Hochmut kommt vor dem Fall. „Tod im Prater“
Der Wiener Prater war schon immer ein beliebter Filmschauplatz. Tatsächlich ist die Tradition an die hundert Jahre alt; sie begann 1926 mit dem Stummfilm „Die Pratermizzi“. Bekanntestes Beispiel ist sicherlich Carol Reeds Klassiker „Der dritte Mann“ (1949) mit der berühmten Riesenradszene. Von wenigen Ausnahmen wie etwa Josef Haders Regiedebüt „Wilde Maus“ (2017) abgesehen dient der Vergnügungspark allerdings meist nur als pittoresker Hintergrund. Der sechste „Wien-Krimi“ erzählt hingegen eine Krimigeschichte, die untrennbar mit den Fahrgeschäften verbunden ist. Zunächst stellt „Tod im Prater“ das Ermittlungsteam jedoch vor ein komplettes Rätsel: Ein Mann ist aus dem sechsten Stock eines Bürogebäudes gestürzt. Als Kommissarin Janda (Jaschka Lämmert) die Witwe informieren will, findet sie die Frau, die sich offenbar mit Tabletten umbringen wollte, leblos im Bett. Weil sie sich keinen Reim auf die beiden Ereignisse machen kann, bittet sie ihren bei einem Attentat erblindeten früheren Chef Alex Haller (Philipp Hochmair) um Hilfe und verkündet ihm bei der Gelegenheit, dass er ab jetzt einen offiziellen Status als Sonderermittler genießt, Ausweis und Sheriffstern inklusive. Hallers Freund, Chauffeur und Augenersatz Niko Falk (Andreas Guenther), geht zwar leer aus, aber Haller befördert ihn immerhin zum Sonderassistenten.
Diese Kombination – hier der Krimi, dort die Freundschaftsmomente – zieht sich durch den gesamten Film, der ohnehin großes Vergnügen bereitet: weil sowohl Haller und Falk wie auch Hochmair und Guenther ein ungemein sympathisches Team bilden, weil sich der Prater zum dritten Hauptdarsteller entwickelt und weil der Fall immer komplizierter wird. Alles spricht dafür, dass die Frau ihren Mann aus dem Fenster gestoßen hat; Aufnahmen einer Überwachungskamera zeigen sie vor und nach der Tat im Parkhaus. Trotzdem gibt es einige Ungereimtheiten, weshalb sich Haller und Falk mit dem beruflichen Umfeld des Opfers befassen: Tom Wahrmund war Mitarbeiter eines äußerst erfolgreichen Unternehmens für Registrierkassen, hat aber nicht die erwarteten Leistungen gebracht. Vor einem halben Jahr ist er plötzlich durchgestartet, als es ihm gelungen ist, quasi den kompletten Prater als Kundschaft zu gewinnen; und spätestens jetzt befördert Regisseurin Katharina Mückstein, die auch schon den vierten „Wien-Krimi“ („Tod im Fiaker“) gedreht hat, den Film auf ein Niveau, das mit den von Jano Ben Chaabane inszenierten besten Episoden der Reihe mithalten kann.
Foto: Degeto / Philipp Brozsek
Gerade die Kirmesszenen bescheren dem Krimi viel Kurzweil, weil die beiden Freunde erst mal dem Kind im Manne frönen. Im Gedenken an seine Mutter hat Wahrmund jedes Jahr an ihrem Todestag eine Tour im „Geisterschloss“ gedreht, also machen Haller und Falk das auch, was Guenther weidlich nutzt, um viel Erschrecken zu mimen, während Hochmair entspannt in sich hineinschmunzelt. Es ist ohnehin sehr schön mitanzuschauen, wie sich seine Rolle entwickelt hat: Jazz-Liebhaber Haller, der sich beim Tai-Chi von Thelonious Monk begleiten lässt, hat sein altes Leben im Hotel (inklusive Patricia Aulitzky als Schwester) und damit auch jede Verbitterung hinter sich gelassen. Im Verlauf ihrer Prater-Recherche finden die Freunde heraus, dass Wahrmund seine Erfolgsbilanz unlauteren Methoden verdankt. „Hochmut kommt vor dem Fall“, kommentiert ein Standbetreiber den Absturz; Harald Schrott nutzt die Nebenrolle für ein amüsantes Strizzi-Porträt. Neben den stellenweise recht makabren Dialogen erfreut das Drehbuch (Bastian Zach & Matthias Bauer) nicht zuletzt durch viele beiläufig eingestreute Nebensächlichkeiten, die nur scheinbar nichts mit der Handlung zu tun haben. Für allerlei Heiterkeit sorgt unter anderem ein Schoßhund namens Krümel, der schließlich entscheidend zur Lösung des Falls beiträgt. Höhepunkt des Films und eine Art Hommage an „Der dritte Mann“ ist eine Verfolgungsjagd in der Geisterbahn.
