Der ARD ist mit der neuen Reihe „Der Island Krimi“ ein echter Besetzungsknüller gelungen, immerhin gilt Franka Potente als Hollywoodstar; zumindest hierzulande. Nun muss sich zeigen, ob die Schauspielerin genug Zugkraft für einen TV-Krimi im „Ersten“ hat. Der Filmerfolg, der sie international bekannt machte, „Lola rennt“ (1998), liegt schon ziemlich lange zurück, ihre Mitwirkung in den „Bourne“-Thrillern (2002/04) ebenfalls; im deutschen Fernsehen war sie zuletzt 2011 als Beate Uhse im gleichnamigen ZDF-Film sowie in dem zweiteiligen Weltkriegsdrama „Laconia“ zu sehen. Aber die Island-Krimis haben noch mehr zu bieten: Anders als bei den gleichfalls von der ARD-Tochter Degeto verantworteten Zürich-Krimis und viel stärker als in den Krimis aus Kroatien ist der Schauplatz mindestens so wichtig wie die Hauptdarstellerin. Entsprechend bilderreich haben Regisseur Till Endemann, der sich vor allem durch seine Arbeit für den SWR einen Namen gemacht hat („Flug in die Nacht – Das Unglück von Überlingen“ oder „Unter Anklage: Der Fall Harry Wörz“), und sein bevorzugter Kameramann Lars R. Liebold den Film gestaltet. Anders als in vielen Heimat-Dramen sind die Aufnahmen der gleichermaßen schroffen wie faszinierenden Landschaft jedoch keine Lückenfüller; die schwarzen Strände, das zerklüftete Vulkangestein und die auch im Sommer schneebedeckten Berge bilden die Basis für die kühle Atmosphäre des Krimis.
Selbst wenn die Fans von Franka Potente das nicht gern lesen werden: Island ist der Hauptattraktion des Films, nicht die Hauptdarstellerin; und auch nicht die (Krimi-)Geschichte, die sich die Drehbuchatoren Don Bohlinger und Nils-Morten Osburg ausgedacht haben. Im Hafenbecken ihres Heimatdorfs entdeckt Krimiautorin Solveig Karlsdóttir die Leiche von Fischfabrikbesitzer Jón. Für den örtlichen Polizisten ist der Fall klar: Der Mann ist besoffen ins Wasser gefallen und ertrunken. Aber Solveig spürt, dass mehr dahinter steckt, zumal sie Jón am Abend beim Streit mit einem anderen Mann beobachtet hat. Sie ahnt, dass der Tod mit dem geplanten Verkauf der Fabrik zusammenhängen könnte; Jón war der letzte große Arbeitgeber im Dorf. Aber dann wird der Mitarbeiter, den sie verdächtigt, ebenfalls ermordet.
Abgesehen vom Fischfang könnte sich die eigentliche Krimihandlung auch irgendwo in der alpinen Provinz zutragen, zumal sich das Drehbuch am üblichen Muster solcher Filme orientiert: Eine Heimkehrerin wirbelt mehr Staub auf, als den Einheimischen lieb ist; und natürlich trifft sie auch auf ihre Jugendliebe (Felix Klare). Dass der trinkfreudigen Solveig, die sensibler ist, als ihr demonstrativ selbstbewusstes Auftreten vorgibt, im Gegensatz zu ihren früheren Freundinnen die Flucht aus dem Kaff gelungen ist, macht sie automatisch zur Außenseiterin; mit ihren blauen Strähnchen, dem roten Nagellack und den bunten Akzenten in ihrer Kleidung ist sie im Vergleich zu den bodenständigen Dorfbewohnern ohnehin ein Paradiesvogel. Die Nebenfiguren sind fast ausnahmslos mit Isländern besetzt worden, bei deren Auswahl offenbar auf markante Gesichter geachtet wurde. Umso wichtiger war es, die Schauspieler mit passenden Stimmen zu versehen. Die Synchronisation ist so gut, dass es praktisch keine akustischen Unterschiede zwischen den deutschen und isländischen Darstellern gibt; das ist bei Produktionen dieser Art keineswegs immer der Fall.
Interessanter als die Suche nach dem Mörder ist die mystische Ebene des Films, die auch schon im fantasievoll gestalteten Vorspann angedeutet wird. Verkörpert wird sie durch Solveigs Mutter Margrét. Hildegard Schmahl ist eine ausgezeichnete Besetzung für diese Frau, die mit ihrem versonnenen Blick und den weißen Haaren wie eine weise Schamanin wirkt, weshalb Sätze wie „Es ist etwas im Gang, die Elfen sind unruhig“ aus ihrem Mund ganz normal klingen. Solveig hatte einst eine Zwillingsschwester, die aber bereits mit sieben Jahren gestorben ist. Trotzdem hat sie oft das Gefühl, Unnar sei noch in ihrer Nähe, und hin und wieder erscheint sie ihr auch, stumm und von einem überirdischen Leuchten umgeben; nach jeder dieser Erscheinungen nimmt der Fall eine überraschende Wendung.
Für Spannung sorgt denn auch in „Der Tote im Westfjord“ weniger der Thrill als vielmehr die Atmosphäre. Die besondere Qualität des Films liegt denn auch entsprechend in der Erzählweise. Der Schluss, als Solveig dem Mörder sein Motiv erklärt, fällt auch deshalb aus dem Rahmen, weil die Figuren an anderer Stelle weit weniger Worte brauchen: Margrét ist zuweilen etwas desorientiert, aber Solveig bringt es nicht übers Herz, sie in ein Altenheim zu bringen. Trotzdem schaut sie sich das Haus an. Eine kurze Szene genügt, um ihr Unbehagen zu verdeutlichen: Im Aufenthaltsraum, heißt es, können sich die Menschen austauschen und gemeinsam Dinge erleben; aber alle starren stumm in eine Zimmerecke, in der vermutlich der Fernseher steht. Ansonsten lebt der Film vor allem von der speziellen Stimmung Islands, die Endemann und Liebold sehr authentisch eingefangen haben. Im Gegensatz zu den Degeto-Krimis aus Athen oder Urbino (beide werden nicht fortgesetzt) verbreiten die Bilder keinerlei Behaglichkeit. „Der Island Krimi“ steht also deutlich in der skandinavischen Krimi-Tradition. Erst ganz am Ende werden die Aufnahmen warm und freundlich. (Text-Stand: 7.10.2016)