Der Lissabon-Krimi – Dunkle Spuren / Feuerteufel

Jürgen Tarrach, Vidina Popov, Jens Wischnewski. Belangloser Zeitvertreib

Foto: Degeto / Paulo Monteiro
Foto Tilmann P. Gangloff

Der „Lissabon-Krimi“ (ARD Degeto / Polyphon) ist auch in den Episoden drei und vier immer noch auf der Suche nach sich selbst. Die Hauptfiguren, ein Strafverteidiger und seine junge Assistentin, sind zwar ein interessantes Duo, aber die Geschichten schlagen nicht genug Kapital aus der Konstellation; zwischen Jürgen Tarrach und seiner interessanten Filmpartnerin Vidina Popov passiert ebenfalls viel zu wenig. Eine gewisse emotionale Spannung entsteht in den beiden Geschichten allein durch die persönliche Betroffenheit des Anwalts. Im zweiten Film, „Feuerteufel“ gibt es mit einem Waldbrand sowie einem kurzen Abstecher in die düstere Vergangenheit des Landes immerhin konkrete Bezüge zu Portugal. Die Bildgestaltung ist zwar sorgfältig und die schöne Musik mit deutlichen Fado-Anklängen sehr melancholisch, aber insbesondere „Dunkle Spuren“ ist für einen Krimi stellenweise schlicht langweilig.

Der 2018 ausgestrahlte erste „Lissabon-Krimi“ mit Jürgen Tarrach als Strafverteidiger Eduardo Silva, „Der Tote in der Brandung“, war ein denkbar schlechter Start für die neue Reihe: Die herkömmliche Geschichte hätte überall spielen können, und Krimi-Spannung kam auch keine auf. Immerhin hat Kameramann Klaus Merkel die Stadtansichten gerade nachts in ein betörend schönes Licht getaucht; außerdem hatte der Film mit der jungen Wienerin Vidina Popov als Assistentin des Anwalts ein interessantes neues Gesicht zu bieten. Die zweite Episode war deutlich interessanter, weil Silva diesmal in eigener Sache ermittelte, Rache für den Tod seiner Frau wollte und sich deshalb mit der Mafia anlegte. Nummer drei, „Dunkle Spuren“, ist dagegen wieder ein erheblicher Rückschritt, und das nicht nur, weil die Handlung aufregungslos vor sich hinplätschert. Fesselnd ist der Film erst gegen Ende, als die Geschichte für eine überraschende Wendung sorgt. Mit Kathrin Richter und Jürgen Schlagenhof ist bereits das dritte Autorenduo am Werk. Jens Wischnewski, der mit diesem und dem nächsten „Lissabon-Krimi“ nach seinem Kinodebüt „Die Reste meines Lebens“ und einem noch nicht ausgestrahlten SWR-„Tatort“ („Anne und der Tod“) seine Langfilme drei und vier inszeniert hat, ist nach Sibylle Tafel und Martin Eigler schon der dritte Regisseur. Gerade bei einer neuen Reihe wäre es sicher nicht verkehrt, zu Beginn auf Kontinuität zu setzen, aber dafür steht bei der dritten Episode nur Christoph Chassée, der auch bei Teil zwei („Alte Rechnungen“) dabei war und sich bei seiner Lichtsetzung offenbar am Stil von Merkel orientiert hat.

