Der Zürich-Krimi – Borcherts Fall

Kohlund, Bauerfeind, Hunger-Bühler. Allerweltskrimi aus Allerweltsgroßstadt

Foto: Degeto / V.S. Sadilek
Foto Tilmann P. Gangloff

Der Handlungsort der „Zürich-Krimis“ ist bei weitem nicht so exotisch wie die Schauplätze der anderen neuen Degeto-Reihen. Dass der Auftaktfilm, „Borcherts Fall“, eine gelinde Enttäuschung ist, hat jedoch andere Gründe: Die horizontal erzählte Geschichte über den Absturz des Anwalts ist weitaus interessanter als der eigentliche (Entführungs-)Fall. Ein noch größeres Manko ist jedoch die fehlende Spannung zwischen den Hauptdarstellern.

Gemessen an den Schauplätzen der anderen neuen Donnerstagskrimis (Jahrgang 2016), die in Athen, Urbino und Tel Aviv spielen, wirkt Zürich ziemlich unexotisch. Da Matthias Steurer und sein Kameramann Michael Boxrucker darauf verzichtet haben, die glitzernden Seiten der Metropole zu betonen, wirkt sie wie eine ganz normale mitteleuropäische Großstadt; Drehbuchautorin Verena Kurth hätte die Handlung zumindest des Reihenauftakts, „Borcherts Fall“, ohne weiteres auch anderswo ansiedeln können. Große Teile der ersten beiden Filme, die die ARD innerhalb von acht Tagen zeigt, sind ohnehin in Prag gedreht worden.

Die Geschichte ist ebenfalls nicht außergewöhnlich und wie so viele Krimis im Grunde ganz einfach, aber kompliziert verpackt, damit sich die 90 Filmminuten füllen lassen. Immerhin sind die beiden Erzählebenen, mit denen der Film beginnt, geschickt miteinander verknüpft: Eine philippinische Frau hat sich mit einem kleinen Jungen in einer Schrebergartenhütte versteckt. Als der Junge Hunger hat, klaut sie an einem Marktstand ein paar Lebensmittel, wird jedoch ertappt. Es kommt zu einem Handgemenge, ein Mann will der Frau helfen, und am Ende werden beide verhaftet. Dieser Mann ist die Hauptfigur, und dass er von Christian Kohlund verkörpert wird, wirkt fast wie eine Reminiszenz an frühere Jahre, als die ARD-Tochter Degeto freitags noch ganz auf Schmonzetten setzte; bis 2014 spielte der Schweizer zehn Jahre lang in 20 Filmen den „Traumhotel“-Manager Markus Winter. Davon ist – wenigstens das ist erfreulich – der „Zürich-Krimi“ allerdings weit entfernt, dafür sorgen schon die Bilder, die nicht nur deshalb so kühl aussehen, weil im Winter gedreht worden ist.

Der Zürich-Krimi – Borcherts FallFoto: Degeto / V.S. Sadilek
Der Vater von Kuster, Staranwalt Reto Zanger (Robert Hunger-Bühler), ist ein alter Freund von Thomas Borchert (Christian Kohlund). Viel zu sagen haben sie sich heute nicht mehr.

Ähnlichkeiten zwischen den jeweiligen Hauptrollen gibt es allerdings sehr wohl, auch wenn Thomas Borchert Anwalt ist. Der Jurist, stellt sich nach und nach heraus, hat angeblich Millionen veruntreut; die Frau seines früheren Partners beschuldigt ihn zudem, er trage eine Mitschuld am Suizid ihres Mannes. Borchert ist also eine durchaus schillernde Figur, aber dank Kohlund schon allein filmografisch fast automatisch Sympathieträger. Im zweiten Fall wird bestätigt, was auch der erste zwischendurch nahelegt: Der Anwalt ist Opfer eines Komplotts geworden. Der Titel „Borcherts Fall“ ist doppeldeutig zu verstehen: Er bezieht sich nicht nur auf den Casus, sondern auch auf den Absturz. Zunächst gilt sein Streben jedoch der Philippinin Amihan (Kotti Yun), die von der Polizei nicht nur wegen des Diebstahls festgehalten wird: Sie verrät Borchert zwar das Versteck des Jungen, doch der ist mittlerweile von einem Pärchen verschleppt worden; und Amihan wird verdächtigt, an der Entführung beteiligt zu sein. Das ist zwar nicht ganz falsch, aber Borchert findet heraus, dass sich dieser Fall in Wirklichkeit ganz anders darstellt; ebenso wie sein eigener. Gemeinsam mit Dominique (Katrin Bauerfeind), der Tochter eines alten Freundes (Hunger-Bühler), versucht er, Amihan zu helfen. Dominique ist zunächst wenig begeistert, hat aber ein Herz für Menschen in Not.

