Niemand würde ernstlich bezweifeln, dass Neda Rahmanian die Hauptdarstellerin der „Kroatien-Krimis“ ist. Der Autor oder die Autorin des entsprechenden Wikipedia-Eintrags sieht das allerdings anders. Dort heißt es: „Der Kroatien-Krimi ist eine Kriminalfilmreihe der ARD mit Lenn Kudrjawizki in der Hauptrolle“. Für die siebte Episode stimmt das sogar. Es gehört sich zwar nicht, den Knüller eines Films zu verraten, aber in diesem Fall lässt sich das kaum vermeiden, weil die gesamte Handlung darauf basiert. „Tote Mädchen“ beginnt buchstäblich mit einem Knalleffekt: Als sich Kommissarin Branka Marić, Leiterin der Mordkommission Split, zum abendlichen Rendezvous auf der Jacht ihres Zweitfreunds Lado (Aleksandar Jovanovic) einfindet, gibt es eine Explosion, bei der beide ums Leben kommen; Christoph Darnstädt (Buch) und Michael Kreindl (Regie), die bislang gemeinsam für alle „Kroatien-Krimis“ verantwortlich waren, haben ihren Star (auf dessen Wunsch) tatsächlich sterben lassen. Davon muss man sich erst einmal erholen.
„Der Kroatien-Krimi“ 2020 – Bewertung im Detail:
„Tote Mädchen“ hat sich vier Sterne verdient, „Tränenhochzeit“ ist noch gut für 3,5 Sterne.
Der Film gewährt den Hinterbliebenen (und dem Publikum) einige Szenen der Trauer, und die unnötig angriffige Rechtsmedizinerin (Sarah Bauerett) macht ihre Kratzbürstigkeit wieder gut, indem sie dem Leichnam zu früherer Schönheit verhilft. Aber dann nutzen Darnstädt und Kreindl den Einstieg, um Spannung auf gleich mehreren Ebenen zu erzeugen. Natürlich wollen Marićs Mitarbeiter Perica (Kudrjawizki) und Vucevic (Kasem Hoxha) wissen, wer ihre Chefin umgebracht hat, stehen aber erst mal vor der Frage, wem der Anschlag überhaupt gegolten habe: ihr oder dem Bootsbesitzer? Da die beiden keine Ahnung haben, dass der Mann Brankas Geliebter war, gehen sie davon aus, dass sie beruflich auf der Jacht war. Kurz zuvor ist im Wasser die Leiche eines zwölfjährigen Mädchens gefunden worden, womöglich ein Fall von Menschenhandel, und Lado Trifunovic ist bekanntermaßen in zwielichtige Geschäfte verwickelt; vielleicht hat ein alter Widersacher eine Rechnung beglichen. Perica und Vucevic irgendwann doch heraus, dass die Kommissarin mit Lado und dem deutschen Piloten Kai (Andreas Guenther) in einer Menage à trois lebte; also Mord aus Eifersucht?
Foto: Degeto / Conny Klein
Das ist aber die nur die eine Seite der Handlung. Es gibt noch eine zweite, und die macht den Film erst richtig interessant: Die beiden Polizisten bekommen Unterstützung durch eine Kollegin aus der Hauptstadt Zagreb; allerdings eilt Stascha Novak (Jasmin Gerat) der Ruf einer „männerhassenden Zicke“ voraus. Weil Polizeichef Kovacic (Max Herbrechter) Perica gern als Brankas Nachfolger sähe, sollen die beiden Beamten der Kommissarin das Leben so schwer wie möglich machen. Dummerweise entpuppt sich Stascha nicht nur als ausgezeichnete Ermittlerin, die sich hartnäckig in den Fall verbeißt, sondern nach einigen Fettnäpfchen zu Beginn auch als durchaus patent, und prompt ist Perica hin- und hergerissen: hier die Loyalität zur toten Chefin, dort die unmissverständliche Anweisung des Vorgesetzten, schließlich die Karriereaussichten; aber über allem die Suche nach dem Mörder.
Die kriminalistische Ebene der Geschichte ist natürlich spannend, doch die Einführung der neuen Figur setzt den eigentlichen Reizpunkt des Films, zumal die Gerüchte über Stascha Novak zunächst nicht übertrieben scheinen. Davon abgesehen spricht es für die Verantwortlichen der Reihe, dass sie Neda Rahmanian nicht einfach sang- und klanglos durch eine andere Darstellerin ersetzt haben. Jasmin Gerat ist ohnehin eine vortreffliche Wahl, aber auch die Rolle ist reizvoll; sehr sympathisch ist unter anderem die Drehbuchidee, Stascha in den Räumen der Rechtsmedizin einseitige Zwiegespräche mit ihrer Vorgängerin halten zu lassen. Wie Branka beginnt auch sie eine Affäre mit einem Bootsbesitzer. Schade, dass der attraktive Abenteurer (Dejan Bucin) offenbar nicht ins Ensemble aufgenommen wird, obwohl er als „Trödelpirat“ eine ähnlich schillernde Figur ist wie Lado. Etwas verwirrend, zumindest für Zuschauer ohne Vorkenntnisse, könnten dagegen die kurzen Auftritte von Brankas todgeglaubtem Bruder (Goran Navojec) sein, der als finsterer Racheengel wie ein Phantom durch den Film schleicht und nach einem fesselnden Finale aller Trauer zum Trotz für ein positives Ende sorgt. Das letzte Wort hat allerdings Stascha, denn am Ende stellt sich raus, dass sie in Split einen guten Bekannten hat, mit dem sie sehr gemischte Gefühle verbindet.