Bewertung im Detail: „Dunkle Spuren“ = 3 Sterne, „Feuerteufel“ = 3,5 Sterne

Das Drehbuch macht sich ebenfalls ein Element dieses Films zu eigen, weil es die persönliche Betroffenzeit des Anwalts in den Vordergrund stellt. Eigentlich hat Silva gar keine Lust, den scheinbar eindeutigen Fall zu übernehmen: Mitten in der Stadt ist eine Bekleidungsfabrik in die Luft geflogen. Für die Staatsanwaltschaft ist die Sache klar: Vor einem Jahr hat der Besitzer, Antonio Alves (João Didelet), die Versicherungssumme verdoppelt, soeben ist die entsprechende Karenzzeit abgelaufen; außerdem ist er dabei beobachtet worden, wie er den explodierten Dampfkessel manipuliert hat. Dass der Mann glaubwürdig seine Unschuld beteuert, lässt Silva zunächst kalt, aber dann trifft der Fabrikant einen wunden Punkt: Seine Frau liegt im Sterben, deshalb will er zumindest auf Kaution freikommen, um sich verabschieden zu können. Silva war das nicht vergönnt, weshalb er seine Valentina nicht loslassen kann. Der junge Staatsanwalt (Orestes Fiedler ersetzt Christoph Schechinger) bleibt jedoch hart, denn bei der Explosion ist eine Angestellte ums Leben gekommen; die Anklage lautet daher auch auf Mord. Gemeinsam mit seiner Mitarbeiterin Marcia sucht der Anwalt in den Resten des Gebäudes nach Hinweisen, die Alves entlasten könnten. Tatsächlich stoßen sie auf Details, die die Version des Sachverständigen (Jörn Knebel) erschüttern. Der nimmt die Niederlage sportlich und unterstützt Silva sogar, sodass es dem Anwalt gelingt, die Unschuld seines Mandanten zu beweisen. Alves kommt frei, alle sind zufrieden; einzig Marcia hat noch ein paar Restzweifel und gerät unversehens in Lebensgefahr, als sie nicht locker lässt.

Der Lissabon-Krimi – Dunkle Spuren / FeuerteufelFoto: Degeto / Paulo Monteiro
Rechtsfindung mit Aussicht. Silva (Jürgen Tarrach) und Marcia (Vidina Popov) präsentieren dem Sachverständigen der Versicherung (Jörn Knebel) neue Beweise.

Das Finale sorgt endlich für Spannung, wie ohnehin der letzte Akt zumindest ein bisschen für die vielen Szenen entschädigt, in denen die Darsteller bloß Gespräche führen. Zwischendurch ist der Film schlicht langweilig; letztlich sind es allein die häufigen Schauplatzwechsel, die einen gewissen Handlungsreichtum suggerieren. Verschenkt sind auch die Hauptfiguren. Obwohl Silva sogar bei seiner Mitarbeiterin einziehen muss, weil Wirtin Beatriz (Katharina Pichler) durch seine Schuld ihre Pension verloren hat, passiert nicht viel zwischen den beiden, das gilt auch für Tarrach und Popov. Am besten ist „Dunkle Spuren“ deshalb immer dann, wenn Richter und Schlagenhof, die mehrere Drehbücher für Rainer Kaufmann geschrieben haben (darunter auch eine 2009 mit „Das Beste kommt erst“ gestartete Familienfilmreihe), Silva emotional mit der Geschichte verknüpfen. Der Film beginnt auf einer Terrasse über den Dächern der Stadt, der Anwalt bewegt sich gedankenverloren zu Fado-Klängen. Als sich in der Ferne eine Explosion ereignet, bekommt er das gar nicht mit; später wird klar, dass er um seine Frau getrauert hat. Zwei weitere kurze Szenen, als er erst neben dem Grab seiner Frau erwacht und nach einem Schnitt am Rand einer Steilküste steht, verdeutlichen buchstäblich die Fallhöhe der Figur. Entsprechend bewegend ist ein Monolog am Krankenbett von Alves’ Gattin (Filomena Gonçalves), als Silva der Sterbenden eine poetische Liebeserklärung ihres Mannes überbringt und auf diese Weise den Abschied von seiner eigenen Frau nachholt. Erwähnenswert ist neben der sorgfältigen Bildgestaltung auch die meist sanft im Hintergrund erklingende Musik (Peter Thomas Gromer), die sehr schön die Melancholie des Fado aufnimmt. Die Tonspur sorgt allerdings auch für Dissonanzen, weil es wie in vielen Filmen dieser Art deutliche Differenzen zwischen dem Alltagsdeutsch von beispielsweise Pinto und der Sprechweise der Synchronschauspieler gibt. Auch optisch ist die Besetzung nicht stimmig: Weil die einheimischen Darsteller ausnahmslos sehr südeuropäisch aussehen, fallen die Deutschen alle auf; einzig Popov fügt sich glaubhaft in den portugiesischen Rahmen.

