Der Irland-Krimi – Familienbande / Preis des Schweigens

Nosbusch, Gaffron, Sarbacher, Bock, Tiefenbacher, Dierbach. Frauen- vs. Männerfilm

Foto: Degeto / Xiomara Bender
Foto Tilmann P. Gangloff

Für den „Irland-Krimi“ (Degeto / Good Friends) beginnt eine neue Zeitrechnung: Frühere Figuren verabschieden sich, neue kommen hinzu. Was sich nicht geändert hat, ist ein gewisses Fremdeln: Gerade der erste der beiden Filme wirkt wie eine Importproduktion mit deutscher Hauptdarstellerin, weil das Ensemble fast nur aus Einheimischen besteht. Größeres Manko von „Familienbande“ ist jedoch das sogenannte Typecasting: Die insgesamt fünfte Episode erzählt eine düstere Geschichte über die Abgründe hinter einer ehrenwerten Fassade, doch die entsprechenden Mitwirkenden sind auf Anhieb als Ungeheuer zu erkennen. „Preis des Schweigens“ erzählt nicht nur die interessantere Geschichte, sondern ist mit Thomas Sarbacher und Rainer Bock als Gegenspieler von Psychologin Blake (Désirée Nosbusch) auch vorzüglich besetzt. Sehenswert bei beiden Filmen ist die sorgfältige Bildgestaltung.

Die Wertung im Einzelnen: Der Kritiker vergibt dreieinhalb Sterne für „Familienbande“ und vier Sterne für „Preis des Schweigens“

Von Müttern und anderen Monstern. „Familienbande“
Der Anfang wirkt wie ein Thriller und weckt Assoziationen zu Nicolas Roegs Mystik-Klassiker „Wenn die Gondeln Trauer tragen“. In dieser Verfilmung einer Erzählung von Daphne du Maurier wird ein Elternpaar durch den Tod der Tochter völlig aus der Lebensbahn geworfen. Das kleine Mädchen ist im Gartenteich ertrunken; es hatte einen knallroten Regenmantel an. Der „Irland-Krimi“ beginnt mit den Bildern zweier Kinder, die ebenfalls rote Jacken tragen und auf einen Abgrund zu laufen. Auch die rote Einfärbung der kurzen Rückblenden erinnert an den Auftakt von Roegs Drama, in dem ein umkippendes Glas mit roter Farbe als sinistres Omen dient. Die Stimmung der folgenden 90 Minuten ist ähnlich düster, bloß die Geschichte ist eine gänzlich andere: „Familienbande“, der Titel deutet es an, ist ein Familiendrama, das mit zunehmender Dauer immer grausigere Untiefen offenbart.

Der Irland-Krimi – Familienbande / Preis des SchweigensFoto: Degeto / Martin Maguire
Kate (McCormack) weiß, wo sie ihre Tochter Abbie (Luisa-Céline Gaffron) findet.

Mit dem fünften „Irland-Krimi“ beginnt eine neue Zeitrechnung: Frühere Figuren der Reihe verabschieden sich, andere kommen hinzu. Der Film beginnt mit dem Umzug von Psychologin Cathrin Blake (Désirée Nosbusch) sowie dem Auszug von Sohn Paul (Rafael Gareisen) und endet mit der Versetzung seiner Freundin, Polizistin Emma; Mercedes Müller war gemessen an ihrem Talent ohnehin meistens unterfordert. Neu im Ensemble ist ein Austernhändler (Thomas Sarbacher). Cathrin, die sich endlich ihrer Sucht stellt, lernt den Mann, der ihr trotz seiner leutseligen Aufdringlichkeit nicht unsympathisch ist, bei den Anonymen Alkoholikern kennen. Die Drehbücher stammen erstmals nicht mehr von Christian Schiller und Marianne Wendt; Regisseur Züli Aladag hat sich ebenfalls verabschiedet. Nicht geändert hat sich ein gewisses Fremdeln: Auch die neuen Produktionen wirken wie Importe mit deutscher Hauptdarstellerin, weil das Ensemble fast nur aus Einheimischen besteht.