Foto: Degeto / Conny Klein
Soundtrack: (1) Jessie Ware („Selfish Love“), Gregory Alan Isakov („If I Go, I’m Going”), Elvis Presley („One Night”), Imagine Dragons („Thunder”) (2) Anna Calvi („As A Man”)
Zuschauer mit kroatischem Migrationshintergrund werden mit einem gewissen Grimm zur Kenntnis nehmen, dass auf die gebürtige Iranerin Rahmanian nun eine Schauspielerin mit teilweise türkischen Wurzeln folgt. Umso mehr Freude dürften sie an den Urlaubsbildern haben; Stefan Spreer hat die Abendstimmung an der Adria-Küste wunderbar eingefangen. Zum festen „Kroatien-Krimi“-Team gehört auch Titus Vollmer, der eine sehr schöne Musik komponiert hat, allerdings für Irritation sorgt, als sich die Dramatik der Ereignisse nach der Explosion akustisch überhaupt nicht widerspiegelt.
Der zweite Film, „Tränenhochzeit“, wirkt im Vergleich zu „Tote Mädchen“ eine Nummer kleiner; der Krimi ist keine Zeitverschwendung, aber auch kein Einschalt-Muss. Von den anfänglichen Ressentiments ist nichts mehr zu spüren, Stascha ist integriert, als hätte sie schon immer zum Team gehört. Einzig der Vorgesetzte muss sich erst noch dran gewöhnen, dass auch die neue Kollegin ihren eigenen Kopf hat und lieber ihrem Gespür als dem Anschein vertraut. Die Geschichte, erstmals nicht von Darnstädt, sondern von Serienautor Ulf Tschauder, beginnt als Stalking-Fall, entpuppt sich dann jedoch als Familientragödie: Beim Dreh eines Videos mit dem Balkanpopsternchen Ira (Caro Cult) taucht plötzlich ein Motorradfahrer auf und erschießt einen Sicherheitsmann. Als Stascha sich die Aufnahmen anschaut, fällt ihr auf, dass der Mörder zwar auf Ira gezielt, aber erst geschossen hat, als der Bodyguard bereit war, sich als Kugelfang zu opfern. Die Sängerin ist überzeugt, dass ein Online-Stalker der Täter ist: Sie erhält schon seit einiger Zeit anonyme Drohungen, in denen sie vor ihrem Manager Mate (Vladimir Korneev) gewarnt wird; mit der bevorstehenden Hochzeit trete sie endgültig „ins Reich des Bösen“ ein. Für die Polizei ist Mate kein Unbekannter: Angeblich nutzt er seine Popkulturfirmen, um Drogen unter die Leute zu bringen. Angeklagt ist jedoch sein früherer Geschäftsführer (Lasse Myhr); als Bauernopfer hätte der Mann Grund genug, sich zu rächen. Wie schon in „Tote Mädchen“ gibt es auch in „Tränenhochzeit“ eine zweite Ebene, die im Grunde spannender ist: Über Iras Familie liegt ein Schatten, seit ihr Bruder Nico (Timur Bartels) nach einem Kletterunfall völlig bewegungsunfähig im eigenen Körper eingesperrt ist. Als Stascha entdeckt, dass sie trotzdem mit ihm kommunizieren kann, nimmt der Fall eine unerwartete Wende.
Foto: Degeto / Conny Klein
Alles, was die Gerat-Premiere zu einem überdurchschnittlich guten Film machte (Inszenierung, Bildgestaltung, Musik), ist diesmal nur noch guter Durchschnitt, obwohl die kreativen Köpfe mit Ausnahme Tschauders dieselben waren. Sehenswert sind allerdings die beiden Episodenhauptdarsteller: Vladimir Korneev, zuletzt als indigener Zirkusartist in „Der Club der singenden Metzger“, war schon als charismatischer Killer die mit Abstand fesselndste Figur in „Kriegssplitter“ (2017), einem „Tatort“ aus der Schweiz. Sehr überzeugend als Sängerin, die ihren Traum lebt, ist auch die von Anika Decker in der Sozialkomödie „High Society“ erstmals als Hauptdarstellerin besetzte Caro Cult, die für die Songs ein kroatisches Gesangsdouble hatte. Eher überflüssig sind dagegen die Auftritte von Jenny Meyer als Staschas jüngere Schwester Minka. Die Rolle des Partygirls wirkt wie ein kümmerlicher Ersatz für das bewegte Privatleben der Vorgängerin. Während Branka gleich zwei Beziehungen hatte, gibt es in Staschas Leben bloß einen Mann: Clubbesitzer Milan (Henning Vogt), der sie am Tag der Hochzeit sitzengelassen hat. Dank seiner Kontakte in die „Szene“ kommt es zu einer originellen Unterhaltung, die er als private Plauderei, sie jedoch als Vernehmung betrachtet, weshalb die beiden Ebenen ständig durcheinandergeraten.
Immerhin ist Milan gesprächiger als die Klienten, mit denen sich Stascha gern die Zeit vertreibt: Der Meinungsaustausch mit den Mordopfern soll offenbar zum Markenzeichen der Kommissarin werden, zumal Tote für die Tochter eines Bestatters schon immer zum Leben dazugehörten. Möglicherweise lassen sich mit diesen Begegnungen auch die nervigen Auseinandersetzungen mit den uralten Zauseln ersetzen, vor denen sich Branka ständig rechtfertigen musste; in „Tränenhochzeit“ bleiben ihrer Nachfolgerin diese Canossa-Gänge jedenfalls erspart. Die Schweigsamkeit der Leichen in der Rechtsmedizin bringt einen weiteren Vorteil mit sich: Die Synchronisierung der kroatischen Nebendarsteller ist in beiden Filmen nur bedingt gelungen.