Mit 15 träumt man vom Sex und nicht davon, ein Vaterlandsheld zu werden
Sommer 1944 in der schwäbischen Provinz. Fünf 15-jährige Jungs, Onkel (Jonathan Berlin), Knuffke (Theo Trebs), Bubu (Andreas Warmbrunn), Hosenmacher (Laurenz Lerch) und Zungenkuss (Joscha Eißen), würden gern erwachsen werden, solange das nicht bedeuten würde, in den letzten Kriegstagen noch an die Front zu müssen. Sie träumen nicht davon, Vaterlandshelden zu werden, lieber würde diese Freibadclique ihre Männlichkeit bei der sexy-Luftwaffenhelferin Lore (Lili Epply) beweisen, die in ihrem roten Badeanzug alle Blicke auf sich zieht. Auch ihretwegen wäre ein Einsatz bei der Luftwaffe gerade noch annehmbar, die Angst hingegen, für die Waffen-SS rekrutiert zu werden, ist riesengroß. Zwei kommen nicht drumherum, die anderen haben Glück, müssen „nur“ als Hitlerjungen ihren Beitrag für die „Volksgemeinschaft“ leisten. Zungenkuss erwischt es als ersten. Onkel und Bubu nehmen sich Lores „Bleibt übrig!“ zu Herzen, sie wollen nicht kämpfen, sie wollen nicht sterben: Sie desertieren wenige Tage vor Kriegsende, halten sich versteckt bis zur Befreiung. Onkel aber sind die Amis bald ähnlich suspekt wie die Nazis. Und Knuffke, sein bester Freund, ist ganz anders als noch vor einem Jahr. Er hat nicht nur ein Auge an der Ostfront gelassen… Jetzt ist er mit einem US-Captain (Karel Dobry) per Du, ist verknallt in dessen Mädchen, Gunda (Vica Kerekes), und macht auf cool. Knuffke scheint sich in der neuen Freiheit zu verlieren.
Foto: SWR / Walter Wehner
Die Politik der Gefühle: Pubertät, Nationalsozialismus, verpackt in Filmsprache
Der 1929er Jahrgang galt als „verlorene Generation“. Beinahe noch Kinder gehörten die in diesem Jahr Geborenen zum sogenannten „Volkssturm“, wurden als Kanonenfutter missbraucht und mussten die Gräuel des Krieges aus nächster Nähe mitansehen. Dabei wollten sie doch wie alle anderen Jugendlichen vor und nach ihnen einfach nur leben: Sie wollten jung sein, Musik hören, für Mädchen schwärmen, von Sex träumen, und sie wollten ihre Freiheit genießen, bevor der Ernst des Lebens beginnt. „Die Freibadclique“ erzählt von diesen Jungs, die viel zu früh ihre Unschuld verloren, die den Nationalsozialismus im Allgemeinen und die ihr eigenes Trauma im Besonderen ein Leben lang nur schwer bewältigen konnten. Der Drehbuchautor und Filmemacher Oliver Storz (1929-2011) kam nie wirklich los von dieser Zeit. Noch drei Jahre vor seinem Tod schrieb er den Roman „Die Freibadclique“, in dem er die eigenen Erlebnisse als 15- und 16-Jähriger in Schwäbisch Hall aufarbeitete. Diese außergewöhnliche Coming-of-age-Geschichte hat der Filmemacher Friedemann Fromm ebenso frei wie kongenial verfilmt. Fromm ist ein Experte fürs Emotionale, kein Apologet des Gefühligen, eher ein Versteher affektbesetzter Tonarten, und er weiß in seinen preisgekrönten Filmen („Weißensee“ / „Die Wölfe“) das Historische psychologisch und politisch gleichermaßen zu durchdringen. In der Storz-Verfilmung sind es nun die universalen Frühlingsgefühle der Pubertät, die über der Filmgeschichte liegen, und die typische Art und Weise, wie die Jünglinge ihre Gefühle zeigen, ja vor allem nicht zeigen. Hinzu kommt die zeitspezifische Politik der Emotionen: Mitte der 1940er Jahre waren Gefühle als Selbstausdruck eher die Ausnahme – im Nationalsozialismus ganz besonders. Und wie die große (melo)dramatische Kinokunst gehört auch der Fernsehfilm-Macher Fromm (Jg. 63) zu jenen Regisseuren, die das Emotionale einer Geschichte gern über die Filmsprache erzählen.
