Kann man der Kirche dienen, ohne seine Triebe zu verleugnen? Diese Frage wurde in der Kirchengeschichte oft gestellt. Neu die Frage: Kann man über den Umweg der Folterkammer zu Gott finden? Der Beichtstuhl-Schocker „Die heilige Hure“, frei nach der Autobiographie der Theologin Heide-Marie Emmermann, die ihren Beruf aufgab, um als Domina die Peitsche zu schwingen, sagt ja. Die Geschichte: Dr. Marie Steiner lehrt Theologie an einer katholischen Fakultät. Nebenher macht sie Seelsorge für Frauen aus dem SM-Gewerbe. Ihr Forschungs-Gebiet: die heilige Maria Magdalena, für sie Prostituierte und Sinnbild der Liebe zugleich. Der blonde Engel, inmitten einer verlogenen Welt männlicher Würdenträger, verliebt sich in einen Kirchenrestaurator, entdeckt mit ihm die körperliche Ekstase. Dann die Enttäuschung: Maries Lover ist ein braver Familienvater. Selbst ihr bester Freund entpuppt sich als heuchlerischer Intrigant. Da will sie nicht länger Objekt der Männer sein – und greift zur Peitsche.
Dass in dem Film von RTL die kirchenrelevanten Fragen eher dem wilden Mix aus kirchlicher Ikonografie, Sadomaso-Ambiente und Videoclip-Ästhetik zum Opfer fallen – das ist typisch für den Hollywood-erfahrenen Regisseur Dominique E. Othenin-Girard („Mörderische Zwillinge“). Bei ihm hat nicht die Erzähllogik das Sagen, es regieren die Bilder, kurz geschnitten, in erotischer Schräglage, sinnlich-düster, allein die Heldin als schöne Lichtgestalt (ideal in der Rolle: Shootingstar Susanna Simon). Gewagt ist das, mitunter sogar aufregend.
Der Sender versucht, „Die heilige Hure“ entsprechend über das „brisante“ Thema zu vermarkten. „Dies wird einer der meistdiskutierten Filme des Jahres sein“, prophezeit RTL-Movie-Chef Sam Davis. „Die Themenpalette ist enorm breit. Es geht um Liebe, Glaube, Moral, Selbstgeißelung, Folter und Erlösung.“ Dem Autor, Grimme-Preisträger Wolfgang Kirchner („Das Spinnennetz“), ging es vor allem um „eine zukünftige Kirche der Selbst-Erneuerung“. Bewusst habe er eine Frau zur treibenden Kraft gemacht. Sie sei „Liebende und Leidende zugleich“, ein durch und durch sinnliches Wesen. Wichtig ist ihm, dass seine Heldin in keinem Augenblick eine sexuelle Obsession an den Tag legt. Kirchner: „Sie verhält sich liebevoll, manchmal zornig, immer aber verzeihend.“ Von Spekulation möchte er nichts hören: „Der Sadomaso-Kult hat in meinem Drehbuch vor allen Dingen metaphorische Bedeutung.“
„Die Autobiographie von Marie Emmermann mutiert hier zu einem Reißer auf niedrigstem Groschenheftniveau… So peinlich, daß es fast schon wieder lustig ist.“ (TV-Spielfilm)
„Durch die Dunkelheit der Sünde, durch die Nacht der Schmerzen müssen wir gehen, damit die Liebe zurückkehrt in unsere Herzen und in unsere Kirche.“ Stünde am Ende von „Die heilige Hure“ nicht diese Friede-sei-mit-Dir-Botschaft – die Proteste der Katholischen Kirche ob dieses ikonografisch opulenten Spektakels, das mit der symbolischen und visuellen Kraft religiöser Insignien wuchert, wären diesem TV-Movie sicher. (Text-Stand: 19.11.1998)