Autoren des insgesamt vierten Films, „Feuerteufel“, sind Lars Neuwöhner und Sven S. Poser. Das erfahrene Duo hat auch das Drehbuch zur letztjährigen Episode „Alte Rechnungen“ geschrieben; schon beim damaligen ersten Doppelpack war der zweite Film der bessere. Regie führte erneut Wischnewski. Diesmal ist die Geschichte näher an der Hauptfigur, weil Silva zumindest indirekt persönlich involviert ist. Der Anwalt und seine Assistentin sollen den jungen David (Luis Pintsch) verteidigen, der angeblich ein Waldstück in Brand gesetzt hat; in den Flammen ist sein Freund Bruno ums Leben gekommen. Silva, eigentlich amtsmüde, übernimmt den Fall, weil er in der Schuld des Bittstellers steht: Therapeut Gonçalo Postiga (Christoph Grunert), der ein Camp für schwererziehbare kriminelle Jugendliche in der Nähe des Unglücksorts leitet, hat vor einigen Jahren Silvas Teenagertochter Ines aus großer seelischer Not geholfen. David gehört ebenfalls zu Postigas Schutzbefohlenen. Der junge Mann hat eine umfangreiche Akte, unter anderem wegen Brandstiftung, aber Postiga beteuert seine Unschuld. Tatsächlich brauchen der Anwalt und Marcia nicht lange, um rauszufinden, dass die heiße Rodung dem Besitzer des Waldstücks nicht ungelegen gekommen ist. Dann stellt sich heraus, dass Bruno bereits tot war, als das Feuer ausgebrochen ist; nun steht David, der kurz zuvor einen heftigen Streit mit dem Freund hatte, unter Mordverdacht.

Der Lissabon-Krimi – Dunkle Spuren / FeuerteufelFoto: Degeto / Paulo Monteiro
Lissabon ist sehenswert eingefangen, die Storys allerdings haben viel Luft nach oben. Jürgen Tarrach und Vidina Popov in „Der Lissabon-Krimi – Feuerteufel“

Waldbrände richten in Portugal regelmäßig verheerende Schäden an, insofern ist die Geschichte schon mal deutlich näher an der Realität des Landes als „Dunkle Spuren“. Deshalb ist es auch plausibel, dass Staatsanwalt Tavarez ein abschreckendes Exempel an David statuieren will; die Kameraflüge über ein verbranntes Waldstück verfehlen ihre Wirkung nicht. Dass die Handlung in den beiden neuen Filmen durch eine Brandkatastrophe mit Todesfall ausgelöst wird, klingt zwar wie eine Doublette, spielt aber bald keine Rolle mehr, weil das Camp und die Figur des Therapeuten ins Zentrum rücken. Christoph Grunert ist eine treffende Besetzung für diesen charismatischen Typen; seine Jungs würden für Postiga durchs Feuer gehen, weshalb Grunert dank seiner physischen Präsenz gut zu der Rolle passt. Die Methoden des Therapeuten haben allerdings auch ihre Schattenseiten. Um das zu verdeutlichen, führen Neuwöhner und Poser eine neue Figur ein, die zudem großes Fortsetzungspotenzial mitbringt: Ines (Deleila Piasko) studiert angeblich in Amerika, aber Silva sieht sie zufällig in der Stadt; seltsamerweise läuft sie vor ihm davon. Als sich die beiden schließlich doch noch treffen, stellt sich raus, dass die Tochter ihr Studium abgebrochen und sich einer obskuren Gruppe von Weltverbesserern angeschlossen hat. Sie erzählt, Postiga sei während der Therapie förmlich in ihre Seele gekrochen; sie hätte damals alles für ihn getan.