Größeres Manko ist jedoch das sogenannte Typecasting. Im wahren Leben reagieren Menschen regelmäßig schockiert, wenn sich ein unscheinbarer Nachbar als Mörder entpuppt. In „Familienbande“ sind die Monster jedoch umgehend zu erkennen. Die Episodenhauptrolle gehört nicht dazu, selbst wenn ihr die Boulevardpresse einst den Namen „Slaughtering Abby“ verpasst hat: Die Gattenmörderin ist seit fünf Jahren im Gefängnis, weil sie ihren Mann abgeschlachtet hat. Cathrin ist jedoch überzeugt, dass von Abby (Luisa-Céline Gaffron) keine Gefahr mehr ausgeht. Ihr Gutachten sorgt dafür, dass die junge Frau Freigang bekommt, um ihre kleine Tochter zu besuchen. Abbys Mutter Kate (Denise McCormack) ist dagegen umgehend als furchtbare Person zu erkennen, dicht gefolgt von Schwager Devlin (Muiris Crowley), dem der potenzielle Unhold gleichfalls ins Gesicht geschrieben ist. Schwester Erin (Shauna Higgins) schließlich ist zweifelsfrei eins der Opfer der Geschichte; sie und Abby sind die beiden kleinen Mädchen aus dem Prolog. Die Familie lebt gemeinsam unter einem Dach. Mutter Kate legt Wert darauf, dass es sich um ein ehrenwertes Haus handele, aber die Krimierfahrung lehrt: Hinter solchen Fassaden sind die Abgründe besonders tief.

Bewegung kommt in die Handlung, als Abby den Freigang nutzt, um mit ihrer Tochter abzuhauen, außerdem hat sie offenbar Devlins Revolver mitgenommen. Entsprechend groß ist nun die Aufregung; womöglich will die junge Frau erst ihr Kind und dann sich selbst töten. Das klingt nach einem fesselnden Krimi, aber entsprechende Spannung kommt erst zum Finale auf, als tatsächlich ein Leben in Gefahr ist. Sehenswert ist immerhin die sorgfältige Bildgestaltung (Hanno Lentz), ohnehin ein Markenzeichen der Reihe. Die karge Landschaft spielt jedoch nur eine Nebenrolle, was doppelt schade ist, schließlich sind die Schauplätze das jeweilige Alleinstellungsmerkmal der Donnerstagskrimis im „Ersten“; allein wegen der Geschichte, die sich genauso gut hierzulande verorten ließ, hätte die Produktionsfirma nicht an der irischen Westküste drehen brauchen. Regie führte Matthias Tiefenbacher, der unter anderem für die ARD-Tochter Degeto die vier „Tel-Aviv-Krimis“ (2016/17) sowie fürs ZDF die schwarzhumorige Krimireihe „Schwarzach 23“ (2015 bis 2020) gedreht hat.

Der Irland-Krimi – Familienbande / Preis des SchweigensFoto: Degeto / Martin Maguire
Blake (Désirée Nosbusch) lernt auch die Schattenseite von Matt (Thomas Sarbacher) kennen.

Die Guten und die Bösen. „Preis des Schweigens“
War „Familienbande“ ein Frauenfilm, so ist der zweite ein Männerfilm; abgesehen natürlich von der zentralen Figur. Das ist selbstredend nicht der einzige Grund, warum „Preis des Schweigens“ ungleich fesselnder und dichter ist. Zunächst scheint Alexander Dierbach (Buch und Regie) eine nicht unübliche Krimigeschichte zu erzählen: Als ein Angler einen Hecht ausnimmt, entdeckt er im Magen des Tiers menschliche Fingerknochen. Polizeichef Kelly (Declan Conlon) glaubt, dass sie einer Frau gehören, die vor einiger Zeit verschwunden ist. Der Polizist ist überzeugt, dass der Ehemann, Erik Bell (Rainer Bock), seine Gattin getötet hat, aber mehrere Zeugen bestätigten, er habe sich zur Tatzeit in einem Spielcasino aufgehalten. Tatsächlich galt Bell als spielsüchtig, deshalb war er auch bei Cathrin in Behandlung.

