Papa liegt tot auf der Wohnzimmercouch. Vier Geschwister samt Anhang fürchten um ihr Erbe. Vielleicht ist ja schon alles zu spät. Womöglich hat „die ungarische Hure“, die ihn gepflegt und libidinös verwöhnt hat, sich nicht nur das Ferienhaus der Familie unter den Nagel gerissen. Besonders für Tochter Linda (Leslie Malton) waren die letzten Jahre ein einziger Alptraum. Dieser völlig enthemmte alte Mann! Die Fernbedienung in der einen, seinen Penis in der anderen Hand: So ist er nun auch gestorben, und Papas „Prinzessin“ musste ihm zu allem Überfluss auch noch „sein Ding“ in die Hose stopfen! Die drei Brüder hatten weniger Vorbehalte gegenüber dem Lebenswandel ihres Vaters. „Ich habe gedient, ein Leben lang, jetzt bin ich selber dran“, zitiert Jakob (Dominic Raacke) den letzten Lieblingsspruch des Lustgreises. Berufs-Revoluzzer Joschi (Joachim Król), den es am heftigsten treffen würde, wenn die Kinder beim Erbe leer ausgehen, hält sich zunächst zurück, stichelt allenfalls mal gegen seine überzeugungslosen Geschwister. Am wenigsten bringt sich Uli (Michael Rotschopf) ein; das Nesthäkchen der Familie hat sichtlich damit zu kämpfen, dass ihn seine Frau Franziska (Brigitte Zeh) verlassen will. Bleibt Fred (Herbert Knaup), Lindas Mann, den der Magen zwickt und der – weil nichts Essbares im Haus ist – immer eine Weinflasche in der Hand hält. Die Gespräche, der Alkohol und der tote Vater, der bald zu riechen anfangen könnte – bald sind alle davon zermürbt. Eine Lösung scheint es nicht zu geben. Wie wäre es, das Testament verschwinden zu lassen? Dass Lindas Ex, Max (Mathieu Carrière), der sie einst vor der Hochzeit hat sitzen lassen, die Testamentsangelegenheiten regelt, ist kein gutes Omen.
Foto: SWR / Christiane Pausch
Bevor der Fernsehfilm „Die Auferstehung“ sich auf den Höhepunkt zubewegt, kommt jener Anwalt juristisch bestimmend und etwas arrogant ins Spiel, bestätigt die schlimmsten Befürchtungen und treibt die vogelwilde Geschwisterschar in die Lethargie, bevor der Schluss diesem Erbstreit noch mal eine weitere Pointe aufsetzt. Der Todesfall bietet Gelegenheit, die ganze schmutzige Wäsche der letzten Jahre in wenigen Stunden zu waschen. „Da werden Dinge geklärt, brechen Konflikte offen aus, die noch keinen Kanal fanden, solange die Eltern lebten“, so Regisseur Niki Stein. Vor allem Linda, Papas Liebling, tobt vor Wut, weil sie sich durch „die Hure“ zurückgesetzt fühlt. Aber als sie im Laufe des Abends ihren Einsatz fürs gemeinsame Erbe von ihren Brüdern nicht wertgeschätzt sieht, zieht sie plötzlich auch gegen diese vom Leder. Dadurch bekommt auch der Zuschauer mehr und mehr Einblick in die Geschwister-Struktur dieser Familie, die ihren Lebensmittelpunkt im schwäbischen Ulm in den siebziger Jahren hatte. In ihrem Elternhaus sind nun alle wieder zusammengekommen. Da ist der ewige Kämpfer fürs Erbe der 68er, ein allseits belächelter politischer Spinner; und ausgerechnet der erlag der „bürgerlichen“ Gier, ruinierte sich mit einem Investment und war schuld, dass vom Erbe der Mutter bald nichts mehr übrig war. Da ist der intellektuelle Individualist, der gern ein Autorenfilmer geworden wäre, für den es aber nur zum Beiträge-Macher beim Fernsehen gereicht hat. Und da ist der Jüngste: ein Medizinstudium-Abbrecher. „Drei Söhne, drei Loser“, brüllt die Schwester. Nur sie habe Karriere gemacht. „Als Leiterin des Arthauses Memmingen“, spötteln die anderen. Es hagelt Vorwürfe, einer spuckt, einem rutscht die Hand aus, und die Nerven laufen Amok („Du blöde Sau, ich bring dich um!“).
