Im Gegensatz zu den Märchen der Gebrüder Grimm gehen die ohnehin gern düsteren Geschichten von Hans Christian Andersen oftmals nicht gut aus. Wollte man sie originalgetreu verfilmen, kämen sie für „Sechs auf einen Streich“ kaum in Frage; die ARD-Reihe hat eine eingebaute Happy-End-Garantie. Puristen werden daher an dieser filmischen Parabel nicht viel Freude haben. Das Drehbuch zu „Der Schweinehirt“ stammt vom mehrfach preisgekrönten Duo Anja Kömmerling und Thomas Brinx, das schon diverse Märchen adaptiert hat; ihr Markenzeichen ist ein leicht spöttischer Tonfall, der den Geschichten eine moderne Anmutung verleiht. Eine ihrer besten Arbeiten ist „König Drosselbart“. Den Robert Geisendörfer Preis gab es unter anderem, weil die widerspenstige Prinzessin zwar ihren Hochmut verliert, sich aber nicht zähmen lässt und ihre emanzipative Rolle behalten darf; eine pädagogisch enorm geschickte Lösung, um das konservative Geschlechterbild der Vorlage zu konterkarieren.
Mit „Der Schweinehirt“ erzählen Kömmerling und Brinx eine ganz ähnliche Geschichte: Auf Drängen seiner Mutter (Margarita Broich) soll sich Prinz Augustin (Emilio Sakraya) eine gute Partie suchen; das kleine Königreich ist pleite, eine Hochzeit ist der einzige Weg raus aus den Schulden. Die Kaisertochter Victoria (Jeanne Goursaud) wäre eine naheliegende Kandidatin, doch die junge Dame ist bekannt dafür, sehr wählerisch zu sein; wer sich nicht mit einem außergewöhnlichen Präsent um ihre Gunst bewirbt, den lässt sie gar nicht erst vor. Augustin lässt ihr das Beste überbringen, was sein Reich zu bieten hat: eine Nachtigall, die die bezauberndsten Melodien singt, und eine Rose mit betörendem Duft. Als Victoria merkt, dass der Vogel lebendig ist und die Rose Dornen hat, lässt sie Augustin vor die Tür setzen. Aber so schnell gibt der Prinz nicht auf: Er überredet den Schweinehirten des Hofes zum Rollentausch, besorgt sich bei den genialen Tandproduzenten Schief und Krumm (Milan Peschel, Johann Jürgens) nutzloses, aber entzückendes Spielzeug und weckt damit tatsächlich Victorias Aufmerksamkeit, die die Sachen prompt unbedingt haben will. Der Preis dafür sind diverse Küsse, an denen die Prinzessin wie zu erwarten mehr und mehr Gefallen findet. Nun gilt es nur noch, einen Nebenbuhler (Max Schimmelpfennig) auszustechen, was dem pfiffigen Augustin spielend gelingt, denn der Kerl ist ein blasser Schnösel. Die letzte Prüfung muss allerdings Victoria bestehen. Sie scheitert allerdings kläglich und verleugnet gegenüber dem erzürnten Vater (Bernhard Schütz) ihre Liebe zu dem vermeintlichen Schweinehirten. Als sie sich doch noch eines Besseren besinnt, scheint es zu spät, denn Augustin ist drauf und dran, die Tochter jenes Mannes zu heiraten, bei dem seine Mutter in der Kreide steht.
Foto: RBB / Michael Rahn
Da sich das Drehbuch am Muster der romantischen Komödie orientiert, geht schließlich doch noch alles gut aus; anders als bei Andersen, in dessen Geschichte die Prinzessin für ihren Hochmut bitter bestraft wird und am Ende traurig singt „Ach, du lieber Augustin, alles ist hin.“ Natürlich macht das Happy End mehr Spaß, aber genau dies ist der springende Punkt: Kömmerling, Brinx und Regisseur Carsten Fiebeler haben aus der ernsten Vorlage ein Lustspiel gemacht. Das Trio hat schon oft zusammengearbeitet; Fiebeler hat diverse Drehbücher des Duos für die Kika-Reihe „krimi.de“ sowie für „Sechs auf einen Streich“ inszeniert, zuletzt „Das Märchen vom Schlaraffenland“; ähnlich sehenswert war „Die goldene Gans“. „Der Schweinehirt“ ist nicht die erste Arbeit der drei, bei der nach der Bearbeitung für die Märchenreihe nur noch die Grundzüge der Handlung übrig geblieben sind; aus Ludwig Bechsteins düsterer Geschichte „Siebenschön“ ist ebenfalls ein typisches farbenfrohes ARD-Märchen geworden. Selbst die Botschaften sind die gleichen: Wahre Liebe lässt sich nicht aufhalten, und letztlich zählen nur die inneren Werte; Merksätze, die regelmäßig auch für die Sonntagsfilme im ZDF gelten. Tatsächlich richtet sich „Der Schweinehirt“ offenkundig mindestens so sehr an die Mütter der Zielgruppe wie an die Kinder. Auch damit ließe sich leben, würde sich der Regisseur nicht immer wieder bei der Klamotte bedienen, um billige Lacher zu bekommen. Victorias Hofdamen (Judith Neumann, Lisa Hrdina) grimassieren um die Wette; das dilettierende Französisch („quelle fromage“) macht die Sache nicht besser. Wes Geistes Kind der Film streckenweise ist, zeigt sich, als Augustin die Reaktion der Prinzessin auf Nachtigall und Rose beobachten will und völlig unnötig von der Leiter fällt.
Dass der Film trotzdem Spaß macht, liegt vor allem an der bezaubernden Hauptdarstellerin; Jeanne Goursaud hat schon in der Degeto-Komödie „Zaun an Zaun“ einen guten Eindruck hinterlassen und empfiehlt sich nun endgültig für größere Aufgaben. Auch sie kann jedoch nicht verhindern, dass die Geschichte einen schalen Beigeschmack hat. 1988 ist ein Mutmachbuch für Kinder erschienen, es trägt den Titel „Kein Küsschen auf Kommando“ und war Vorlage für viele Initiativen. Der Vergleich mag angesichts der Machart des Films unangemessen erschienen, aber letztlich ist Victorias Bereitschaft, sich Augustins Spielzeug mit Küssen zu erkaufen, nichts anderes als Prostitution. (Text-Stand: 2.12.2017)