzend im Bett. Bald ist Monatsanfang, dann wird die Miete fällig. Doch weil Alfred krank ist, muss Mutter Emma (Anna Schimrigk) wohl um Ratenzahlung bitten. Denn Mitte der 1950er Jahre erhielten nur Angestellte Lohnfortzahlung, Arbeiter aber nicht. Dass dieses Relikt der Klassengesellschaft eine schreiende Ungerechtigkeit bedeutete, muss knapp 70 Jahre später nicht umständlich erklärt werden. Es genügen zu Beginn einige Szenen, die die harten Bedingungen auf der Werft andeuten: die körperlich schwere Arbeit, die Hitze, die Gefahr durch die bei Schweißarbeiten umherfliegenden Funken. Zumeist spielt die Geschichte jedoch in der Wohnküche der Familie Freese mit den beiden Töchtern, der kleinen Marianne und der jugendlichen Gerda (Claire Wegener), die lieber weiter zur Schule gehen würde statt sich aufs Hausfrauen-Dasein vorzubereiten. Mutter Emma ist auch als Erzählerin aus dem Off zu hören und somit das Bindeglied zwischen Spielszenen, reichhaltigem Archivmaterial und Interviews mit ehemaligen Arbeitern und ihren Frauen sowie weiblichen Angestellten. Keine Historiker, auch keine Funktionäre von Gewerkschaften oder Unternehmerverbänden kommen hier zu Wort. Eine Ausnahme bildet nur der ehemalige SPD-Vorsitzende Björn Engholm, der den Streik der Werftarbeiter und ihrer Familien als Jugendlicher, der sich bei einem Elektrohändler etwas zum Taschengeld dazuverdiente, aus nächster Nähe miterlebte – und auf einem Foto von einer Kundgebung auch zu sehen ist.
Die Spielszenen im Genre Dokudrama sind oft nur eine etwas hölzern wirkende Verdopplung der historischen Fakten und Thesen der jeweiligen Filme. In „Die Mutigen 56“ dagegen wird der zeitliche Ablauf des Streiks auch als dramaturgischer Rahmen genutzt, um eine eigenständige, aber beispielhaft gültige Geschichte einer Familie zu erzählen. Die Verzahnung von fiktionalen und dokumentarischen Szenen ist hier vergleichsweise gelungen und wirkt auch inhaltlich überzeugend. Denn dass kein Streikführer oder männlicher Arbeiter, sondern mit Emma Freese eine Hausfrau und Mutter von zwei Töchtern die dominierende Perspektive liefert, weitet den Blick über den Arbeitskampf hinaus auf die Umbrüche in den Familien und in der Gesellschaft insgesamt. Die Zeiten ändern sich, aber die Veränderungen müssen hart erkämpft werden. Die Ausstrahlung am 1. Mai, dem Tag der Arbeit, an dem traditionell die Errungenschaften der Arbeiterbewegung gewürdigt werden, ist naheliegend. Aber diese Art historischer Filmbetrachtung, die den Blick auf den Alltag und die „Geschichte von unten“ richtet, würde man sich neben den zahlreichen Biopics über prominente Zeitgenossinnen und Zeitgenossen häufiger wünschen.
Der im Titel behauptete Superlativ („Der längste Streik“) ist allerdings zweifelhaft. In einzelnen Firmen und weniger bedeutenden Branchen, aber auch in der Druckindustrie Mitte der 1990er Jahre gab es längere Arbeitskämpfe. Außerdem stören die bisweilen plakativen Szenen und Charakterzeichnungen, auch und gerade wenn man die inhaltliche Ausrichtung für richtig hält. Natürlich raucht Generaldirektor Adolf Westphal (Max Herbrechter) fortwährend eine dicke Zigarre, und wenn die Arbeitgeberseite diskutiert, werden dazu stets die Cognac-Gläser geschwenkt, was die steife Runde leider auch nicht lebendiger macht. Die Figuren sind eher Unternehmer-Klischees, was der Glaubwürdigkeit der Dialoge letztlich schadet. Peter Lohmeyer spielt einen zynischen, schnauzbärtigen Manager namens Josef Schiml, der die Frauen der Werftarbeiter als „schwächstes Glied in der Kette“ ausmacht. Und auch Hans Bilstein (Harald Maack), der Präsident des Arbeitgeberverbands Gesamtmetall, den Emma Freese aus dem Off als „ganz hohes Tier“ und „mächtig“ einführt, plädiert für „größtmögliche Härte“. An dieser Stelle genügt die formelhafte Fiktion nicht, da hätte es in den dokumentarischen Teilen mehr Details über die offenbar rücksichtslose Strategie der Arbeitgeberseite bedurft.
