„Himmelhoch jauchzend, zu Tode betrübt“: Stimmungsschwankungen sind nichts Ungewöhnliches. Fallen sie jedoch übergangslos so radikal aus, wie dies der Volksmund beschreibt, spricht man in der Psychologie von einer Borderline-Persönlichkeitsstörung: Die betroffenen Menschen sind emotional derart instabil, dass sie eine Gefahr darstellen; die einen für sich, die anderen für ihre Umgebung. In ihrem klugen und ungemein dicht konzipierten zweiten Drehbuch für den „Irland-Krimi“ beschreibt Katrin Bühlig einen derartigen Fall, der der früheren Kriminalpsychologin Cathrin Blake besonders (Désirée Nosbusch) nahegeht, denn er betrifft ihren Freund, Superintendent Sean Kelly (Declan Conlon). Über diesen Umweg erzählt „Zerrissene Seelen“ zudem endlich mehr über den früheren Kollegen ihres verstorbenen Mannes. Geschickt verknüpft Bühlig das Borderline-Krankheitsbild mit der Persönlichkeitsentwicklung Kellys, der im Großen und Ganzen ein freundlicher Zeitgenosse ist, aber immer wieder mal übertrieben aufbrausend reagiert.
Foto: Degeto / Patrick Redmond
Den Auftakt dieses zehnten Films im Rahmen der Reihe bildet jedoch eine Tragödie, die zunächst mit der eigentlichen Geschichte nichts zu tun zu haben scheint: Ein Mann hat im Rahmen eines erweiterten Suizids seine Frau und die beiden Kinder getötet; er selbst hat jedoch überlebt. Der Zeitlupeneffekt – Regie führte wie zuletzt Matthias Tiefenbacher – wirkt zunächst unnötig, hat jedoch zur Folge, dass sich das Ereignis einbrennt. Blakes Erklärung dieser Tat steht zumindest in einem indirekten Zusammenhang mit dem zentralen Erzählstrang: Sie attestiert dem Täter narzisstische Persönlichkeitsmerkmale. Sein Vater sagt, der Sohn sei ein Blender gewesen. Als ihm die Schulden über den Kopf wuchsen, muss er das als psychische Bankrotterklärung empfunden haben.
Schon mit dieser Ebene nimmt sich „Zerrissene Seelen“ eines höchst aktuellen Themas an. In Blakes Worten geht es um die Diskrepanz zwischen Schein und Sein: Weil alles nur noch eine Inszenierung ist, haben viele Menschen Angst, den Ansprüchen und Erwartungen nicht zu genügen. Später greifen Bühlig und Tiefenbacher diesen Strang wieder auf, als zwei Eltern-Paare in einer Parallelmontage am Klinikbett ihrer Söhne stehen. Zunächst führt das Drehbuch jedoch erst mal Eoin (Levi O’Sullivan) ein. Der junge Mann ist der Sohn von Kellys vor vielen Jahren ausgewandertem Bruder, die beiden haben kaum noch Kontakt. Eoin kommt zur Therapie in die psychiatrische Klinik von Galway, Kelly soll so lange ein Auge auf ihn haben; er hatte allerdings keine Ahnung, dass sich die Behandlung über ein Jahr erstrecken kann.
Foto: Degeto / Patrick Redmond
Was nun folgt, ist eine Achterbahnfahrt durch die Abgründe der Psyche. Zunächst belässt es Bühlig bei düsteren Andeutungen, wenn der alleinstehende Kelly versichert, er habe aus gutem Grund keine Kinder in die Welt gesetzt. Bestimmte Situationen wirken für ihn wie Trigger-Momente und rufen beklemmende Kindheitserinnerungen hervor. Gleichzeitig entwickelt sich die Beziehungsebene zwischen dem Polizisten und der Psychologin weiter. Bislang hat die beiden vor allem der gegenseitige Respekt und eine Art sympathische Kollegialität verbunden. Nun gewährt Kelly in einem Moment großen Vertrauens Einblicke in sein Seelenleben. Es geht um ein emotionales Erbe, das die beiden Brüder miteinander verbindet und gleichzeitig trennt. Die Empathie, mit der Bühlig und Tiefenbacher sich dieses heiklen Themas annehmen, macht den Film auch dank der ausnahmslos gut ausgewählten einheimischen Mitwirkenden zu einem emotional fesselnden Drama.
Kein Wunder, dass die Krimiebene in den Hintergrund rückt, zumal die Auflösung recht früh zu erahnen ist: Bereits bei seiner Ankunft in der Klinik wird Eoin von einer jungen Frau (Laoise Sweeney) angeflirtet. Lizzy ist eine weitere tragische Figur: Ihr Körper ist übersät mit Wunden und Narben. Am Abend haben die beiden die Einrichtung verbotenerweise verlassen, am nächsten Tag wird Lizzys Leiche entdeckt, und natürlich steht der verschwundene Eoin nun unter dringendem Mordverdacht. Wichtiger sind letztlich jedoch Blakes Ausführungen zu den verschiedenen Krankheitsbildern: Eoin lebt in einer Welt ohne Zwischentöne, für ihn gibt es nur Schwarz und Weiß. Dank Désirée Nosbusch sind diese Schilderungen keine Unterbrechung des Handlungsflusses. Ihre Relevanz steht angesichts der zunehmenden Zahl von Kindern und Jugendlichen mit psychischen Belastungen ohnehin außer Frage.