Ein Entführungsfall hält Kommissar Brühl (Roeland Wiesnekker) und Polizeipsychologin Susanne Koch (Meike Droste), zugleich seine Lebenspartnerin, in Atem. Tim Jatzkowski (Aaron Hilmer), ein 19-jähriger Sprössling aus wohlhabendem Hause, ist gekidnappt worden. Sein Vater (Benno Fürmann), ein Sportwagenverkäufer, will die Eine-Million-Forderung nicht recht ernstnehmen. „Das ist ein Vollidiot, ein Dilettant, das ist Kinderkacke“, wertet er die telefonische Lösegeldforderung. „Kinderkacke ist unberechenbar, und Dilettanten sind gefährlicher als Profis“, kontert der Kommissar. Er kann diesen lärmenden Luxusschlitten nichts abgewinnen, entsprechend ist ihm dieser hemdsärmelige Jatzkowski unsympathisch. Die Mutter (Ulrike C. Tscharre), um die sich vor allem Psychologin Koch kümmert, ist dagegen ernsthaft in Sorge um ihren hypersensiblen Sohn. In der Straße, in der sein roter Mustang zuletzt gesehen wurde, wohnt Oliver Froeling (Lucas Gregorowicz), der die dröhnende PS-Schleuder nicht gehört haben will. Was die Ermittler noch nicht wissen: Dieser vom Tod seiner Frau emotional schwer gebeutelte Mann hält den Raser und Umwelt-Sünder tatsächlich in seinem Keller gefangen. Irgendwann ahnt auch Brühl, dass eine Wutreaktion die amateurhafte Entführung in Gang gesetzt haben könnte. Und als Froeling feststellte, was für ein hochkarätiger Krachmacher ihm da ins Netz gegangen ist, sei er wohl erst auf die Idee mit dem Lösegeld gekommen. Also alles nur ein Riesenzufall? Zur falschen Zeit am falschen Ort?
Das Thriller-Drama „Der Kommissar und das Kind“, der erste Film mit dem ebenso ruppigen wie einfühlsamen Instinktbullen, gehörte im Jahr 2017 zu den besten Montagsfilmen im ZDF. Auch „Der Kommissar und die Wut“ erfüllt höchste Ansprüche. Drehbuchautor Christoph Darnstädt (elf „Tatort-Episoden), der sich für die Handlung von einem realen Berliner Vorfall aus dem Jahr 2016 inspirieren ließ, hat einen sehr komplexen, nie komplizierten Plot entwickelt, der voller aufregender Wendungen steckt, diese aber nicht als Überraschungen aus dem Hut zaubert. Der Zuschauer weiß von Anfang an mehr als die Polizei, muss sich aber nicht – wie häufig bei 08/15-Krimis – langweilen, wenn die Kommissare dem Geschehen hinterherhecheln. Später gibt es noch eine unerwartete Koalition: Die Psychologin wirft das Stockholm-Syndrom in die Diskussion, liegt damit allerdings falsch. Geschickt verwendete Ellipsen, die deutlich machen, dass hier das Drama über den Thriller obsiegt, sorgen dafür, dass man sich niemals ganz sicher sein kann, wie die Geschichte weitergehen wird. Nach 35 Minuten bekommt die Tat ein Motiv und das Krimi-Drama ein Thema und ein sehr reales Feindbild. Lügen und Geheimnisse sind der Nährboden der Geschichte – allerdings ohne, dass dies gleich zu Beginn ausgestellt würde. Es geht dabei um die aggressiv dröhnenden Autos in der Großstadt, um Raser, die dem Rausch der Geschwindigkeit erliegen, die vom Nervenkitzel des Verbotenen gepackt werden. Das alles wird gegen Ende des Films von Regisseur Andreas Senn („Tatort – Das Recht, sich zu sorgen“) atemberaubend in Szene gesetzt – wodurch ein Stück weit die Faszination dieses jugendlichen Wahnsinns zum Ausdruck gebracht wird.
