Der Kroatien-Krimi – Der Todesritt + Split vergisst nie

Jasmin Gerat, Lenn Kudrjawizki, Tschauder, Darnstädt, Kreindl. Reihe im Aufwind

Foto: Degeto / Conny Klein
Foto Tilmann P. Gangloff

Wenn das kein cleveres Krimirätsel ist: ein Mann allein auf weiter Flur mitten in der dalmatinischen Prärie, mehrere Schüsse fallen, einer trifft ihn tödlich. Es gibt keinen Hinweis auf Fremdverschulden, und doch war es auch kein Suizid. Offenbar hat er Gespenster gesehen; aber Gespenster schießen nicht. Rund um dieses auslösende Ereignis erzählt Autor Ulf Tschauder ein Familiendrama, das sich mehr und mehr zur Tragödie wandelt. Handwerklich bewegen sich die bislang ausnahmslos von Michael Kreindl inszenierten „Kroatien-Krimis“ (Degeto / Constantin) stets auf hohem Niveau. Diesmal arbeitete der Regisseur mit Hannes Hubach zusammen; der Kameramann ist ein Garant für sorgfältige Bildgestaltungen. Besonders eindrucksvoll sind die Rückblenden, die die Erinnerungen vom Sohn des Mordopfers illustrieren. Der zweite Film ist dennoch eine Klasse besser, und das nicht nur, weil Reihenschöpfer Christoph Darnstädt eine Brücke in die Vergangenheit schlägt. Diesmal führen die Ermittlungen von Stascha Novak mitten hinein ins eigene Team; im letzten Akt, wenn sich die Ereignisse überschlagen, folgt ein Knüller auf den anderen.

Gespenster schießen nicht. „Der Todesritt“
Schüsse, Schreie; dann Stille. Am nächsten Morgen stehen Stascha Novak (Jasmin Gerat) und ihr Kollege Emil Perica (Lenn Kudrjawizki) vor einem Rätsel: Vinko Tudic ist durch eine Kugel aus seiner eigenen Waffe gestorben. Selbstmord kann dennoch ausgeschlossen werden, aber es gibt auch keinen Hinweis auf die Anwesenheit einer weiteren Person, abgesehen von seinem 13jährigen Sohn: Denis berichtet, sein Vater sei plötzlich wie von Sinnen gewesen. Anscheinend ist Vinko Tudic einem Gespenst begegnet; aber Gespenster schießen nicht.

Womöglich war es ja diese ausgesprochen perfide Methode eines fast perfekten Mordes, die den Ursprung für Ulf Tschauders drittes Drehbuch für den „Kroatien-Krimi“ bildete; die beiden anderen haben der Reihe allerdings keine nennenswerten Impulse verliehen („Tränenhochzeit“, 2020, und „Die Patin von Privonice“, 2021). Diesmal ist auch das Drumherum interessant: „Der Todesritt“ ist ein Familiendrama, das mehr und mehr zur Tragödie wird. Die Handlung beginnt mit einem spätabendlichen Sorgerechtsstreit: Als Tudic erfährt, dass seine seit der Trennung vor neun Jahren in England lebende Ex-Gattin (Karin Hanczewski) eine Frau heiraten wird, will er Denis zu sich nehmen. Zu Ana Kalebs großem Verdruss ist ihre eigene Mutter (Eleonore Weisgerber) auf der Seite ihres ehemaligen Schwiegersohns. Anas Bruder Niksa (Sebastian Fräsdorf) wirft ihr ebenfalls vor, durch die Scheidung die Zukunft der Familie zerstört zu  haben: Die Tudics und die Kalebs betreiben beide eine touristische Pferde-Ranch, aber der Betrieb der Tudics ist deutlich größer, mondäner und professioneller geführt. Die Beziehung zwischen den Geschwistern ist ohnehin zerrüttet, seit der ältere Bruder von Ana und Niksa vor zehn Jahren unter dubiosen Umständen auf dem Hof ums Leben gekommen ist; das war der Anfang vom Ende.

Der Kroatien-Krimi – Der Todesritt + Split vergisst nieFoto: Degeto / Conny Klein
Stascha (Jasmin Gerat) & Ana (Karin Hanczewski), die Ex-Gattin des auf so seltsame Weise Getöteten. Selbstmord soll es nicht gewesen sein. Sah der Mann Gespenster? Der Whodunit-Krimi wächst sich zu einem hochdramatischen Familiendrama aus.