Foto: SWR / Ivan Maly
Filmemacher Friedemann Fromm über die Themen & Erzählmotive:
„Das zentrale Thema des Films ist Freiheit bzw. Befreiung. Wie kann man leben in einer Gesellschaft, die man innerlich ablehnt, gegen die man sich aber im Außen nicht aufzulehnen vermag? Die Befreiung von den Zwängen der Gesellschaft und des Krieges, die kleinen Fluchten in die Tagträumereien einer überhitzten Erotik; die großen Fluchten vor der menschenfressenden Bestie Krieg. Doch auch die Freiheit ist gefährlich, da sie voller Verlockung ist, voller Bilder, wie man zu sein hat, wie es ist, frei zu sein. Und wo es keine Regeln und Befehle gibt, gegen die man sich auflehnen kann, wird es nicht einfacher, sich richtig zu entscheiden.“
Hormonstau & Angst: Bei den zu Rekrutierenden handelt es sich noch um Kinder
Der Krieg bestimmt den Rahmen der Geschichte. Erzählt wird vom Sommer 1944 bis zum Sommer 1945. Volkssturm, Befreiung, Besatzung. Ein verlorener Krieg für die Deutschen. Ein verlorenes Jahr für die drei Jungs, die überlebt haben. „Ich habe doch mit dem ganzen Scheiß nichts zu tun“, motzt Storz‘ Alter Ego Onkel über den Krieg, den er und seine Kumpels (noch) nicht wirklich begreifen können. Erst als sie zur Musterung in der Turnhalle stehen, nackt, in Reih und Glied, als sie zusammengestaucht („Abschaum seid Ihr“) und geschlagen werden, bekommen sie eine Ahnung von dem, was sie erwartet. Als sich eine Taube(!) nach einem Irrflug durch die Halle ins Freie retten kann, macht das Gejohle der 1929er deutlich, dass es sich bei den zu Rekrutierenden noch um Kinder handelt. Auch die Streiche – ein Mal erwischen Onkel und Knuffke ihren Vorgesetzten beim Sex mit der Frau des Gauleiters – haben etwas Lausbubenhaftes. Genauso wie die sexuelle Prahlerei. Zungenkuss („Weiber satt“) hat offenbar nur „das Eine“ im Kopf, und auch Bubu will nicht sterben, bevor er nicht eine Frau zum Schielen gebracht hat (für ihn ein untrügliches Zeichen für einen Orgasmus). Onkel hat schon mehr Erfahrung. Er hat eine verheiratete Frau, deren Strumpfbänder im Kino erkennbar locker sitzen, „glücklich gemacht“. Eine äußerst bizarre Szene: Während des Sex‘ mit dem Jungen wendet die Frau ihren Blick nicht ab von der Fotografie ihres Liebsten. Demütig zufrieden sind am Ende beide: „Danke“, sagt Onkel. „Ganz meinerseits“, erwidert die mehr als doppelt so alte Frau. „Die Freibadclique“ erzählt Initiationsgeschichten. Es ist der Krieg, der die Jungs „unnatürlich“ reifen lässt. Hormonstau und Angst ums Überleben gehen Hand in Hand. Die Phantasien kreisen um das biologische Erwachsenwerden. Orgasmus statt Endsieg – doch äußerst brutal reißt der Krieg die Fünf aus ihren feuchten Träumen.
Foto: SWR / Walter Wehner
„Die äußeren Zwänge des Faschismus sind in der zweiten Hälfte des Films den inneren Zwängen eines überforderten Teenagers gewichen. Ich glaube, dass die Frage der individuellen Freiheit und des persönlichen Muts, man selbst zu sein, eine hochaktuelle ist – gerade in einer Zeit, in der man permanent mit Bildern kon frontiert wird, wie man/frau zu sein hat.“ (Friedemann Fromm)
Blicke & starke Physis: Jonathan Berlin und Theo Trebs sind die Gesichter des Films
Fromms Film besitzt eine epische Erzählweise. Episodisch entwickelt sich die Geschichte um Onkel & seine Freunde in Richtung auf die „Stunde Null“, die es so in Deutschland ja nie gegeben hat. Spannung entsteht im Kleinen, innerhalb der Szenen; wenn die Halbwüchsigen den Erniedrigungen und dem Sadismus der Nazi-Hardliner ausgesetzt sind, wenn sie sich auf der Flucht und in Lebensgefahr befinden. Es sind aber auch die Charaktere selbst, die Hauptfiguren Onkel und Knuffke, deren Schicksal Interesse weckt – zwei introvertierte junge Männer, die nicht alles herausplappern wie ihre Freunde, zwei Figuren voller Geheimnisse. Die Erzählung lässt keinen Zweifel daran, dass die beiden überleben werden. Offen bleibt allerdings die Frage, wie sich jeder von ihnen in den letzten Monaten des Krieges entwickeln wird. Knuffke, der Berliner, hat schon vor seiner Zeit in Schwäbisch Hall mehr Schreckliches gesehen als seine Freunde. Er ist der Einzelgänger der Gruppe. Einer, der mehr wagt als die anderen und der – weil er die Ostfront überlebt hat – nun, in der neuen Freiheit, dazu neigt, sich zu überschätzen. Onkel ist der kühle Kopf der Gruppe, er ist nachdenklich, vorsichtig, Aktionismus ist seine Sache nicht. Ein einziges Mal gegen Ende des Films erhebt er die Waffe. Aber will er, der besonnene junge Mann, der im Krieg nicht töten wollte, nun doch das Erbe seiner Väter antreten? Jonathan Berlin und Theo Trebs sind die Gesichter, die in Erinnerung bleiben. Ihr physisches Spiel, ihre Blicke sind das Herzstück der Ikonografie des Films.