An dieser Stelle kommt das Grundmotiv der Geschichte ins Spiel: Es geht um Vertrauen. Conlon bittet Cathrin um Hilfe; dabei will er sie bloß aushorchen. Auch Bell sagt nicht die ganze Wahrheit. Dass die Psychologin mit beiden Männern befreundet ist, macht die Dinge nicht gerade leichter. Für Lichtblicke sorgt immerhin die Beziehung zu Matt; aber selbst er ist nicht der, der er zu sein vorgibt. Dieser Konstellation verdankt die Handlung ihre hintergründige Spannung, zumal die Konfrontation nur dank eines entsprechenden Ensembles funktioniert; außerdem zahlt sich aus, dass Dierbach anders als Tiefenbacher mit deutschen Darstellern arbeiten konnte. Sowohl Sarbacher wie auch Bock haben in der Vergangenheit Sympathieträger und Schurken verkörpert. Dieses Vorwissen trägt maßgeblich dazu bei, ihre Rollen in der Schwebe zu halten. Bei Matt begnügt sich der Regisseur mit kleinen inszenierten Andeutungen, aber über Bell schwebt neben dem Mordverdacht ein weiterer Vorwurf: Er hat früher in einer von seiner Frau geleiteten psychiatrischen Klinik gearbeitet, dort soll es zu erheblichen Misshandlungen gekommen sein.

Der Irland-Krimi – Familienbande / Preis des SchweigensFoto: Degeto / Xiomara Bender
Erik Bell (Rainer Bock) ist spielsüchtig, aber ist er ein Mörder? Isla Jane Eagleton

Dierbach hat viele gute Krimis gedreht, darunter einige vorzügliche „Helen Dorn“-Episoden. Dass er auch ein ausgezeichneter Drama-Regisseur ist, hat er mit „Weil du mir gehörst“ (2020, ARD) bewiesen, einem deprimierenden, aber herausragend gut gespielten Film mit Felix Klare als entsorgter Vater und Julia Koschitz als Mutter, die ihr Kind manipuliert, sowie zuletzt mit „Wo ist die Liebe hin“ (2022), einem Ehedrama, in dem ein harmonisches Verhältnis in kürzester Zeit auseinander bricht. Auch „Preis des Schweigens“ lebt in erster Linie von der Beziehungsebene: Viele Jahre nach dem mysteriösen Tod ihres Mannes scheint Cathrin mit Matt endlich ein kleines Glück gefunden zu haben, zumal der ehemalige Koch ähnlich viele Höhen und Tiefen erlebt hat wie sie. Eine der eindrücklichsten Szenen zeigt die beiden in einem mittlerweile zu einer Ruine verkommenen Anwesen; hier war auch die in Verruf geratene psychiatrische Klinik untergebracht.

Gegenentwurf zu den Krimi- und Emotionsebenen sind die Momente mit Bell und der kleinen Sophie. Er ist Kinderpsychiater, sie hat ihre Eltern bei einem Unfall verloren; seither spricht sie nicht mehr. Stattdessen verfasst sie Briefe, die sie gemeinsam mit dem Arzt, der das Mädchen gern adoptieren möchte, in kleinen Kästchen am Fuß von Bäumen vergräbt. Sie hofft, dass die Wurzeln aufnehmen, was sie geschrieben hat, damit ihre Botschaft schließlich von den Vögeln in den Himmel zu den Eltern getragen wird. Allein dieses schmerzlich-schöne Bild zeigt, in welchem Geist Dierbach sein Drehbuch verfasst hat. „Wie erkennt man die Guten und die Bösen?“, will Matt gegen Ende von Cathrin wissen. Bei einer der Figuren handelt es sich um eine manipulative Persönlichkeit, und natürlich lebt der Film vor allem von der Frage, welcher der Männer das sein mag. (Text-Stand: 3.9.2022)

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Reihe

ARD Degeto

Mit Désirée Nosbusch, Declan Conlon, Thomas Sarbacher, Rafael Gareisen.

Episodenrollen: (1) Luisa-Céline Gaffron, Denise McCormack, Shauna Higgins, Mercedes Müller, Muiris Crowley (2) Rainer Bock, Isla Jane Eagleton, Alexandra Finder

Kamera: Hanno Lentz (1), Ian Blumers (2)

Szenenbild: Jerome Latour Burckhardt

Kostüm: Andreas Janczyk

Schnitt: Horst Reiter (1), Nina Meister (2)

Musik: Sebastian Fillenberg, Alex Komlew, Dieter Dolezel (1), Sebastian Fillenberg, Alex Komlew (2)

Redaktion: Katja Kirchen, Christoph Pellander

Produktionsfirma: good friends Filmproduktion

Produktion: Moritz von der Groeben, Nikola Bock

Drehbuch: Sebastian Andrae, Alexander Dierbach

Regie: Matthias Tiefenbacher, Alexander Dierbach

Quote: (1): 5,68 Mio. Zuschauer (22,1% MA); (2): 5,62 Mio. (22,2% MA)

EA: 27.09.2022 20:15 Uhr | ARD

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