Es ist vor allem diese persönliche Ebene, die „Feuerteufel“ etwas sehenswerter macht als „Dunkle Spuren“. Die Rahmenbedingungen sind ansonsten ähnlich: Die Musik verbreitet noch mehr Schwermut als im ersten Film, und Kameramann Chassée taucht Lissabon gerade in den Nachtaufnahmen in ein schönes goldenes Licht. Völlig unmotiviert wirken allerdings wie schon in „Dunkle Spuren“ gelegentliche extreme Nahaufnahmen der Augenpartien. Größeres Manko ist jedoch die fehlende Chemie zwischen den beiden Hauptdarstellern und zwischen ihren Figuren, obwohl der Anwalt nach wie vor bei seiner Mitarbeiterin wohnt. Die einzigen Nebeneffekte dieser Konstellation sind ein Running Gag (Silva spricht vom „Büro“, wenn er die Wohnung meint) und der Blick auf die Lichter der Stadt, weil der Anwalt seine Schreibarbeit gern auf der Dachterrasse verrichtet.

Mit Deleila Piasko führt Wischnewski immerhin ein vielversprechend neues Gesicht ein. Von der rätselhaften Ines abgesehen sind die Nebenfiguren jedoch weitgehend wandelnde Klischees. Das gilt vor allem für die vermögenden Eltern von David. Luis Pintsch ist zwar ähnlich interessant wie Piasko, muss David aber als typischen wohlstandsverwahrlosten zornigen jungen Mann verkörpern. Wenigstens haben die Autoren dafür gesorgt, dass Vidina Popov diesmal ein bisschen Spielmaterial bekommt, und auch diese Nebenebene deutet an, dass die Vergangenheit des Landes ähnlich wie bei den „Kroatien-Krimis“ noch viel Handlungspotenzial bereithält: Der Vater von Staatsanwalt Tavarez war zu Zeiten des faschistischen Regimes offenbar in die Liquidierung von Regimekritikern verwickelt; die Diktatur endete erst 1974 durch die sogenannte Nelkenrevolution. Anders als der Seitenstrang mit Ines hat diese Ebene mit der eigentlichen Handlung jedoch überhaupt nichts zu tun, sieht man davon ab, dass Tavarez während des Studiums Marcias Tutor war. Angesichts des Zeitvertreibfaktors der Donnerstagskrimis und der bislang vergleichsweise belanglosen Lissabon-Filme ist ohnehin nicht damit zu rechnen, dass die düstere Historie Portugals in den weiteren Episoden tatsächlich eine größere Rolle spielen wird. (Text-Stand: 6.3.2019)

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Reihe

ARD Degeto

Mit Jürgen Tarrach, Vidina Popov, Katharina Pichler, Luís Lucas, Orestes Fiedler

Episodenrollen: (1) Jörn Knebel, João Didelet, Filomena Gonçalves (2) Christoph Grunert, Luis Pintsch, Deleila Piasko

Kamera: Christoph Chassée

Szenenbild: Sergio Costa

Kostüm: Cristina Bizarro

Schnitt: Achim Seidel

Musik: Peter Thomas Gromer

Redaktion: Katja Kirchen, Sascha Schwingel

Produktionsfirma: Polyphon

Produktion: Sabine Tettenborn

Drehbuch: Kathrin Richter, Jürgen Schlagenhof, Lars Neuwöhner, Sven S. Poser

Regie: Jens Wischnewski

Quote: (1): 4,45 Mio. Zuschauer (14,3% MA); (2): 4,58 Mio. (14,9% MA)

EA: 28.03.2019 20:15 Uhr | ARD

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