Das Phänomen ist verblüffend und kann beim dritten Mal fast kein Zufall mehr sein: Wie schon im Fall der Donnerstagskrimis aus Zürich und Barcelona, so ist auch beim „Lissabon-Krimi“ der zweite Film deutlich besser als der erste. Zumindest für die Geschichten mit den Juristen, hier der Schweizer Wirtschaftsanwalt, dort der portugiesische Strafverteidiger, gibt es auch eine einfache Erklärung: weil beide in den jeweiligen Fortsetzungen in eigener Sache ermitteln. „Alte Rechungen“ heißt der zweite Fall für Eduardo Silva (Jürgen Tarrach), und das ist beinahe beschönigend: Der Anwalt will Rache. Nur kurz knüpft die Fortsetzung an den Auftakt „Der Tote in der Brandung“ an; der Film funktioniert problemlos auch ohne Kenntnis des ersten Teils. Der hatte damit geendet, dass Silva dem Sohn eines Mafiabosses das Leben gerettet hat. Dieser Zarco (André Gargo) rückt nun ins Zentrum des Geschehens: Der verwitwete Silva ist überzeugt, dass der Mann irgendwie in den Tod seiner Frau Valentina verwickelt ist; und dann findet er heraus, dass sie offenbar eine Affäre mit dem Gangster hatte. Als der Mafioso auf scheinbar frischer Tat am Schauplatz eines Mordes festgenommen wird, übernimmt Silva zur Empörung von Assistentin Marcia (Vidina Popov) die Verteidigung. Zunächst hat er gar nicht vor, den Verbrecher angemessen zu vertreten, aber als klar wird, dass Zarco in diesem Fall tatsächlich unschuldig ist, siegt seine Berufsehre. Als er gemeinsam mit Marcia entdeckt, dass mit dem Mord ein Umweltskandal (eine Parallele zum zweiten „Barcelona-Krimi“) vertuscht werden soll, ist auch sein eigenes Leben in Gefahr.
Das Drehbuch stammt diesmal vom erfahrenen Duo Sönke Lars Neuwöhner und Sven Poser (Vorlage: Georg Ludy), die gemeinsam oder allein für eine Vielzahl von Reihenkrimis und Serienfolgen stehen; für die Fälscher-Miniserie „Morgen hör ich auf“ mit Bastian Pastewka haben sie den Bayerischen Fernsehpreis bekommen. Viele ihrer Drehbücher, darunter auch „Morgen hör ich auf“, sind von Martin Eigler verfilmt worden, der unter anderem für die Qualität der ZDF-Krimireihe „Stralsund“ steht; er war als Autor oder Regisseur an fast allen Episoden beteiligt. All das erklärt, warum „Alte Rechnungen“ nicht nur eine interessantere und komplexere Geschichte erzählt als der erste Lissabon-Krimi, sondern auch spannender umgesetzt ist; und das gilt nicht nur fürs Finale, als der Anwalt gemeinsam mit seinem Todfeind sterben soll. Die persönliche Betroffenheit der Hauptfigur hat natürlich enormen Anteil daran, dass der Film viel fesselnder ist, zumal Silva klar wird, dass seine Frau, eine Journalistin, einer großen Sache auf der Spur war und deshalb sterben musste. Auch handwerklich gibt es deutliche Unterschiede, was Lissabon-Freunde allerdings bedauern werden: In „Der Tote in der Brandung“ hatte Kameramann Klaus Merkel die portugiesische Metropole regelrecht gefeiert. Das Licht ist im zweiten Film (Bildgestaltung: Christoph Chassée) nicht annähernd so bezaubernd, und mit den Sehenswürdigkeiten ist Eigler auch deutlich sparsamer. Die Musik ist zwar erneut vom Brüderpaar Marco und Robert Meister, orientiert sich aber stärker am gängigen Thriller-Standard, selbst wenn die elektronischen Klänge immer wieder reizvoll mit akustischer Gitarre durchsetzt sind.
Beim Vergleich mit anderen Donnerstags-Krimis der ARD-Tochter Degeto fallen zwei weitere Aspekte auf: Die zentralen Figuren sind wie beim „Zürich-Krimi“ ein älterer Anwalt und seine deutlich jüngere Partnerin. Weil eine Beziehung zwischen den beiden ausgeschlossen ist, gibt es einen weiteren Mitspieler, der als „love interest“ für die junge Juristin inszeniert wird. In den Filmen aus der Schweiz ist das der Polizeihauptmann, im „Lissabon-Krimi“ der Staatsanwalt (Christoph Schechinger), auch wenn sich die Begegnungen zwischen Marcia und dos Santos im zweiten Teil weitgehend auf berufliche Gespräche beschränken. Das einzige romantische Detail ist dafür umso beredter: Als sich Silva zum Finale, von dos Santos und seiner Assistentin überwacht, in die Höhle des Löwen begibt und prompt in Gefahr gerät, greift sie nach der Hand des Staatsanwalts. Das Trio ist auch darstellerisch gut zusammengestellt: Tarrach braucht nicht viel Aufwand, um beispielsweise kleine komische Wirkungen herzustellen, und auch Schechinger spielt eher in sich hinein; Vidina Popov, Mitte zwanzig, ist weit mehr als bloß die Frau zwischen diesen beiden Männern. Außerdem ist Marcia, die jedes Mal schockiert reagiert, wenn sich ihr Chef wieder mal irgendwo illegalen Zutritt verschafft, als juristisches Gewissen ein perfekter Komplementär zu Silva. Anders als in den Krimis aus Kroatien oder Tel Aviv gibt es allerdings keinerlei Bezüge zur Historie des Landes, weshalb sich die Krimi-Ebenen beider Filme in jedem anderen europäischen Land zutragen könnten; und über die Ursachen der offenbar erheblichen Vorurteile gegen die Roma erzählt auch „Alte Rechnungen“ nichts. Der einzige Moment, in dem Marcias Kultur eine Rolle spielt, passt prompt ins Klischee, als Silva im Rahmen einer Feier des Clans eine Wahrsagerin bittet, in seiner Hand zu lesen. Die Szene ist aber nur ein Vorwand, um in schwarzweißer Rückblende den Autounfall zu zeigen, bei dem Valentina gestorben ist.