Ein Polizistenmord in Tel Aviv. Chefinspektor Noam Shavit ist auf grausame Weise mit einer Plastiktüte erstickt worden. Für die ehemalige Berliner Kommissarin Sara Stein (Katharina Lorenz) ist es ihr erster Fall nach einem Jahr an der israelischen Polizeiakademie. Sie ist eine Jüdin ohne Glauben, übergesiedelt nach Tel Aviv allein der Liebe wegen. Sie ist mittlerweile mit dem Musiker David Shapiro (Itay Tiran) verheiratet. Den Fall soll sie gleichberechtigt mit Jakoov Blok (Samuel Finzi) bearbeiten. Der Inspektor mit russischen Wurzeln ist ein mundfauler, schwer zu durchschauender Mann, der ihr einiges zu verschweigen scheint. Wahrscheinlich war das der Grund, weshalb man sie als „Aufpasserin“ in die Ermittlungen miteinbezogen hat. Der Fall beginnt absurd: Am Tatort findet man die gleichen Faserspuren wie vor über zwei Jahren bei einem Raubmord, den der Tote damals nicht aufklären konnte. Hat er sich wieder an diesen alten Fall gemacht? Eigentlich war der Mann krank geschrieben, weil er nach dem Krebstod seiner Frau seelisch schwer angeschlagen war. Ist er dem Mörder von damals auf die Schliche gekommen? Aber welcher Täter verübt nach zwei Jahren einen Mord nach ähnlichem Muster und trägt dabei denselben Pulli? Verdächtig benimmt sich Amir (Tomer Kapon), der Ziehsohn des Toten, auf den die Polizeikollegen allerdings nichts kommen lassen. Eine weitere Spur führt zu Ariel Gutman (Ishai Golan), einem egomanischen, aber hoch angesehenen Architekten, der für einen Raubmord als Täter ebenso wenig in Frage kommt. Kollege Blok hat für sich den Täter ohnehin längst ausgemacht: Milan Katz. Nach Saras Empfinden schießt sich der Russe etwas zu sehr auf diesen „schweren Jungen“ ein.
„Der Tel Aviv Krimi“ geht in „Shiv’a“ den Weg, den das Prequel „Tod in Berlin“ einschlug, konsequent weiter. Außer Katharina Lorenz, die Sara Stein verkörpert, jene zwischen häufig tough und seltener apart agierende jüdische Kommissarin aus Deutschland, und dem bulgarisch-deutschen Samuel Finzi, der gewohnt charismatisch den russischen Melancholiker gibt, wurden keine weiteren deutschen Schauspieler besetzt. Dafür hat sich die Produktion vor Ort ein buntes israelisches Ensemble zusammengestellt – aus Urgesteinen wie Ami Weinberg („München“) oder Gila Almogor (Silberner Bär für „Aviyas Sommer“), aus kantigen Genre-Köpfen wie Gil Frank oder Ishai Golan und ausdrucksstarken Nachwuchskräften wie Gaia Shalta Katz, Tomer Kapon und Bat-Elle Mashian als Saras Kollegin mit rasantem Fahrstil und cooler Ausstrahlung. Star des israelischen Casts ist der attraktive Itay Tiran, der bereits im Auftaktfilm Sarah Steins „Liebe auf den ersten Blick“ war und hierzulande bekannt ist durch seine Hauptrollen in Peter Kosminskys Mini-Serie „Gelobtes Land“ und dem Kinofilm „Anleitung zum Unglücklichsein“. Die Besetzungspolitik trägt viel zur „Glaubwürdigkeit“ des Films bei. Das Prinzip funktioniert hier mindestens so gut wie in der ZDF-Krimi-Reihe „Der Kommissar und das Meer“. Ansonsten lässt man ja bekanntlich nur deutsche Stars als Ausländer vor fremdländischer Kulisse agieren: mit den „Donna Leon“-Filmen in Venedig begann dieser Krimi-Budenzauber, jetzt will ihn die ARD Degeto zu einer Art „Tatort“ Europa am Donnerstag machen. Mit Tel Aviv starte(te)n Athen, Bozen und Urbino in Mittelitalien Anfang dieses Jahres – und Sara Stein ist die mit Abstand vielversprechendste Figur, nicht nur wegen des Faktors „Glaubwürdigkeit“. Denn die Reihe besitzt mit Katharina Lorenz („Der verlorene Bruder“) auch eine der interessantesten Schauspielerinnen ihrer Generation, die bisher vornehmlich am Theater reüssierte und somit den Vorteil besitzt, mit einem frischen, unverbrauchten Gesicht den Zuschauer in den „Tel Aviv Krimi“ mitzunehmen. Außerdem verspricht der Schauplatz als Schmelztiegel verschiedener Religionen und Ethnien spannender zu werden als das, was den Machern bisher zu Italien oder Griechenland eingefallen ist.
