Die Frau mit einem Schuh

Nina Proll, Karl Fischer, Michael Glawogger. Von Körperteilen und Nebensachen

Foto: ORF
Foto Tilmann P. Gangloff

„Die Frau mit einem Schuh“ (Lotus Film) war im Dezember 2014 der Auftakt zur ORF-Reihe „Landkrimi“. Anders als die Koproduktionen mit dem deutschen Fernsehen sind diese Filme ursprünglich nur für ein österreichisches Publikum entstanden, und so klingen sie auch. Das ZDF hat den Film zwar akustisch etwas entschärft, aber trotzdem werden viele Zuschauer Schwierigkeiten haben, allen Dialogen zu folgen. Die Geschichte funktioniert allerdings auch so. Irgendwo in der Provinz wird die Dorfpolizei mit einem grausigen Puzzle konfrontiert: Nach und nach tauchen Leichenteile einer Frau auf. Der Krimi war das letzte fertig gestellte Werk des vor allem für seine Dokumentarfilme mehrfach ausgezeichneten Regisseurs Michael Glawogger, dessen Spielfilme regelmäßig etwas schräg waren. Auch in seinem „Landkrimi“ drängen die skurrilen Nebenfiguren die eigentliche Handlung gern mal in den Hintergrund.

Das „Herzkino“-Stammpublikum dürfte angesichts dieser Programmierung etwas überrascht sein: Als Alternative zur Fußball-WM im „Ersten“ zeigt das ZDF keinen seiner üblichen Sonntagsfilme, sondern einen österreichischen Krimi. „Die Frau mit einem Schuh“ stammt aus der ORF-Reihe „Landkrimi“. Die bis zu viermal pro Jahr ausgestrahlten Filme spielen abwechselnd in den verschiedenen österreichischen Bundesländern. Die ARD hat bereits mit Erfolg zwei „Steirer“-Krimis („Steirerblut“, „Steirerkind“) gezeigt, aber mangels Sendeplatz keinen weiteren Bedarf, weshalb sich nun auch das ZDF bedient hat. „Die Frau mit einem Schuh“ bildete im Dezember 2014 den Auftakt zu den Landkrimis und spielt in Niederösterreich, womit ein unüberhörbares Merkmal der Filme bereits angedeutet ist: Da sie ursprünglich ausschließlich fürs österreichische Publikum entstanden sind, brauchten die Schauspieler anders als in den vielen Koproduktionen mit ARD und ZDF keine Rücksicht auf Zuschauer beispielsweise in Norddeutschland nehmen.

Die ARD-Tochter Degeto hat bei der Ausstrahlung von „Steirerblut“ in kauf genommen, dass nicht jeder die zum Teil intensiven Dialektpassagen verstehen wird; der Krimi hatte trotzdem über 7 Millionen Zuschauer. Das ZDF wollte dieses Risiko allerdings nicht eingehen und hat seine Filme akustisch etwas „entschärft“. Trotzdem lässt sich bei einigen Dialogen bloß erahnen, wovon die Menschen reden, und wer Karl Fischer nur als gutmütigen Stichwortgeber von Uwe Kockisch aus den Verfilmungen der venezianischen Donna-Leon-Romane aus Venedig kennt, wird sich erst mal an seinen ausgeprägten Dialekt gewöhnen müssen. Der Geschichte kann man dennoch folgen: Irgendwie in der Provinz tauchen nach und nach verschiedene Körperteile einer vor rund einem Jahr verstorbenen Frau auf. Die unterforderte und daher versetzungswillige Inspektorin Franzi (Nina Proll), Motorradfahrerin mit cooler Sonnenbrille, freut sich, dass sie endlich mal einen richtigen Fall hat; ihr Kollege Michi (Fischer), ein Gemütsmensch, für den die wahren Verbrecher die Banken und Versicherungen sind, hätte lieber weiter seine Ruhe. Eine einsame und etwas verwirrt wirkende alte Dame hat irgendwann beobachtet, wie eine junge Anhalterin in einen blauen Kombi gestiegen ist. Den einzigen Wagen dieser Art fährt Werkstattbesitzer Gerry, und weil der ohnehin etwas zwielichtig anmutende Mechaniker von Schurkendarsteller Johannes Kirsch verkörpert wird, drängt er sich als Verdächtiger geradezu auf. Aber Gerry führt eine ausgesprochen leidenschaftliche Ehe mit seiner attraktiven Frau (Edita Malovcic), und den Kombi stellt er regelmäßig seinen Kunden zur Verfügung, wenn eine Reparatur mal länger dauert. Franzi ahnt zwar, dass die Leichenteile in irgendeinem Zusammenhang mit dem ebenfalls zwölf Monate zurückliegenden Ausbruch eines weiblichen Häftlings aus dem nahen Frauengefängnis stehen, aber eine DNS-Überprüfung ergibt keine Übereinstimmung.

