Ein nächtlicher Beziehungsstreit in einem Berliner Club. Wenig später liegt die DJane Tamar Levi lebensgefährlich verletzt auf dem nassen Asphalt. Kommissarin Sara Stein (Katharina Lorenz) ist Zeugin des Todeskampfs der jungen Israeli. Da Khalid (Camill Jammal), der eifersüchtige Freund der Toten, Palästinenser ist, wittert die Öffentlichkeit einen politisch motivierten Mord. Sara sieht das anders, aber eine Beziehungstat erscheint ihr zu simpel. Weshalb steht „Mörderin“ auf der Windschutzscheibe des Wagens der Toten? Andererseits waren deren letzten Worte „fuck off“, in Richtung ihres Freundes. Und wie ist dessen extrem verzweifelte Trauer einzuschätzen? Aber auch Khalids Eltern (Ramin Yazdani & Meral Perin) machen sich verdächtig, genauso wie Ronit Levi (Neta Riskin), die ihre lebenshungrige, ungläubige Schwester zu Gott zurückführen wollte. Und wer ist dieser rothaarige Mann mit Kippa (Aram Tafreshian), der die Kommissarin mit dem Messer angeht. Ein verzwickter Fall also. „Egal, wen wir als Mörder ermitteln, es wird immer irgendjemand nicht passen“, weiß die Kommissarin. Außerdem könnte sich ein weiteres Problem daraus ergeben, dass Sara selbst Jüdin ist, was für sie als waschechte Berlinerin allerdings bisher nie eine besondere Rolle gespielt hat. Ihre Kollegen sind ihr nur bedingt eine Hilfe: Da ist Anne Rodeck (Katharina Marie Schubert), ängstlich und eigentlich nur für den Innendienst zu gebrauchen. Da ist Max (Aljoscha Stadelmann), auch keine Leuchte in Sachen Ermittlungsarbeit – und Saras Chefin Vera Schubert (Kirsten Block) ist sichtlich beeinträchtigt durch ihre Eheprobleme.
Ursprünglich sollte die neue ARD-Reihe „Der Tel Aviv Krimi“ ausschließlich in Israel spielen. Der jüngste Gaza-Krieg im Sommer 2014 verzögerte dann allerdings den ursprünglichen Nahost-Einsatz der deutschen Jüdin um ein halbes Jahr. Entstanden ist dafür das Prequel „Tod in Berlin“, in dem erzählt wird, wie die Hauptkommissarin in der deutschen Hauptstadt ermittelt und wie sie über einen israelischen Musiker den Weg nach Tel Aviv findet, wo sie dann erstmals in der zweiten Episode der Reihe, „Shiv’a“, ermitteln wird. Auch wenn es durchaus schon genügend deutsche Großstadtkrimis gibt (deshalb ist Tel Aviv als Schauplatz ja eine so gute Idee), bereichert dieser doch das Genre um eine sehr markante Variation. Das Thema, das die Heldin in Tel Aviv, bei ihrer Arbeit und in ihrem Privatleben, begleiten wird, die Spannungen zwischen Arabern, Drusen, orthodoxen und weltlichen Juden, nimmt die Reihe auf deutschem Boden vorweg. Der Film spiegelt damit auch die verfahrene realpolitische Situation im Nahen Osten und er charakterisiert damit gleichzeitig die Heldin als eine moderne Frau, die – obwohl Jüdin – mit Glaubensfragen, geschweige denn Glaubenskrieg, bislang wenig konfrontiert wurde. Und so beschäftigt einen als Zuschauer bei „Tod in Berlin“, obwohl die Autoren Martin Kluger und Maureen Herzfeld den Film wie einen klassischen Whodunit angelegt haben, doch sehr viel mehr als allein die Frage, wer denn nun diese attraktive, impulsive und alles andere als nur liebenswerte DJane umgebracht hat. Neben Religion und Lifestyle, zu dem auch angenehm beiläufig die im Herzen von Kreuzberg wohnende, passionierte Radfahrerin und Döner-Expertin Sara Stein einiges beizutragen hat, gibt es noch die Liebesgeschichte („vielen Dank für die bezaubernde Störung“), die sich da anzubahnen droht und die zumindest als romantisches Kintopp gut funktioniert, und es gibt dieses höchst unkonventionelle Kommissariat, auf Abruf zwar, aber immer für einen launigen Überraschungsmoment gut: Eine Polizistin, die von der Welt da draußen Beklemmungen bekommt und dieser die Sicherheit ihres Schreibtischs vorzieht, gab es in dieser ernsthaft-schrägen Form, beeindruckend glaubwürdig von Katharina Marie Schubert gespielt, wohl noch nicht. Und Aljoscha Stadelmann, der ja in „Harter Brocken“ bewies, dass er sogar als eigenständiger Ermittler eine gute Figur macht, belebt das Trio als origineller Sidekick.