Soundtrack (1): Der Nino aus Wien („Unter Fischen“), Thelonious Monk („’Round Midnight“, „Caravan”), Bilderbuch („Maschin“), Dave Brubeck („Take Five“) (2): Corona („The Rhythm Of The Night”), Nina Simone („Sinnerman”), Shouse („Love Tonight”, Robin Schulz Remix), Acraze feat. Chrish („Do It To It”
Sisis Fluch. „Die nackte Kaiserin“
Foto: Degeto / Philipp Brozsek
Sisis Fluch. „Die nackte Kaiserin“
Elisabeth von Österreich-Ungarn war so etwas wie der erste Medienstar. Trotz der Erfindung der Fotografie gibt es jedoch kaum Bilder aus Sisis zweiter Lebenshälfte: Sie wollte der Nachwelt als schöne junge Frau in Erinnerung bleiben. Gegen ihre letzte Aufnahme konnte sie sich nicht wehren: Sie zeigt den unbekleideten Leichnam der 1898 in Zürich ermordeten Kaiserin auf einem Obduktionstisch, gut zu erkennen anhand einer kleinen Tätowierung auf ihrem Schulterblatt. Der Wiener Hoffotograf hatte sich geweigert, das Foto zu machen, also hat sein Assistent auf den Auslöser gedrückt. Kurz drauf ist der Mann ums Leben gekommen. Seither liegt ein Fluch auf dem Bild: Jeder, der nur einen kurzen Blick darauf wirft, muss sterben. Die Aufnahme ist, sorgsam verpackt, innerhalb der Fotografenfamilie von Generation zu Generation weitergegeben worden, stets mit der Auflage, sie niemals der Öffentlichkeit zugänglich zu machen; aber weil Hab- und Neugier erfahrungsgemäß stärker sind als die Angst, fordert der Fluch der Kaiserin weitere Opfer.
Diese Rahmenhandlung ist so gut, dass die Umsetzung in jedem Fall einen fesselnden Film ergeben hätte, aber „Die nackte Kaiserin“ knüpft nahtlos an die Qualität der letzten Episode an. Regie führte wieder Katharina Mückstein, das Drehbuch stammt von Nils Morten Osburg. Als die letzte Nachfahrin (Julia Hartmann) des einstigen Hoffotografen das Bild erbt, wird ihr Mann bei einem Überfall erstochen und das Foto (eine Fiktion!) geraubt. Haller braucht allerdings nicht lange, um den Fall zu lösen. Das Corpus Delicti soll auf Nimmerwiedersehen im Nationalarchiv verschwinden; aber dann kommt es zu einem weiteren Todesfall.
Foto: Degeto / Philipp Brozsek
Erneut liegt ein besonderer Reiz der Geschichte in ihrer engen Verknüpfung mit dem Handlungsort; der Einfall, dem Sisi-Mythos eine ganz andere Seite abzugewinnen, ist ohnehin clever. Hinzu kommt eine Freude am Detail, die auch schon „Tod im Prater“ auszeichnete. So ist beispielsweise ein Besuch der abergläubischen Haushälterin des verstorbenen Fotografen im Polizeirevier weit mehr als bloß ein Vorwand, um die skurrile Seite des Falls zu betonen; ihre Ausführungen enthalten den Schlüssel zur Lösung des Rätsels. Trotzdem spielt das Drehbuch natürlich auch mit der Frage, wie ernst der Fluch zu nehmen sei. Während Haller dagegen gefeit ist, nimmt Falk die Sache sehr ernst, was zu einigen amüsanten Szenen führt. Die Kombination aus Krimi und Komödie ist ohnehin wieder sehr gut gelungen.
Darüber hinaus beeindruckt auch dieser Film durch seine Schauplätze, darunter das imposante Barock-Palais Kinsky sowie die nicht minder eindrucksvolle Nationalbibliothek. Höhepunkt ist ein opulenter Kostümball, bei dem die geladenen Gäste ausnahmslos als Sisi oder Ludwig II. verkleidet sind. Wie sich Falk ein ums andere Mal bei der Verfolgung eines Mannes (David Rott), der mit Sisi-Devotionalien handelt, durch die tanzende Menge kämpfen muss, ist ähnlich heiter wie die Auftritte von Lassmann (Michael Edlinger). Der Polizist ist keine Witzfigur, fällt aber regelmäßig aus der Rolle, wenn er zum Beispiel beim Fest in einer zwar naheliegenden, aber dennoch denkbar falschen Verkleidung erscheint. Während die Inszenierung des Balls mit rund hundert Komparsen vermutlich vor allem eine logistische Herausforderung war, verdeutlichen andere Szenen, wie sorgsam Mückstein und Schindegger viele Einstellungen gerade auch dank des Zusammenspiels von Szenen- und Kostümbild komponiert haben. Die Liebe zum Detail zeigt sich nicht zuletzt in einer Szene, in der die Schnitte zum Rhythmus des Nina-Simone-Songs „Sinnerman“ erfolgen; vermeintlich simpel, aber sehr effektvoll – wie so viele Drehbuch- und Regieeinfälle in den beiden „Wien-Krimis“.