„Wir haben vieles ohne Schnitt gedreht, aus vielen Perspektiven. Dass ich das mit einem der besten Kameramännern, die wir haben, Michael Schreitel, machen konnte, war mehr als hilfreich. Er hat auch das Lichtkonzept erarbeitet, das mir größtmögliche Freiheiten beim Inszenieren gab. Und ganz wichtig war, dass ich das Ganze mit einer herausragenden Cutterin, Julia Karg (‚Bad Banks‘), montiert habe!“ (Regisseur Niki Stein)
Foto: SWR / Julia Terjung
„Wenn beide Eltern tot sind, weiß man was Krieg bedeutet“, sagt der Anwalt mit süffisantem Unterton. Der Tod des letzten Elternteils, diese Nahtstelle einer Familiengeschichte, ist ein dramaturgischer Glücksfall für diese Tragikomödie, die Karl Heinz Käfer („Nacht ohne Morgen“) nach dem Roman von Karl-Heinz Ott geschrieben hat. Man redet übers Geld, in Wahrheit aber geht es um vermisste Liebesbeweise, gesuchte Anerkennung und um die ewige Konkurrenz zwischen den Geschwistern. Wer war Papis Liebling? Wer hat den Eltern auf der Tasche gelegen? Warum hatte Jakob zuletzt noch Kontakt mit dem Vater und weshalb hat er einen Schlüssel und die anderen nicht? Und wer hat sich jahrelang vermeintlich aufgeopfert und keinen Dank erhalten? Das hohe Bildungsniveau der Anwesenden befeuert den Streit – und macht ihn für den Zuschauer besonders reizvoll. „Lieber von Adorno versaut als ein philosophischer Volkshochschulclown“, höhnt der Möchtegern-Ingmar-Bergman. Es sind auch ideologische Gegensätze, die hier aufeinanderprallen. Da sind die, die der Gesellschaft eher mit einer Verweigerungshaltung begegnen, und da ist die Schwester, die das Leben erfolgreich zu meistern versucht. Aber auch unter den Häuslebauer-Verächtern gibt es solche und solche: Das Gehabe von Joschi, der sich von seinem Vater mit geballter Faust („Der Kampf geht weiter“) verabschiedet, ist Jakob suspekt: Wie der an der Uni einst ein zweiter Dutschke sein wollte, aber wie Hitler klang – grauenhaft! „Ist das mein Bruder? habe ich mich gefragt.“
Phänomenologischer vs. dramatischer Kammerspiel-Realismus
In den letzten Jahren gab es immer wieder Fernsehfilme, in denen Menschen für ein paar Stunden zusammenkommen, um etwas zu verhandeln („Die Konferenz“ von Niki Stein), um alten Zeiten zu gedenken („Zur Hölle mit den anderen“), um zu feiern, um sich dann aber im versammelten Freundeskreis Verletzungen aussetzen zu lassen („Silberhochzeit“) oder um entfesselt zu streiten („Familienfest“), um etwas „Unerhörtes“ mitgeteilt zu bekommen („Ein großer Aufbruch“) oder um einen Strich unter eine Beziehung zu setzen („Liebesjahre“). Die genannten Filme bewegen sich zwischen zwei Polen: einem Realismus, der sich nah an der Phänomenologie des Alltags bewegt, der Menschen reden lässt wie sie reden (Stefan Krohmer, Andreas Dresen) und einem Realismus, der seine Figuren im Kontext der (Zeit-)Geschichte klar positioniert und auf eine stärkere Pointierung der Dialoge und Interaktionen setzt, der also näher an einer modernen Theateraufführung dran ist als an einer Alltagssituation. Beide Tendenzen haben ihren Reiz. Niki Steins Filme tendieren zur traditionelleren Spielart des Kammerspiel-Realismus, bei dem der dramatische Entwurf (jede Figur steht für einen Typus der Zeitgeschichte) hinter der Alltagsoberfläche deutlich wird.
Foto: SWR / Christiane Pausch
Das Wohnzimmer als Leichenschauhaus. „Die Auferstehung“ ist ein Kammerspiel. Die Einheit von Raum, Zeit und Handlung erinnert an ein Theater-Scenario. Über die vordergründige Situation, den Ausgangskonflikt um ein Testament, das für alle Beteiligten nicht sonderlich erfreulich ausfallen könnte, kommen die Beteiligten bald auf die besonders heiklen Familienthemen zu sprechen. Als Zuschauer erkennt man Standpunkte, Widersprüche und die Rollenverteilung in der Familie. Auch wenn sich keine Figur analysieren (lassen) möchte – dieser Abend ist eine einzige Familienaufstellung, für die „Kinder“ eher destruktiv, für den Betrachter erhellend. Vor allem die Post-68er, die Kinder der Siebziger, die heute zwischen Mitte 50 und Mitte 60 sind, dürften sich in diesen Charakteren und Konflikten wiederfinden. „Es ist die Generation, die sich irgendwie Zeit ihres Lebens an ihren Eltern abgearbeitet hat“, sagt Regisseur Niki Stein, „selbst angesichts des Todes der Eltern benehmen sie sich noch wie Kinder.“ Da passt es gut ins Bild, dass es noch die Kinderzimmer gibt und sie fast noch so aussehen wie damals. Hier ist der Plattenspieler, auf dem sich Pink Floyds „Wish You Were Here“ dreht, dort hängt ein Bowie-Poster – solche Signale erleichtern auch dem Zuschauer den Zugang. Wie überhaupt ein großer Wert dieses Films darin liegt, dass er es ermöglicht, eigene Filme im Kopf in Gang zu setzen. Familiengeschichte ist immer auch Zeitgeschichte und umgekehrt – das macht diese SWR-Produktion auf amüsante Weise deutlich. Jeder kriegt sein Fett weg – und doch werden die Figuren nicht vorgeführt. Dafür sind sie anfangs auch zu wortgewandt. Und egal wie schräg die Charaktere drauf sind – Top-Schauspieler wie Leslie Malton, Herbert Knaup, Joachim Król oder Dominic Raacke verraten nun mal ihre Rollen nicht. „Ich hab‘ der Kleinfamilie schon immer misstraut“, sagt Joschi, als er von Ulis Ehekrise hört. „Du wiederholst dich“, kontert Jakob. „Jede Geschichte wiederholt sich – mal als Tragödie, mal als lumpige Farce“, stellt der Linke klar und erntet einen Sympathiepunkt. Mal kann man dem einen, mal dem anderen beipflichten. Man muss sich nicht auf eine Sympathie- oder Antipathiefigur festlegen, kann zu allem und jedem auf Distanz gehen, kann flüchtige Koalitionen schmieden und am Ende selbstständig zu einer eigenen Erkenntnis gelangen. Das ist das Schöne an solchen Geschichten. (Text-Stand: 12.5.2019)