Er redet. Sie lächelt. Ernst Lemden, der berühmt-berüchtigte Wiener Kunsthistoriker, erkennt nach der ersten Nacht, was ihm Judith, diese Göttin, geben kann. Und auch die schöne Restauratorin scheint ihren „Meister“ gefunden zu haben. „Ich hab’ in diesen entzückenden Sekunden, wie man mit Wonne sterben kann, empfunden“, schreibt sie ihm am Morgen auf einen Zettel. Nicht ahnend, dass das Sterbethema bald bedrohlich im Raum ihrer gemeinsam bezogenen Wohnung stehen wird. Anfangs macht sich Ernst über seine Vergesslichkeit noch lustig, doch bald ist es vorbei mit dem Amüsement über den „zerstreuten Professor“ – die Diagnose lautet Alzheimer. Noch wiegt dieses Wort schwerer als die Symptome. Doch unaufhaltsam nistet sich die tückische Krankheit ein. Die Brille im Kühlschrank, die Haustür sperrangelweit geöffnet, der vergessene Herd, so fängt es an. Die Zeit vergeht, die Aussetzer werden schmerzlicher für Judith. Wird ihre Liebe diese Krankheit aushalten können?
Foto: SWR / ORF / Petro Domenigg
Nikolaus Leytner über die Grundidee des Films:
„Was passiert mit der Liebe, wenn der geliebte Mensch physisch nach wie vor vorhanden, in Wirklichkeit aber geistig und seelisch erloschen ist? Ein mehr oder weniger unbewohnter Mensch, nur noch Welt- und Ich-Verlust, der genau das nicht bis zur Neige erleben will, aber weiß, dass er zum entscheidenden Zeitpunkt nicht mehr in der Lage sein wird, selbstständig zu handeln.“
Was wie eine edle, wunderschön altmodische Romanze über zwei aus der Zeit gefallene Individualisten auf dem Weg zur Liebe beginnt, stellt eben diese Liebe, noch bevor sie richtig ausgelebt werden kann, auf den Prüfstand. „Die Auslöschung“ ist ein Film über den Abschied zweier Menschen, über den Verfall und den Fortbestand der Liebe über jenen Verfall hinweg. Das TV-Drama erzählt von der Verantwortung, die der Liebende gegenüber seinem Lebenspartner übernimmt, wohl wissend, dass der Gepflegte irgendwann keinen Dank mehr für ihn übrig haben wird. Dass der Film von Nikolaus Leytner – so die Prognose des Kritikers – aber auch als Alzheimer-Drama in die Fernsehgeschichte eingehen wird, liegt an der außergewöhnlichen Darstellung von Klaus Maria Brandauer. Das ist kein Abgang mit Ausrufezeichen, keine dramatische Performance, wie Brandauer sie einst so liebte, das ist ein Kraftakt der Stille und der Verzweiflung. Anfangs zermartert der verbliebene Intellekt dem Mann das Gehirn. Alles dreht sich in seinem Kopf um die Krankheit. Er will sie beherrschen, so wie er früher Dinge, Themen, Menschen beherrschte. Bei Judith kommt das nicht gut an: „Diese Scheißkrankheit, du kämpfst nicht gegen sie an, du legst dich mit ihr ins Bett.“
Foto: SWR / ORF / Petro Domenigg
Ko-Autorin Agnes Pluch über Liebe & Helfen:
„Ich glaube nicht an selbstlose Liebe. Beziehungen haben stets auch mit Bestätigung zu tun. Durch die Begegnung mit dem anderen, werde ich erst zu dem, der ich bin. Was bleibt also, wenn einer durch sein Vergessen die gemeinsame Geschichte gleichsam auslöscht? Wie geht eine Frau damit um, wenn nicht nur das ‚Ich’ des Geliebten mehr und mehr verschwindet, sondern auch das eigene Selbst durch dessen Vergessen ein Stück weit stirbt.“
„Die Auslöschung“ unterteilt den Titel gebenden Prozess in Phasen. Die Handlung springt mal um Monate, mal um Jahre. Im Wechsel aus Andeutungen und Auslassungen ergibt sich weniger eine Phänomenologie der Krankheit als vielmehr eine sensibel erzählte Interaktion. Jede „Äußerung“ des Kranken zieht die nicht minder bedeutsame Reaktion der Pflegenden nach sich. Und auch schauspielerisch steht Martina Gedeck Brandauer in nichts nach. Ihr Gesicht gibt Antworten auf die Krankheit, wird gleichsam zum Spiegel der Duldsamkeit und Demut. Sieht so uneigennützige „wahre“ Liebe aus? Bevor die letzten Phasen des Vergessens sanft eingeläutet werden, besteht ein Reiz des Films im medienspezifischen Drahtseilakt zwischen Spiel und Ernst. Solange der an Alzheimer Erkrankte weitgehend Herr seiner Sinne und seines Gehirns bleibt, enthält Leytners Film reichlich entlastende, geradezu spielerische Momente. „Hab’ ich dir eigentlich schon einmal gesagt, dass ich dich liebe?“, fragt Judith nach zwei Jahren Beziehung. „Warte… nein, weiß ich nicht. Sag’s ganz einfach noch einmal.“ Manchmal weiß man nicht genau: ist es noch Ironie oder ist es schon der Ernstfall. Brandauers Figur heißt Ernst, aber er spielt sie mit der Lust der Verzweiflung – bis sein Ernst „die gnädige Schwelle“ überschreitet, jenen Punkt, an dem er vergisst, dass er vergisst.