Die kalte Wahrheit

Petra Schmidt-Schaller, Meletzky. „Leben Sie mit Ihrer verdammten Schuld!“

Foto: ZDF / Martin Rottenkolber
Foto Rainer Tittelbach

Eine Frau steht unter Schock, sie hat einen jungen Mann überfahren. Das Verfahren gegen sie wird eingestellt, dennoch sucht sie nach Antworten auf Fragen, die sich die Polizei nicht stellt, und rekonstruiert die Stunden vor dem Unfall. „Die kalte Wahrheit“ erzählt von einer Frau, die ihre Schuld aufarbeitet und Erklärungen sucht für den Unfall. Ist es am Ende nur die fatale Verkettung unglückseliger Ereignisse? Dramaturgisch besitzt der Film, der als moralischer (und gleichsam spannender) Diskurs angelegt ist, einige Schwächen; inszenatorisch dagegen weiß das unprätentiöse Gefühlsdrama von Franziska Meletzky nach dem Buch von Sarah Esser zu überzeugen. Nicht zuletzt wegen Petra Schmidt-Schaller in der Hauptrolle.

Ein junger Mann ist von einem Pkw überfahren worden. Die Frau hinter dem Steuer steht unter Schock. Obwohl sie Ärztin ist, hält sie der Krisensituation nur schwer stand. Zwar wird das Verfahren wegen fahrlässiger Tötung gegen sie eingestellt, dennoch sucht sie für sich nach Erklärungen und Antworten auf Fragen, die sich die Polizei offenbar nicht stellt. Was machte der 18-Jährige mitten in der regnerischen Nacht auf der Landstraße? Dazu noch 10 Kilometer von seinem Zuhause entfernt? Warum hat er das Auto nicht kommen hören und ist ihm ausgewichen? Und wie kam es zu den 1,4 Promille Alkohol in seinem Blut? Ohne große Rücksicht auf die Hinterbliebenen macht sich die Frau mit Unterstützung ihres Anwalts an die Rekonstruktion der Stunden vor dem Unfall. Dass es in jener unglückseligen Nacht kein Mensch geschafft hätte, den Wagen rechtzeitig zum Stehen zu bringen, überzeugt jene Helene Liebermann nicht. „Ich muss den Eltern sagen, dass ich dafür verantwortlich bin, dass ihr Sohn nicht mehr da ist. Ich muss, aber ich habe Angst“, sagt sie einer Pfarrerin. Es ist ihre spezielle Art der Verarbeitung des Unfalls. Andere haben andere Strategien und stoßen sich an der Übergriffigkeit der Ärztin und sie raten ihr: „Leben Sie mit Ihrer verdammten Schuld!“

Die kalte WahrheitFoto: ZDF / Martin Valentin Menke
In verschiedenen Phasen der Trauerarbeit. Die Ärztin (Petra Schmidt-Schaller) sucht die Nähe der Mutter des toten Jungen (Ann-Kathrin Kramer). In den Momenten, in denen diese moralische Geschichte an ihre psychologischen Wurzeln geht, hat sie ihre stärksten Momente. Dann erzählt der Film pur und ohne Genre-Konventionen.

Eine Heldin handelt 80 Filmminuten lang aus einem Schock heraus. „Die kalte Wahrheit“ erzählt von einer Frau, die ihre Schuld aufarbeiten möchte, der es nicht reicht, juristisch entlastet worden zu sein. Sie sucht eine rationale Erklärung für den tragischen Unfall, möchte diese fatale Verkettung von unglückseligen Ereignissen verstehen. Und diese Frau braucht eine menschliche Antwort auf ihre Bedenken. Ihrer Hartnäckigkeit ist es am Ende zu verdanken, dass nicht nur sie beginnen kann, das Geschehene emotional endlich zu verarbeiten, sondern dass sie damit auch den Hinterbliebenen helfen könnte, mit ihren Zweifeln und Schuldgefühlen besser umzugehen. Auch wenn einem als Zuschauer bei dieser Geschichte, die deutlich ein moralisches Beispiel geben will, einem unweigerlich Grund-Sätze einfallen wie „Keiner ist ohne Schuld“ oder das Bibelzitat „Es gibt keinen, der ohne Sünde ist“, ging es der Autorin Sarah Esser („Hallesche Kometen“) offensichtlich nicht darum, die Schuldkeule zu schwingen und eine handvoll „Sünder“ auszumachen, sondern eher darum, einen Menschen in einer Ausnahmesituation zu zeigen, der Verantwortung für das, was passiert ist, übernehmen möchte, anstatt sich leichtfertig herauszureden. Dass die Person von einer Sympathieträgerin wie Petra Schmidt-Schaller gespielt wird, erleichtert es, diesem filmischen Moral-Diskurs zu folgen. Dass dieser sich unprätentiös aus banalen Alltagsereignissen ableitet, macht ihn nachvollziehbarer, aber auch wahrhaftiger als die im ZDF so gern erzählten persönlichen Dramen, in denen die langen Schatten der Vergangenheit auf die Gegenwart fallen.

