Zwei Deutsche sind auf den Philippinen verschwunden. Auf Vorschlag ihres Chefs Thomas Eick (Thomas Sarbacher) schickt der Krisenstab in Berlin Karla Lorenz (Natalia Wörner), Sonderbeauftragte im Auswärtigen Amt, nach Manila. Denn Lorenz ist jemand, der laut Eick „schon mal da war und Kontakte hat“. Genauer gesagt: Die Diplomatin war früher mit dem Mann liiert, der nun philippinischer Verteidigungsminister ist. Einzelheiten erfährt man nicht, nur dass Lorenz immer noch von Jejomar Maceda (Asavanond) träumt. Auch mit Eick hatte sie offenbar mal eine Affäre. Er überreicht ihr auf dem Dach eines Hochhauses in Berlin den Auftrag, die beiden Männer aufzuspüren und gegebenenfalls zu befreien. Lorenz, rauchend, entspannt lächelnd, tritt als selbstbewusste Einzelgängerin in Erscheinung. „Ausgerechnet die Lorenz“, erklärt der Staatssekretär, der Eick vor einer „Krise wie in Bahrain“ warnt. Lorenz hatte dort als Botschafterin diplomatische Verwicklungen heraufbeschworen, weil sie der misshandelten Ehefrau eines hochrangigen Bahrainers zur Flucht verholfen hatte.
Man fragt sich ja, warum gleich umfangreiche amouröse Verwicklungen ins Spiel gebracht werden müssen und wieso eine weibliche Titelfigur nicht einfach nur eine erfahrene Diplomatin sein kann. Zumal Minister Maceda blass bleibt und die Liebes-Sehnsucht der Lorenz‘ ziemlich behauptet erscheint. Abgesehen davon beginnt die neue Reihe jedoch zupackend als Mischung aus Geheimdienst- und Politdrama. Kamera und Inszenierung beschwören eine Atmosphäre der Hinterzimmer-Diplomatie herauf, nutzen dabei auch Bild-Motive aus der Natur und der Architektur. Die Protagonisten sind geübt in politischen Winkelzügen, es geht um das Spannungsverhältnis zwischen Überzeugung und Karriere. Nicht die große politische Bühne Berlins interessiert hier, sondern das (meist) verborgene Geschehen dahinter. Nicht das Spitzenpersonal und ihr öffentlich aufgeführtes Theater, sondern die praktische, selten sichtbare Arbeit ein oder zwei Ebenen darunter.
Das ist, kombiniert mit den Auslandseinsätzen in den verschiedenen Ländern, ein reizvoller Ansatz für eine neue Reihe. Birgt aber auch Risiken: Die (in Thailand gedrehten) Szenen fangen zwar ein lebendiges Straßenbild ein, fallen aber auf der politischen Ebene deutlich ab. Bei den Verhandlungen von Lorenz und Botschafterin Eisenbarg (Susanna Simon) mit Minister und Premier oder bei der Sitzung des philippinischen Krisenstabs hat der Film nur ein steifes Spiel mit kostümierten Figuren zu bieten. Über das Land erfährt man wenig, allenfalls dass es eine Regierung, Rebellen und den Einfluss Chinas gibt. Außerdem mutet es etwas kurios und weltfremd an, dass in der ganzen Geschichte allein Deutschland als außenpolitischer Player auf den Philippinen eine Rolle spielt. Am Ende entscheidet gar ein Telefonanruf aus Berlin über den Ausbruch eines Bürgerkriegs.
Immerhin: Besser so herum, als die Folgen deutscher Außenpolitik klein zu reden. Alles in allem erscheint „Die Diplomatin“ – abgesehen vom ohnehin nicht vergleichbaren Produktionsaufwand und der Tatsache, dass es sich um keine Serie handelt – wie eine gutmütige „Homeland“-Version: Die Titelfigur will Frieden stiften statt Terroristen ausschalten. Es geht um illegalen Waffenhandel und um Machenschaften von Politikern und Geschäftsleuten, die die Regeln für Rüstungsexporte aushebeln wollen. Die philippinische Regierung würde gerne deutsche Kriegsschiffe kaufen und benutzt die Tatsache, dass Rebellen die beiden Deutschen entführt haben, als Druckmittel. Leider wirkt die Handlung auch in manchen Details nicht überzeugend. Der Sohn einer alten Freundin soll für Karla Lorenz herausfinden, wo die Geiseln sind. Er hat zwar eine lange Narbe im Gesicht, was irgendwie mit Lorenz zu tun hat. Doch die Vorgeschichte bleibt völlig im Dunkeln, und die Figur verschwindet vom Radar. Erstaunlich außerdem, dass Karla Lorenz nur den Namen der richtigen Insel erfahren muss, um nach der Fahrt dorthin mühelos zu dem Imam zu spazieren, der der Rebellenführer ist. Auch das Finale bietet eine eher gewollte Zuspitzung.
Übermäßig komplex ist der erste Film der ARD-Degeto-Reihe also nicht angelegt, was vielleicht auch damit zu erklären ist, dass hier die Figuren dem Publikum das erste Mal vorgestellt werden. In verschiedenen Szenen wird angedeutet, was in Zukunft eine Rolle spielen dürfte: Karla Lorenz‘ schwieriges Verhältnis zum Vater (Michael Mendl), ihre Nähe zu Bruder Alexander (Matthias Weidenhöfer), das ungeklärte Verhältnis zu ihrem verheirateten Chef Eick. In der Titelfigur steckt zweifellos Potenzial, Natalia Wörner gibt überzeugend die couragierte, eigenständige Heldin, und das Zusammenspiel mit dem jungen Botschaftssekretär Tanz (Jannik Schümann) ist ebenfalls vielversprechend. (Text-Stand: 17.10.2015)