Die Frau mit einem SchuhFoto: ORF
Die Österreicher finden für ihre „Landkrimis“ häufig eine ganz eigene Tonlage. „Die Frau mit einem Schuh“ von Michael Glawogger ist noch mal ein Stück extravaganter und für Nordlichter nicht immer leicht verständlich. Johannes Krisch, Edita Malovcic

„Die Frau mit einem Schuh“ ist der letzte fertig gestellte Film von Michael Glawogger (Buch und Regie), der im Jahr der Ausstrahlung bei Dreharbeiten in Liberia an Malaria gestorben ist. Er hat zwar auch einige Dramen und Komödien gedreht, aber sein internationales Renommee verdankt er in erster Linie der mehrfach ausgezeichneten Dokumentarfilmtrilogie „Megacities“ (1998), „Workingsman’s Death“ (2005) und „Whore’s Glory“ (2011). Seine Spielfilme waren dagegen eher was für Liebhaber schräger Filmkunst; „Contact High“ (2009) zum Beispiel ist eine völlig überdrehte Drogenkomödie, in der mitunter die pure Anarchie herrscht. Davon kann beim „Landkrimi“ naturgemäß keine Rede sein; die Filmabteilung des ORF hat zwar ein größeres Herz für skurrilen Humor, als ARD und ZDF bei Koproduktionen mitunter lieb ist, aber diesmal beschränkt sich Glawoggers Faible für bizarre Zeitgenossen auf die Nebenfiguren. Deren Auftritte wirken prompt wie kleine Exkurse, die mit der eigentlichen Handlung nicht das Geringste zu tun haben; da pinkelt beispielsweise ein zum eigenen Schutz vorübergehend inhaftierter Mitbürger, der volltrunken mit einer Schrotflinte hantiert hat, mitten in die Zelle. Bloß eine Gastrolle spielt auch Hary Prinz als Chefinspektor aus der Stadt, mit dem Franzi ein paar mal flirtet. Eigentlich ist sie verheiratet; der arbeitslose Gatte (Robert Palfrader) ist zwar ein begnadeter Koch, aber ansonsten langweilt er sie nur noch.

Diese Nebenschauplätze waren Glawogger allerdings offenbar genauso wichtig wie die Krimihandlung, die auf diese Weise immer wieder in den Hintergrund gedrängt wird. Die Dialoge der beiden Hauptfiguren befassen sich zumindest anfangs mehr mit Michis verschwundener Aktentasche oder seinen lebensphilosophischen Betrachtungen als mit beruflichen Dingen, weshalb die gesammelten Momentaufnahmen zu Beginn eher heiter sind. Stimmung und Tonfall ähneln den „Schwarzach 23“-Krimis im ZDF, ohne allerdings deren Qualität zu erreichen. Auch bildgestalterisch setzt Glawogger kaum nennenswerte Akzente; mit Ausnahme zweier Einstellungen am Schluss, als sich die Männer der beiden weiblichen Hauptfiguren in völlig unterschiedlichen Situationen, aber ähnlichen Zusammenhängen in Scheiben spiegeln. Wichtig für die Atmosphäre des ruhig dahin fließenden Films ist auch die zwar rockige, aber sehr entspannte Gitarrenmusik (Norbert Wally). Musikalischer Höhepunkt ist ein Karaoke-Auftritt Michis mit dem Song „Unchain my Heart“. Sollte Fischer das tatsächlich selbst gesungen haben: alle Achtung. (Text-Stand: 8.6.2018)

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Fernsehfilm

ORF

Mit Nina Proll, Karl Fischer, Johannes Krisch, Edita Malovcic, Robert Palfrader, Hary Prinz, Wolf Bachofner, Ingrid Burkhard, Michou Friesz

Kamera: Carsten Thiele

Szenenbild: Maria Gruber

Kostüm: Martina List

Schnitt: Andrea Wagner

Musik: Norbert Wally, The Base

Soundtrack: The Base („Song for Pitten”)

Redaktion: Klaus Lintschinger (ORF)

Produktionsfirma: Lotus Film

Produktion: Peter Wirthensohn, Thomas Pridnig

Drehbuch: Michael Glawogger

Regie: Michael Glawogger

EA: 24.06.2018 20:15 Uhr | ZDF

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