Fortysomethings in Aufruhr
Sind es tatsächlich die letzten guten Jahre? Wann hat man die Uni und die wilden Zeiten endgültig vergessen und denkt nur noch in Richtung Rente? Kann man denn überhaupt noch mit der Jugend mithalten, den Themen, den Medien, den Moden? Will man das überhaupt? „MILF“ (Mom I’d Like to Fuck), Generation Porno, Twitteritis, Apps für jeden Dreck – ist das nicht alles irgendwie krank? Wann kommt der Punkt, an dem man sich nicht mehr jung, sondern plötzlich ziemlich alt vorkommt – und wesentlich schlimmer vor allem für Frauen: auch noch alt aussieht? Fortysomethings in Aufruhr – „Der Lack ist ab“ heißt die Webserie, die das Altern der Generation „Halbe Treppe“ (in Anlehnung an Andreas Dresens Film) zum Thema macht. Die Serie läuft auf MyVideo im Binge-Watching Modus, das heißt, die zehn Folgen werden in Dreiwochenrhythmus (4 / 3 / 3) auf der Streaming-Plattform online gestellt. Die Zehnminüter werden nur zu Beginn mit einem 20-Sekunden-Werbeblock unterbrochen.
„Mit ,Der Lack ist ab’ wollen wir eine Zielgruppe erreichen, die genauso alt ist wie wir selber und für die es viel zu wenig gute Unterhaltung im Netz gibt. Wir erzählen von den Themen, von denen man mit 20 noch nie gehört hat und die einen mit 40 überrollen.“ (Hauptdarsteller & Regisseur Kai Wiesinger)
„Also du bist ja auch eine leckere MILF“
Die ersten vier Folgen von „Der Lack ist ab“ sind recht vielversprechend – launige Konversationsminiaturen, fix und vermeintlich ungeschliffen wie ein Wortwechsel aus dem Leben – und wenn Kai Wiesingers Tom ins Spiel kommt, dann redet er sich häufig Woody-Allen-like um Kopf und Kragen: „Es ist doch so, dass wir alle älter werden und auch bei dir schlabbert es beim Sex.“ Die Serie wartet mit fast ganz normalen Alltagssituationen auf, die für 40- bis 50-jährige Ehemänner und Ehefrauen (aber auch Singles) überaus anschlussfähig sind. Die zum einen zeigen, wie wenig kompatibel doch die Eltern- und Kindergeneration anno 2015 sind, und zum anderen bestätigen, dass Frauen und Männer ganz unterschiedlich ticken. Es geht um das Kratzen an den kleinen Gewohnheiten, die das Selbstbewusstsein stärken und das Leben erträglich machen. Da will ein guter, schwer erkälteter Freund in der Folge „Alkohol“ mit einer dämlichen Trinker-App Tom den Genuss von leckerem Rotwein verleiden. Das „Leute, ich bin trocken“ ist für den geradezu ein Verrat und zugleich Kritik an der eigenen Lebensführung. Nur gut, dass es noch keinen alkoholfreien Hustensaft gibt. In der mit Anja Kling & Silke Bodenbender besonders namhaft Gast-besetzten Auftaktfolge „MILF“ plauschen drei attraktive Mütter über die Gewohnheiten ihrer und anderer Kids und kommen darüber auf Grundsatzthemen wie hängende Brüste oder ob „MILF“ ein Kompliment ist für eine Frau ab 40 oder eher nicht. In „Teenmom“ malt sich das Ehepaar aus, was wäre, wenn sie Großeltern würden, während die 16jährige Tochter im Bad den Schwangerschaftstest macht. Und in Folge 4, „Testament“, spielt Ben Becker den Bruder der weiblichen Hauptfigur, der sich in einer seelischen Krise befindet und deshalb sein Testament gemacht hat, was das Ehepaar dazu veranlasst, sich höchst kontrovers über das Thema auszulassen.
Lebensklug & Smartphone-tauglich
Die Webisodes „Der Lack ist ab“ ist sicherlich keine Alternative zu den Premium-Serien des Fernsehens oder der produktionsaktiven Online-Videotheken. Aber er ist eine in jeder Hinsicht zeitgeisttypische Art Unterhaltung für zwischendurch. Intelligentes, Smartphon-taugliches Fast-Food für den Medien- und Serienjunkie. Und was das Thema angeht, zielen Kai Wiesinger (Regie, männliche Hauptrolle, Co-Autor, Co-Executive Producer) & Co mit ihrem lebensklugen Special-Interest-Programm auf eine Zielgruppe, deren Themen in einem Fernsehen des kleinsten gemeinsamen Nenners immer weniger Berücksichtigung finden. Ob allerdings die Serie von der Zielgruppe der 35- bis 55-Jährigen gefunden wird in einem Medium, das bisher eher die unter 30-Jährigen zu nutzen pflegten, bleibt abzuwarten.