Der filmische Flow ist flott und flüssig, besitzt ein angenehmes Tempo. Die Kamera sucht die Charaktere, geht mitunter ganz nah ran, um der Verzweiflung ins Gesicht zu blicken. Und wie in vielen Krimis sorgt das Dunkel der Nacht für einen coolen Look und für einige magische Momente. Der gute Score von Florian Tessloff unterstreicht zu Beginn das Atmosphärische, öffnet Räume, in der zweiten Hälfte unterstützt er die Spannung. Der narrative Flow kommt wesentlich zustande durch die offene Führung des Kidnappers und durch die unterschiedlichen Parteien, die in den 90 Minuten ins Spiel gebracht werden: Neben der Polizei und dem Täter bekommt man es als Zuschauer zu tun mit dem entführten Sohn, seinen Eltern, die sich nicht nur in der Lösegeldfrage nicht immer einig sind, und mit „Geschäftsfreunden“ des Autohaus-Besitzers – sprich: mit Kumpels von der libanesischen Mafia. Dadurch nimmt die Handlung nicht nur diverse Wendungen, sondern es wechselt auch immer wieder die Erzählperspektive – was letztendlich der Dichte der Narration und auch der Spannung zu Gute kommt.
Aber auch das Erzählte selbst geht an die Nieren. Da ist ein Vater, der nicht nur den Entführer, sondern auch den eigenen Sohn für einen Versager hält und das auch noch ausspricht („Vollidiot schnappt Vollidiot“), der allerdings im Verlauf der Handlung seine smarte Großkotzigkeit zunehmend verliert. Eine Figur, wie gemacht für Benno Fürmann. Da ist ein mehrfach vermöbelter Entführer, den Lucas Gregorowicz fast schon als Sympathiefigur spielt, zumindest aber als einen Mann, mit dem man Mitleid haben kann. Gleiches gilt für den Sohn aus gutem Hause, den auch Aaron Hilmer („Das schönste Mädchen der Welt“) überzeugend verkörpert – maskentechnisch beinahe so, als sei er in einen Splatterfilm geraten. Und dann dieses Berlin, dieser moderne Moloch, der sensible Gemüter kaputt machen kann und der längst nicht mehr nur von harmlosen Stadtneurotikern bevölkert wird. Der Ku‘damm als Rennstrecke, die Wut als letzte Rettung. „Ich will nicht, dass Du ein Hater wirst“, sagt Susanne Koch zu Brühl – und sie träumt den Traum vom gemeinsamen Haus am See.
„Der Kommissar und die Wut“ ist radikal darin, wie die Figuren zu Ende gedacht werden. Die Verzweiflung von Entführer und Entführtem, zwei in ihrem Schmerz Seelenverwandte, die der Wunsch nach Klarheit und einer „Lösung“ antreibt, wird konsequent und in ihrer Wirkung gnadenlos ausgelebt. Anfangs sieht man in einigen Szenen noch den Kommissar, den Entführer oder die Mutter des Entführten, wie sie sich ihren Gedanken hingeben. Die beiden Letzteren scheinen etwas mit sich herumzutragen, wovon der Zuschauer erst sehr viel später erfahren wird. Der Kommissar ist leichter zu „verstehen“. Die ganz schwere Seelenlast hat der kraftvoll und feinfühlig von Roeland Wiesnekker verkörperte Martin Brühl abgelegt. Nur noch einmal steigen die Krähen aus „Der Kommissar und das Kind“, Sinnbild des Todes und der Agonie, kurz auf, bevor sie davonflattern. Dieser Mann ist sensibel, sieht hinter die Dinge, er kennt das Leben, die seelischen Abgründe, er kennt die Menschen, ihre Ängste, ihre Triebe, ihre billigen Tricks, um sich besser oder kurzzeitig großartig zu fühlen – und er kennt ihre Wut, weil sie auch ihn gelegentlich überkommt. „Mach mal die Rotzgurke aus“, fährt er einen Clan-Hiwi an. „Hast Du ’n Problem oder was!“, tönt es zurück. Brühls Antwort ist deutlich: „Ja, dieser Dicke-Eier-mir-gehört-die-ganze-Straße-fick-dich-Motor-Sound kotzt mich an.“