Foto: SWR / Walter Wehner
Über die Jugend in Zeiten, die Jugendlichkeit verbietet
„Bei einer Adaption ist nicht der Erhalt eines jeden Satzes, einer jeden Szene entscheidend. Der Kern der Vorlage muss erhalten bleiben. In diesem Fall war dies für Friedemann Fromm und mich die besondere Tonalität des Romans. Ich hatte vorher noch nichts über die Zeit des Dritten Reichs und des besetzten Deutschlands gelesen, das neben der harten realistischen Schilderung des Grauens so lakonisch, jugendlich-leicht und humorvoll ist. Und dadurch auf so berührende Art vermittelt, wie schwer es war, in diesen Zeiten seine Jugend zu erleben und erwachsen zu werden.“ (Produzent Marc Müller-Kaldenberg)
Ikonografische Kraft: Genrekino-Mythen außergewöhnlich fürs Fernsehen erzählt
„Die Freibadclique“ ist kein Kriegsfilm – und doch ist der Krieg allgegenwärtig. Der Film ist kein Schwarzmarktdrama – und doch ist die Gefahr spürbar, die von der unübersichtlichen Nachkriegszeit ausgeht. Der Film erzählt auch sehr viel mehr als eine herkömmliche Coming-of-age-Geschichte. Es ist vor allem Fromms Liebe zum Film, die mit den kinematografischen Mitteln und den Mythen des Genrekinos einen fürs Fernsehen ungewöhnlichen ästhetischen Raum schafft. Eindrucksvoll spielt Fromm mit der Ikonografie des Film Noir, ähnlich wie es Oliver Storz in seinem Grimme-Preis-gekrönten „Gegen Ende der Nacht“ (1998) über drei heiße Tage und Nächte im Hochsommer 1945 getan hat. Der hässlich-düstere Realismus des amerikanischen Gangsterfilms wird in beiden Filmen visuell heraufbeschworen. Aber nicht nur das. Auch für die Freundschaft (in den Tagen des Nationalsozialismus‘) findet Friedemann Fromm eine markante Bildsprache: Es ist das Schönheitsideal der an der Antike orientierten Nazi-Ästhetik. Wenn die beiden Helden ihre Körper auf dem Zehn-Meter-Turm in Stellung bringen und anschließend in harmonischen Gleichklang in die Tiefe stürzen, dann atmen diese Bilder einen Hauch Leni Riefenstahl: Kraft, Schönheit, Jugend, Körperkult. Der Ideologie der Form ist schwerer zu entkommen als der Politik. Und das Wasser strahlt im knalligen Blau von Agfacolor. So schön schimmert das Wasser im Film kein weiteres Mal. Später gibt es schlammige Pfützen, Grundwasser im Schützengraben, trostlosen Dauerregen – Sinn entsteht aus Sinnlichkeit bei Fromm. Dialoge sind hier keine Botschafter. Selbst die Nazi-Ekelpakete, die wie alle Erwachsenen nur am Rande auftauchen, leben durch ihre brutale Physis und ihre erniedrigende Wirkung auf die jugendlichen Helden. Sprache spielt dennoch eine wichtige Rolle. Sie stellt den Bezug zum Alltag her, sie erdet die übergroßen politischen und ästhetischen Images: Alle Jungen und viele Nebenfiguren sprechen Dialekt, die meisten schwäbeln, Knuffke berlinert. Gesprochen wird nicht zu viel. Umso tiefer lassen manche Dialoge blicken. Wie am Ende des Films. „Was machen wir hier?“ Im Spätsommer 1945 wieder in die Schule gehen, als sei nichts gewesen?! „Wir passen hier doch gar nicht mehr her“, stellt Onkel fest. „Wir passen nirgendwo hin“, entgegnet Bubu mit einem Seufzer.