„Shiv’a“ nach dem Drehbuch von Martin Kluger und Maureen Herzfeld fächert wie schon „Tod in Berlin“ atmosphärestark einen Whodunit auf, der wenig spektakulär, sehr geradlinig am Gang der Ermittlungen entlang erzählt ist, aber nie an Reiz verliert. Der Zuschauer heftet sich an die Fersen der Heldin, weil auch ihr diese Welt, diese Rituale, noch weitgehend fremd sind: „Was ist das für ein Mörder, der für sein Opfer den Spiegel verhängt?“, fragt sie sich. Eine gute Frage, wie sich später zeigen wird. Realismus wird auch in der zweiten Geschichte der Reihe groß geschrieben. Hier zeigt er sich vor allem in der Art und Weise, wie das Leben in Tel Aviv abläuft, das auch ein Zusammenleben von orthodoxen und weltlichen Juden, von Arabern und Drusen ist. Und wie es der Titel andeutet, geht es nebenbei auch um die Shiv’a, die jüdische Trauerwoche. Den Autoren und dem Regisseur Matthias Tiefenbacher gelingt es, die Rituale einer fremden Kultur immer wieder unverkrampft ins Spiel zu bringen und sie als allgegenwärtig spürbar zu machen, ohne dabei das Gefühl der „Fremdheit“ überwiegen zu lassen. Denn so überzeugend die Besetzung mit israelischen Schauspielern prinzipiell ist, sie bleibt auf jeden Fall ungewohnt für den Blick eines deutschen Millionenpublikums. Diese Fremdheit, die unbekannten Gesichter, die Synchronisation (die sehr gut gelungen ist), die gelegentliche Untertitelung, muss man „aushalten“. Damit hat der „Tel Aviv Krimi“ indirekt auch sehr viel mit Deutschland 2016 zu tun. Wir leben nicht mehr in den Zeiten der „Schwarzwaldklinik“. Wer allerdings mit hiesigen Filmproduktionen ins Ausland geht und dort die einheimischen Charaktere mit deutschen Schauspielern besetzt, Sehnsuchtsländer wie Italien oder Schweden durch und durch deutsch werden lässt (was für eine Wunschbild!) – der macht heute nicht weniger „Traumschiff“ als Wolfgang Rademann vor 30 Jahren.
Auch filmisch ist „Shiv’a“ eine Klasse besser als das, was der sich international gebende „Donnerstagskrimi“ bisher auf die Reihe gebracht hat. Wie schon im Berlin-Film sorgen Bildgestalter Holly Fink und Schnittmeister Horst Reiter für einen guten Bilder- und Erzählfluss, die Anmutung ist insgesamt luftig und bewegt, die Szenen bei Nacht sind eher düster und tagsüber scheint schon mal die Sonne über der Hafenstadt. Tel Aviv ist ein Ort der Arbeit, da bleibt – zum Leidwesen des Ehemanns – wenig Zeit fürs Private. Topographisch hat sich die Heldin die Stadt längst erobert. Sie joggt und ist ständig mit dem Fahrrad unterwegs. Bewegung ist ihr Prinzip: Selbst im Kopf scheint sie immer ein bisschen schneller zu sein als die Kollegen, die außer Finzis Blok alle ein bisschen Dienst nach Vorschrift machen. Mit Fäusten kann sie es auch; allerdings, gegen einen polizeibekannten Haudrauf hat sie keine Chance. Grüne Trainingsjacke mit schwarzen Leggins, so kleidet sich diese durchtrainierte Frau mit Bewegungsdrang logischerweise im Alltag. Alle drei Hauptfiguren besitzen eine gewisse Neigung dazu, sich zu isolieren – Sara und ihr Musiker-Gatte durch ihre Arbeit, Blok durch seine unbewältigten Gefühle. Das gibt Tiefenbacher & Co immer wieder die Möglichkeit, die Figuren in wortlosen Szenen stimmungsvoll zu begleiten und dem Zuschauer ein kleines Mehrwissen gegenüber der Heldin zu geben, um sich eigene Gedanken zu machen. Auch zum Fall. Das Ende selbst erschließen wird man sich eher nicht. Es kommt überraschend, wirkt aber keineswegs wie aus dem Hut gezaubert. (Text-Stand: 3.2.2016)