Lebendiger wirkt da schon die IG-Metall-Zentrale mit Verhandlungsführer Herbert Sührig (David C. Bunners) und dem jungen Heinz Ruhnau (Leonardo Lukanow), der die Streikzeitung plant. Die Darstellung der realen Ereignisse um den Streik der Werftarbeiter, der am 24. Oktober 1956 begann, sich über Weihnachten hinzog und international Wellen schlug, ehe er nach einer dritten Urabstimmung am 13. Februar 1957 endete, sorgt vor allem im letzten Drittel für steigende Spannung. Eine besondere Würdigung erfahren Betriebsrat Hein Wadle (Ronald Kukulies) und seine Frau Anni (Bettina Hoppe), die immer ein offenes Ohr haben für die Sorgen ihrer Kollegen und ihrer Frauen. Das wirkt ein wenig glorifizierend, scheint aber ebenfalls keine pure Fiktion zu sein. Jedenfalls erinnern sich in den Interviews nicht nur ihr Sohn Heiner, sondern auch mehrere ehemalige Werftangehörige an Hein und Anni Wadle, deren Leben eine umfangreichere und differenziertere Darstellung verdient hätte. Zumal man noch erfährt, dass Hein Wadle als Kommunist in der Nazizeit sieben Jahre in Gefängnissen und Konzentrationslagern verbracht hatte. Interessanter Weise bleibt die Vergangenheit bei den anderen auf realen Persönlichkeiten beruhenden Figuren im Dunkeln. Das passt zu den 1950er Jahren, in denen man über die jüngere Vergangenheit lieber schwieg. Auch in der fiktionalen Handlung der Familie Freese spielen Faschismus und Krieg nur unterschwellig eine Rolle.
Es geht wieder aufwärts, doch das viel besungene Wirtschaftswunder wird hier mal aus der Perspektive der Arbeiterfamilien gezeigt, die vom neuen Konsumrausch vorerst ausgeschlossen sind und in denen die Väter an sieben Tagen die Woche zehn oder zwölf Stunden arbeiten. Der Film handelt von den „Mutigen“, erzählt aber keine ungetrübte Heldengeschichte. Er schildert die wachsende Not während des Streiks und die Solidarität unter den Familien, aber auch die privaten Konflikte, den Missbrauch des Alkohols, die Ausgrenzung der Streikbecher. Der weibliche Blickwinkel mit Emma als Erzählerin und den zahlreichen Zeitzeuginnen bietet außerdem eine andere Sichtweise auf ein historisches Ereignis, das früher wohl hauptsächlich mit männlichen Protagonisten aufgearbeitet worden wäre. Im „Mutigen“-Dokudrama offenbaren sich die Klassenunterschiede auch im Friseurladen, wo zwei Damen über die Arbeiter herziehen, bis Tante Margit (Maju Margrit Sartorius) der Kragen platzt. Und wenn Alfred Freese wegen des Streiks zuhause herumlungert, drückt ihm Emma die Kehrschaufel in die Hand („Dann mach‘ dich nützlich“). Dass es auch um die traditionelle Rollenverteilung in Haushalt und Beruf und die Emanzipation der Frauen geht, ist zeitgemäß und keineswegs aufgesetzt.