Khalid, der Freund der Toten, säuft sich den Schmerz von der Seele. Sind vielleicht auch Schuldgefühle oder Selbsthass mit dabei? Camill Jammal und Meral PeronGesicht, Körper, Geist und Seele von „Tod in Berlin“ (und auch dem zweiten Film der Reihe, „Shiv’a“) ist aber Katharina Lorenz. Die Schauspielerin, die seit fast zehn Jahren vornehmlich das Theaterpublikum begeistert (derzeit am Burgtheater Wien), hat sich bisher im Fernsehen rar gemacht. Besetzte man sie im Theater anfangs als „süßes Mädel“, bevor sie das Gretchen zur selbstbestimmten, modernen Frau machte, war sie in ihren wenigen Fernsehrollen meist das Opfer und Männer ihre Peiniger: „Du gehörst mir“ (2007), „Tatort – Wolfsstunde“ (2008), „Das Ende einer Nacht“ (2012). Ganz anders ihre Kinohauptrollen in „Rückkehr der Störche“ (2007) oder „Das rote Zimmer“ (2010), von denen allerdings kaum einer Notiz nahm. Die beiden herausragenden TV-Dramen von Matti Geschonneck, „Ein großer Aufbruch“ und „Der verlorene Bruder“, machten sie schließlich zum interessantesten „Gesicht“ 2015 im deutschen Fernsehfilm. Dass Katharina Lorenz für das Fernsehpublikum ein – im wahrsten Sinne des Wortes – weitgehend unbeschriebenes Blatt ist, beschreibt die Möglichkeiten, die einer solchen Schauspielerin für eine neue TV-Reihe innewohnen: Sie muss sich nicht abarbeiten an Images und vorherigen Rollen, muss sich nicht frei spielen von Jugendsünden oder anderen Vorurteilen der Zuschauer. Sie kann mit dem punkten, was sie mitbringt, hier und jetzt: Sie ist äußerst flexibel im mimischen Ausdruck, sie besitzt eine große physische Präsenz, ihr Körper wirkt geradezu durchtrainiert. Selbst wenn ihre Sara Stein zuschlagen muss, nimmt man ihr das ab. Und auch als romantische Liebhaberin weiß Lorenz zu überzeugen. Jenseits ihrer schauspielerischen Qualitäten dürften sicher auch ihr makelloses Aussehen, das in ihren frühen Rollen noch stärker androgyne Züge trug, und ihre markante Ausstrahlung, die zwischen Nähe und Distanz ein weites Feld an Möglichkeiten bietet, ein Argument sein, dieses unbeschriebene Blatt zu einer Reihen-Heldin zu machen.
In „Tod in Berlin“ darf Katharina Lorenz bereits viele ihrer Facetten zeigen. Regisseur Matthias Tiefenbacher, besonders tonlagensicher bei sensiblen Psychodramen wie „Und dennoch lieben wir“ oder „Gestern waren wir Freunde“, scheint der richtige Regisseur zu sein, um dieser Schauspielerin eine Aura zu entlocken und ihrer Figur Seele, Dynamik und eine soziale Verortung zu geben. Er und Kameramann Holly Fink etablieren einen sehr sinnlich vermittelten Realismus aus Alltagssituationen, angerissenen Sätzen oder Szenen, in denen die Kamera nur beobachtet und Stimmungen einfängt. Und mittendrin eine Heldin, die am liebsten ihr Büro in ihren Stamm-Imbiss verlegen würde. Dieses Berlin ist düster, dreckig und heruntergekommen. Der Himmel über dieser Stadt ist grau, die Verdächtigen lecken ihre Wunden und verdächtigen sich gegenseitig. Der Plot erfindet das Genre nicht neu, aber die Inszenierung macht aus „Tod in Berlin“ einen atmosphärischen Multikulti-Krimi, dessen glaubwürdige Besetzung der israelischen und palästinensischen Rollen und der umsichtige Umgang mit den Muttersprachen (einige Passagen sind untertitelt), entscheidend mit zum Realismuseindruck beitragen. Das Fremde bleibt ein Stück weit fremd, wird hier der besseren Goutierbarkeit wegen nicht zwanghaft verbal und auch emotional „eingedeutscht“ und mit bekannten Schauspielern glatt gebügelt. Der erste „Tel Aviv“-Krimi deutet also schon das Alleinstellungsmerkmal dieser Reihe innerhalb der ARD-Donnerstagskrimis an, die ihre „Tatorte“ fast ausschließlich ins Ausland verlegen. In „Shiv’a“ wird Sara Stein noch tiefer eindringen in die fremde Kultur ihrer neuen Heimat. (Text-Stand: 3.2.2016)