Ausgehungerter Krähen greifen arglos im Freien grillende Menschen an. Die Bedrohung wird sich steigern. Als erstes merkt genregemäß die Heldin, eine hochschwangere Tierärztin, dass in und um Berlin etwas nicht stimmt mit dem kreischenden schwarzen Federvieh. Irgendwann merken es auch die Politiker: Würstchen und Koteletts verschlingende Krähen sind alles andere als der ornithologische Normalfall. Dennoch sind sie dabei, das Falsche zu tun. Denn sie wissen nicht, dass es nur einige wenige Krähen sind, die das Unheil in sich tragen. Die Tötung der klugen Tiere würde nur einen blutigen Rachefeldzug nach sich ziehen.
„Die Krähen“ funktioniert nach den klassischen Regeln des Horrorthrillers. Eine Frau, deren Vorahnungen anfangs von ihren Mitmenschen nur mit Kopfschütteln quittiert werden, schlüpft nach und nach in die Rolle der Retterin von Berlin. Weil sie schwanger ist, glaubt ihr kaum einer. „Es sind die Hormone, es sind die Ängste einer werdenden Mutter“, steht in den ungläubigen Blicken geschrieben. Susanna Simon, die nach der eigenen Schwangerschaftspause endlich wieder mit einer überzeugenden Leistung zu sehen ist, konnte beim Spielen offenbar aus der eigenen Erfahrung schöpfen. „Während der Schwangerschaft schlagen die Gefühle ganz anders aus“, betont sie, „der emotionale Schutzschild, den man besitzt, um bestimmte Dinge zu relativieren, ist in dieser Zeit einfach nicht da.“
Die Spannung erhält der Film von Edzard Onneken anfangs auch aus der Dualität des Nestbaumotivs. Der couragierte Mensch und die intelligenten Krähen legen ein ähnliches Verhalten an den Tag. Bedrohung zieht Gegenwehr nach sich. Die Attacken aus der Luft sind dank der hochkarätigen Tiertrainer, die schon für die Oscar-nominierte Doku „Nomaden der Lüfte“ im Einsatz waren, mindestens so aufregend wie weiland in Hitchcocks „Die Vögel“. Monatelang mussten 75 Krähen unter Anleitung von sieben Trainern Verhaltensabläufe einstudieren. Die erschreckend realistische Darstellung resultiert auch aus dem Fortschritt auf dem Gebiet der digitalen Tricktechnik. Besonders die dramaturgisch klug aufgebauten und höchst atmosphärisch gestalteten Massenszenen sorgen für ein Gänsehautgefühl, das einen beim Klassiker des Genres längst nicht mehr überkommt. Höhepunkt ist ein surreal anmutender „Teppich“ aus Krähen, der die Vision einer apokalyptischen Bedrohung auf ein unvergessliches Bild bringt. Perfekt getimte Nahaufnahmen zwischendurch geben dem Grauen ein Gesicht. Onneken darf zeigen, was er einst als Werberegisseur gelernt hat.
Sorgfalt ist auch im Drehbuch von zu erkennen. Das Genre wird bedient, ohne dass die Geschichte als bloßer Vorwand für Effekte und Nervenkitzel herhalten muss. Die Handlung wird langsam gesteigert, und die Psychologie als funktionaler Bestandteil der Stimmungs- und Spannungsmache ist ebenso überzeugend wie die augenzwinkernd dargebotenen (Liebes-)Rituale einer jungen Beziehung. Allein auf der der Ebene der Symbole sind „Die Krähen“ im Gegensatz zu Hitchcock ein bisschen dürftig gefiedert. (Text-Stand: 14.11.2006)