Natürlich bietet Tschauder mehrere Verdächtige an, das gehört nun mal zum Krimirepertoire: Niksa hat den Toten gefunden, Ana war die ganze Nacht unterwegs, weil sie überzeugt war, der Ex habe Denis entführt, und am nächsten Tag treibt sich Vinkos Bruder (Simon Böer) am Tatort rum. Der Reiz dieser dreizehnten Episode liegt jedoch neben der Suche nach des Rätsels Lösung in Tolstois „Anna-Karenina“-Prinzip: „Alle glücklichen Familien gleichen einander, jede unglückliche Familie ist auf ihre eigene Weise unglücklich.“ Das Unglück der Kalebs ist in der Tat sehr speziell und selbstredend hausgemacht. Die Mutter greift auch schon mal zur Schrotflinte, um Konflikte zu lösen, und hat kein Verständnis dafür, dass sich ihre Tochter von Vinko getrennt hat, nur weil dem Mann hin und wieder mal die Hand ausgerutscht ist.

Handwerklich bewegen sich die bislang ausnahmslos von Michael Kreindl inszenierten „Kroatien-Krimis“ stets auf hohem Niveau. Diesmal arbeitete der Regisseur mit Hannes Hubach zusammen; der Kameramann ist ein Garant für sorgfältige Bildgestaltungen. Besonders eindrucksvoll sind die Rückblenden, die Denis’ Erinnerungen an das unglückselige Ereignis illustrieren. Die Szene trägt sich zwar im nächtlichen Nirgendwo zu, wo es eigentlich keine künstlichen Lichtquellen geben darf, aber wer weiß schon, was Tudic in seinem offenkundigen Wahn und der Junge in seinem Schock wahrgenommen haben; die Irrlichter, die die Szenerie wirkungsvoll illuminieren, hhaben daher ausnahmsweise ihre Berechtigung.

Der Kroatien-Krimi – Der Todesritt + Split vergisst nieFoto: Degeto / Conny Klein
In der wildromantischen Region wurden einst die Karl-May-Verfilmungen gedreht. Emil Perica (Lenn Kudrjawizki), Stascha Novak (Jasmin Gerat), Franjo (Simon Böer)

Natürlich spielt auch der Schauplatz eine wichtige Rolle. Die Landschaft wirkt wie eine Western-Gegend, die Beteiligten sind in der dalmatinischen Prärie meist zu Pferde unterwegs; auch Novak und Perica. Bei der Umsetzung haben Kreindl und Hubach allerdings auf allzu offensichtliche Western-Anklänge verzichtet, zumal derlei leicht parodistisch wirken kann; in der gern als „wildromantisch“ bezeichneten Region sind unter anderem vor sechzig Jahren die Karl-May-Verfilmungen entstanden. Genre-Fans dürfen sich dennoch über das eine oder andere gestalterische Element aus der großen Zeit des Italo-Western freuen.

Alte Kameraden. „Split vergisst nie“
Jeder Film ist eine Einladung zum Zeitvertreib, aber Krimis sind mehr: weil sie in den meisten Fällen zum Wettbewerb auffordern. Abgesehen vom „Columbo“-Muster, bei dem man weiß, wer die Tat begangen hat, resultiert der Reiz in der Regel aus der Behauptung von Autor oder Autorin, cleverer zu sein als das Publikum. Vermutlich liegt darin auch einer der Gründe für die Beliebtheit des Genres: weil es eine diebische Freude bereiten kann, dem Drehbuch auf die Schliche zu kommen. Christoph Darnstädt, Schöpfer der „Kroatien-Krimis“, hat die Story von „Split vergisst nie“ in der Tat derart raffiniert eingefädelt, dass tatsächlich erst spät zu erahnen ist, was sich in Wirklichkeit hinter dem Anschlag verbirgt, bei dem ein Investment-Banker aus Dubrovnik gestorben ist. Die besondere Qualität der Geschichte liegt allerdings in der Verknüpfung mit der Gegenwart. Die besten Episoden der Reihe waren ohnehin jene, in denen die Wunden des einstigen Bürgerkriegs bis heute präsent sind.

Der Kroatien-Krimi – Der Todesritt + Split vergisst nieFoto: Degeto / Conny Klein
Dana (Julie Engelbrecht) identifiziert ihren toten Ehemann (Darko Milas).