Die Kombination Kohlund/Bauerfeind ist auf dem Papier nicht uninteressant, aber es funkt nicht so recht zwischen den beiden; der Schweizer hat eine wunderbare Reibeisenstimme, spielt aber stark nach innen. Bauerfeind wiederum ist eine ausgezeichnete Moderatorin und hatte beispielsweise im ersten „Zorn“-Krimi schöne Momente, bekommt in ihrer Rolle als Anwältin aber nicht genug Spielmaterial; in solchen Situationen fehlen ihr dann spürbar die Mittel, über die man möglicherweise verfügt, wenn man das Handwerk gelernt hat. Auch einige der anderen Darsteller wirken mitunter von der Regie allein gelassen; dabei ist Steurer, der mit „Kleine Schiffe“ und „Vier kriegen ein Kind“ zwei der ersten Degeto-Produktionen der neuen Ära inszeniert hat, ein Regisseur, der seine Schauspieler zu führen weiß. Hier lässt er unter anderem Leslie Malton, die eine alte Freundin Borcherts spielt, energisch ein Ei köpfen, als sie sich über ihren Mann ärgert; das ist in etwa die Subtilitätsebene, auf der sich der Film abspielt. Die Dame gehört wie ihr Mann (Richard van Weyden) zur feinen Zürcher Gesellschaft; gerade der Gatte hat eine Menge Dreck am Stecken.

Aber nicht nur zwischen den Figuren entstehen zu wenige Reizpunkte; selbst typische Krimiszenen sind nicht sonderlich spannend. Von dem Feuer, das Borchert mittels eines Dürrenmatts-Zitat beschwört, ist nichts zu spüren („Man kann die Wahrheit nicht ins Feuer werfen, sie ist das Feuer.“). Kurths Drehbuch erfreut mit noch weiteren Weisheiten („Schweigen ist die Tugend der Wissenden“), aber prägnanter sind einige Details, bei denen man natürlich nicht weiß, ob sie schon im Drehbuch standen, etwa das fast schon unseriös wirkende Dekollete von Kusters Sekretärin oder ein kleiner Moment, als Borchert mit seinen feinen Schuhen in den Matsch tritt. Wie in allen Auslandsproduktionen der Degeto sprechen sämtliche Mitwirkenden ein makelloses Hochdeutsch, was dem Film viel von seinem potenziellen Lokalkolorit nimmt; aber zumindest klingen die Dialoge anders als im „Tatort“ aus Luzern nicht künstlich. Und der Schluss schürt immerhin erfolgreich die Neugier auf die Fortsetzung der horizontalen Geschichte; die ist ohnehin interessanter als der Entführungsfall.

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Reihe

ARD Degeto

Mit Christian Kohlund, Katrin Bauerfeind, Robert Hunger-Bühler, Felix Kramer, Valentina Sauca, Michael Lott, Leslie Malton, Richard van Weyden, Dominik Weber, Kotti Yun, Dennis Ungewitter

Kamera: Michael Boxrucker

Szenenbild: Jérôme Latour

Kostüm: Mirjam Muschel

Schnitt: Dagmar Pohle

Musik: Michael Klaukien & Andreas Lonardoni

Produktionsfirma: Graf Filmproduktion, Mia Film

Drehbuch: Verena Kurth

Regie: Matthias Steurer

Quote: 4,74 Mio. Zuschauer (14,8% MA)

EA: 28.04.2016 20:15 Uhr | ARD

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