Irgendwann in den frühen Sechzigern – die Kuba-Krise war gerade überstanden, der Mond noch längst nicht erobert – hat Wernher von Braun Post bekommen. „Wie aus dem Jenseits“, raunt die angenehme Kommentarstimme Christian Schults, der seinem Vater Rolf (die deutsche Stimme von Robert Redford) akustisch so verblüffend ähnelt. Es geht um den Brief einer Französin, mit der der Wissenschaftler zwei Jahrzehnte zuvor eine Affäre hatte. Damals musste sie anschließend gleich zwei Heimsuchungen über sich ergehen lassen: erst durch die Gestapo, später wegen vermeintlicher Kollaboration durch ihre Landsleute. Die mittellose Frau hofft auf die „hilfreiche Hand“ von Brauns. Über eine Antwort des zu jener Zeit längst weltberühmten Raketenkonstrukteurs sei nichts bekannt, erfährt man noch; dann endet der Einschub abrupt mit den Schüssen auf John F. Kennedy.
Was mögen die Autoren dieses Porträtfilms, Stefan Brauburger und Dirk Kämper, mit der Fußnote bezweckt haben? Soll sie belegen, dass der legendäre „Raketenmann“ beruflich ein Genie war, charakterlich aber reichlich zwielichtig? Von Brauns Verdienste um die Raumfahrt stehen spätestens seit der Mondlandung außer jedem Zweifel. Aber da ist eben auch noch die Kehrseite seiner Karriere, die sich erst nach seinem frühen Tod im Jahr 1977 offenbarte: Über zehntausend Zwangsarbeiter und Häftlinge aus Konzentrationslagern starben, als sie unter unmenschlichen Bedingungen gegen Ende des Zweiten Weltkriegs Stollen in den Harz trieben, wo die Produktionsanlagen der Vernichtungsrakete V2 vor den alliierten Bombern geschützt sein sollten. Der Wissenschaftler hatte stets bestritten, davon Kenntnis gehabt zu haben. Dank der Aussagen von Zeitzeugen sowie diverser Dokumente können Brauburger und Kämpfer nachweisen, dass Wernher von Braun gewusst haben muss, dass die Arbeiter in den Stollen durch Strapazen und mangelhafte Ernährung gestorben sind wie die Fliegen.
Immer wieder wechselt der Film zwischen diesen beiden Ebenen: hier der geniale und charismatische Visionär, dort der je nach Sichtweise naive oder skrupellose Karrierist, der offenbare bedenkenlos einen Faustischen Pakt nach dem anderen eingegangen ist, nur um seiner Leidenschaft zu frönen. Und so ist das Porträt dieses Mannes, der doch immer bloß zum Mond wollte und dafür bereit war, massenvernichtende Umwege einzuschlagen, auch ein Diskurs über die Frage, wie viel Moral sich Wissenschaft leisten muss.
Der Rest ist die übliche Mischung aus zeitgenössischem Dokumentarmaterial und rührigen Rekonstruktionen, in denen sich die Hauptdarsteller Ludwig Blochberger (der junge Wernher) und Daniel Rohr (der reife Wernher) vor allem durch die Vernichtung vieler Zigaretten hervor tun; Rohr allerdings offensichtlich, ohne zu inhalieren. Aber die Kombination dieser beiden Ebenen ist durchaus eindrucksvoll. Das gilt erst recht für die im Computer entstandenen Bilder, die es erlauben, ins Innere der Raketen zu blicken und so die Konstruktion offenbaren. Und dann gibt es noch Spielereien, die der Wahrheitsfindung zwar nicht dienen, aber Spaß machen, etwa der Blick auf ein paar Häuser vor wogendem Blumenmeer; dann zieht sich die Kamera zurück, verlässt einen Bilderrahmen, und die Aufnahme erstarrt zur Fotografie, die neben Porträts der Familie von Braun auf einem Sims steht. (Text-Stand: 14.7.2009)