„Es gibt Dinge, die sind so maßlos, dass es keine Worte dafür gibt.“ Diesen Satz, den die Pfarrerin während der Trauerfeier für den verunglückten jungen Mann spricht, hat Regisseurin Franziska Meletzky („Es ist nicht vorbei“) auch für ihre Inszenierung beim Wort genommen. So gibt sich in Momenten, in denen die unter Schock agierenden Protagonisten aufeinandertreffen, beispielsweise die Ärztin und die Mutter des toten Jungen, die Heldin nicht als die Fahrerin des Unglückswagens zu erkennen. Und eine finale Schlüsselszene, in der Helene Liebermann endlich den Mut findet, der sich in einer anderen Trauerphase als sie befindlichen Frau gegenüberzutreten, wird dem Zuschauer nur als Bild, ohne Text, präsentiert: durch ein Fenster sieht man die beiden; der Blick der Kamera ist der Blick zweier Nachbarn, die sich ebenfalls nicht frei von Schuld fühlen. Ein tröstliches Bild ohne falsche Gefühligkeit. Es ist ein Plädoyer für Ehrlichkeit, für Courage und den Mut zu Interaktion & Nähe – ohne wohlfeiles Verzeihen. Filmästhetisch als Gewinn erweist sich, dass mit Kamerafrau Bella Halben („Im Winter ein Jahr“) und der zweifachen Grimme-Preis-gekrönten Szenenbildnerin Bettina Schmidt („Neue Vahr Süd“) zwei Meisterinnen ihres Faches für den Film tätig waren.

Die kalte WahrheitFoto: ZDF / Martin Rottenkolber
Dreimal blond, dreimal große Klasse. „Die kalte Wahrheit“ vereint drei weibliche Schauspieler-Generationen und Rollen-Typen: Was Ann-Kathrin Kramer („Die Mörderin“), in den 90er Jahren war, ist Petra Schmidt-Schaller heute und könnte die hochtalentierte Sinje Irslinger („Es ist alles in Ordnung“) in zehn bis 20 Jahren sein.

Andere, von der Dramaturgie bestimmte, Momente in „Die kalte Wahrheit“ sind weniger gelungen oder wirken arg gedrechselt: Als die Heldin noch sichtlich unter den Umständen des Unfalls leidet, muss ihr Lebenspartner ausgerechnet für längere Zeit nach Berlin; auch der Chef der Ärztegemeinschaft ist holzschnittartig gezeichnet („Wer will schon eine Ärztin, die jemand tot gefahren hat“). Ebenso wenig elegant geraten ist die Einführung des Polizisten, der Liebermann später aus Dankbarkeit mehr Infos gibt als erlaubt. Und so überzeugend auch Schmidt-Schaller die Handlung auf ihre schmalen Schultern packt und reichlich Emotionen beim Zuschauers weckt, so beschneidet ein solcher Ego-Trip gleichzeitig die dramaturgischen Möglichkeiten des Sujets, weil er die anderen Figuren zu Erfüllungsgehilfen stempelt. Dagegen nur leise angedeutet & klischeefrei gezeichnet ist das Band der Sympathie, das zwischen der Ärztin & ihrem Anwalt (stark wie immer: Rainer Bock) kurzzeitig gespannt wird. Da reichen 10 Sekunden. Fragt sie mit Blick auf ein Foto: „Ist das Ihre Tochter?“ Sagt er: „Sie war es.“

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Fernsehfilm

ZDF

Mit Petra Schmidt-Schaller, Rainer Bock, Torben Liebrecht, Ann-Kathrin Kramer, Michael A. Grimm, Sinje Irslinger, Jannik Schümann, Martin Lindow, Peter Benedict, Trystan W. Pütter, Ruth Reinecke

Kamera: Bella Halben

Szenenbild: Bettina Schmidt

Schnitt: Jürgen Winkelblech

Soundtrack: Led Zeppelin („Stairway To Heaven“)

Produktionsfirma: Rowboat Film- und Fernsehproduktion

Produktion: Sam Davis

Drehbuch: Sarah Esser

Regie: Franziska Meletzky

Quote: 6,05 Mio. Zuschauer (18,5% MA)

EA: 23.03.2015 20:15 Uhr | ZDF

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