Die Handlung beginnt mit einer auffälligen Tätowierung auf dem Arm eines Hotelgastes. Der Mann am Empfang informiert mehrere Leute, darunter auch Borko Vucevic (Kasem Hoxha), einen der beiden Kollegen von Stascha Novak. Vucevic macht sich sofort auf den Weg und wird auf diese Weise Zeuge, wie das Auto von Ilija Rogur in die Luft fliegt. Er kann den Mann noch aus dem Wagen ziehen, aber Rogur ist bereits tot; Gattin Dana (Julie Engelbrecht) hat nur durch Zufall überlebt. Die Spurensicherung findet heraus, dass unter dem Auto eine Granate angebracht war, und jetzt wird die Geschichte groß: Im November 1991 hat ein Kriegsschiff der serbisch dominierten jugoslawischen Marine die Altstadt von Split beschossen, und zwar mit Granaten just jenes Typs, der nun Rogur ins Jenseits befördert hat. Der Mann war damals Offizier auf dem Kriegsschiff, er hat seine kroatischen Matrosen gezwungen, ihre eigene Stadt zu bombardieren. Für Novak ist die Sache klar: Irgendjemand hat gut dreißig Jahre später Rache genommen. Zu ihrer großen Verblüffung führen die Ermittlungen mitten hinein in den Kreis der Kollegen, sogar ihr Chef (Max Herbrechter) scheint in den Fall verwickelt zu sein; aber nun zeigt sich Darnstädts ganze Klasse, denn die Spur in die Vergangenheit ist nur die halbe Wahrheit.

Natürlich spielen das Kriegstrauma und die damit verbundenen Wunden eine große Rolle. Die entsprechenden Dialoge bieten gute Anknüpfungspunkte, schließlich haben die meisten Menschen Erinnerungen, die sie tief in sich verbergen. Das gilt auch für eine Mitarbeiterin (Katrin Pollitt) des damals gezielt beschossenen Gemeindezentrums; ihre Aussage beschert dem Film eine von gleich mehreren verblüffenden Offenbarungen. Der letzte Akt reiht ohnehin einen Knüller an den anderen: Vucevic ist nach Dubrovnik gefahren, weil er glaubt, dass Rogur Opfer eines Mafia-Attentats geworden ist. Das Finale ist gewiss nicht lustig, aber Darnstädt hatte garantiert ein großes Vergnügen daran, den Polizisten in typische „Saved by the bell“-Situationen zu bringen. Die englische Redensart bezieht sich auf Schülerinnen und Schüler, die an die Tafel müssen, keine Ahnung haben und von der Schulglocke gerettet werden; auch Vucevic entgeht einer drohenden Hinrichtung gleich mehrfach, als im jeweils letzten Moment jemand an der Haustür klingelt. Nun überschlagen sich die Ereignisse, wie es in Inhaltsangaben gern heißt, weil einige Masken fallen. Den größten Spaß hatte womöglich Julie Engelbrecht, die dank einiger Scharaden in mehrere Rollen schlüpfen darf und hinter der Fassade der attraktiven trauernden Witwe diverse Abgründe offenbart.

Der Kroatien-Krimi – Der Todesritt + Split vergisst nieFoto: Degeto / Conny Klein
Entwaffnende Frische. Zwei, die sich gut verstehen. Es knistert wieder gewaltig zwischen Rechtsmedizinerin Stevic (Sarah Bauerett) und Stascha (Jasmin Gerat).

Apropos attraktiv: Es knistert schon seit einiger Zeit zwischen Rechtsmedizinerin Stevic und der Kommissarin; Sarah Bauerett spielt die gleichermaßen bloß angedeutete wie dennoch unübersehbare Verliebtheit der Ärztin sehr sympathisch. Wie üblich führt Novak ein einseitiges Zwiegespräch mit dem Toten und stellt dabei zu ihrer Überraschung fest, dass Tätowierungen auch nicht mehr das sind, was sie mal waren. (Text-Stand: 8.2.2023)

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Reihe

ARD Degeto

Mit Jasmin Gerat, Lenn Kudrjawizki, Kasem Hoxha, Max Herbrechter, Sarah Bauerett, Rufus Beck, Jenny Meyer; (1): Karin Hanczewski, Sebastian Fräsdorf, Eleonore Weisgerber, Simon Böer; (2): Julie Engelbrecht, Arnd Klawitter, Patrick von Blume, Ulrich Gebauer

Kamera: Hannes Hubach

Szenenbild: Ivica Husnjak, Ivana Skrabalo

Kostüm: Iva Krapinec

Schnitt: Nina Meister, Nathalie Pürzer

Musik: Titus Vollmer.

Soundtrack: (1) Arlo Parks („Creep”)

Redaktion: Barbara Süßmann, Katja Kirchen

Produktionsfirma: Constantin Television

Produktion: Karsten Rühle, Friedrich Wildfeuer

Drehbuch: Ulf Tschauder, Christoph Darnstädt

Regie: Michael Kreindl

Quote: (1): 5,60 Mio. Zuschauer (19,7% MA); (2): 5,44 Mio. (19,9% MA)

EA: 23.02.2023 20:15 Uhr | ARD

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