Fredo Schulz (Armin Rohde) kann es verstehen, dass sein Partner Milan Filipovic (Edin Hasanovic) nach der Ermordung seiner Freundin nicht mehr länger Polizist sein will. Er selbst hat seine Frau und seinen Sohn verloren. Der Job macht einsam, melancholisch, und er kann einen zum Alkoholiker werden lassen. Als nach einem Einsatz auf dem Flughafen Milan an seinem letzten Arbeitstag kaltblütig erschossen wird, greift Fredo, der sich Vorwürfe macht, wieder zur Flasche, was ihn aber nicht davon abhält, auf Mörderjagd zu gehen. Das ist er sich und der Mutter seines toten Freundes (Anica Dobra) schuldig. Amtsrat Schellack (Johann von Bülow) stellt Fredo mit Radu Lupescu (Sabin Tambrea) einen jungen, unerfahrenen Kollegen zur Seite, der sichtlich irritiert ist vom rüden Ermittlungsstil des Bullen alter Schule. Und der ist sich sicher, dass dieses Greenhorn von der internen Abteilung auf ihn angesetzt wurde. Die brutalen Befragungsmethoden haben aber Erfolg: Die Spuren zum Mörder und dessen Hintermännern führen zurück zum Flughafen. Dort gehören ein Bundespolizist (Carlo Ljubek) und ein Zollbeamter (Andreas Anke) zu den Drahtziehern eines organisierten Drogen-Schmuggels. Ihr „Partner“ ist Marlon (Timo Jacobs), ein unberechenbarer Junkie, der seine kolumbianische Freundin (Lo Rivera) als Bodypackerin auf Reisen schickt. Die Lage ist angespannt, dennoch soll es noch eine letzte Kokain-Schmuggeltour geben.
Foto: ZDF / Stephanie Kulbach
Als Zuschauer ist man früh im Bilde im dritten Krimi der ZDF-Reihe „Der gute Bulle“. Man weiß, wer alles hinter dem Drogen-Coup steckt. Unter ihnen ist ausgerechnet ein bosnischer Jugendfreund des Toten, der sich schon seit längerem sein schmales Beamtengehalt aufbessert. Mit dem Mord hat er direkt nichts zu tun, dennoch ist dieser Bundespolizist sichtlich angefasst – auch weil er weiß, dass Fredo Schulz nicht so schnell Ruhe geben wird. Und der Bosnier kennt natürlich auch die Mutter des Toten. Die würdigt den Kollegen ihres Sohnes bei der Beerdigung keines Blickes, ihr Satz an dessen Chef, „Er soll den Mörder fassen, sonst mach ich es“, gibt aber einen Hinweis darauf, dass auch sie, diese Frau ohne Hoffnung, die nach ihrem Mann nun auch ihren Sohn verloren hat, als Racheengel infrage käme. Und dann sind da ja noch der größenwahnsinnige Junkie, dem nach dem Mord alles zuzutrauen ist, und die Kolumbianerin, die am liebsten einen Absprung machen würde, aber gleichzeitig um die Gefährlichkeit ihres Partners weiß. Autor-Regisseur Lars Becker, „Nachtschicht“-Erfinder und noch nie ein Freund klassischer Whodunits, hat einmal mehr beste Voraussetzungen für eine spannende Geschichte geschaffen. Zu Beginn ist die Frage, wann und wie die Erzählstränge zusammenlaufen? Später werden die Handlungsoptionen konkreter – und man stellt erste Spekulationen an: Wird es noch einen Toten geben? Wenn ja, wer killt wen? Wird dabei das Rachemotiv eine Rolle spielen? Auch Fredo Schulz macht gegenüber seinem neuen Kollegen eine Andeutung in diese Richtung. Und wie wird sich die Kolumbianerin verhalten?
Dialogwechsel zwischen den beiden neuen Kollegen
Schulz: „… und dafür wird er bezahlen.“
Lupescu: „Was heißt denn hier ‚bezahlen‘, Herr Schulz? Das klingt ja für mich jetzt irgendwie gar nicht gut. Klingt irgendwie nach Selbstjustiz.“
Schulz: „Ach, klingt das so?! Dann klingt das eben so – und vielleicht läuft es auch darauf hinaus.“
Foto: ZDF / Stephanie Kulbach
Freundschaft, Rache, Sucht, Schuld, Verzweiflung und Tod – diese Motive kennt man aus vielen Genrefilmen von Lars Becker. Auch Familie ist ein Schlüsselbegriff. Das bezieht sich zum einen auf den Produktionsprozess, so arbeitet der Hamburger gerne mit Freunden und guten Bekannten wie Armin Rohde, Edin Hasanovic oder Cutter Sanjeev Hathiramani zusammen. Aber auch in den Geschichten ist Familie im engen (Beziehung, Kinder, Clans) und im weiteren Sinne (Polizei, Bande) von großer Bedeutung. Man kennt sich, manchmal ist man sich menschlich nah, das schließt aber gestörte Interaktionen nicht aus, wie „Nur Tote reden nicht“ zeigt: Das Schmuggler-Quartett ist sich nicht grün, die Kleinfamilie um den Junkie, seine kolumbianische Freundin und ihren gemeinsamen Sohn, ist hochgradig dysfunktional und auch bei den „Guten“ gibt es zwei schwarze Schafe. Dagegen wächst das Drogendezernat zu einer Einheit zusammen, nachdem man auch als Zuschauer einige Zweifel daran haben konnte. Der große dramaturgische Vorteil dieser engen Beziehungen ist die sehr viel größere Emotionalität, die solche Geschichten freisetzen. Während in Beckers „Nachtschicht“-Reihe mögliche Empathie durch die Vielzahl an Personal und Mini-Plots sowie Ironie und Witz häufig ein Stück weit ausgebremst wird, werden dagegen in den Thrillern um Kessel & Diller, „Unter Feinden“, „Zum Sterben zu früh“ und „Reich oder tot“, und nun besonders in „Der gute Bulle“ Emotionen auf allen Ebenen forciert: Wer Freunde, Kinder oder den Lebenspartner verliert, den wirft es leicht aus der Bahn. Selbst die korrupten Beamten haben emotional nachvollziehbare Gründe für ihr kriminelles Tun.
Und wie immer in Lars Beckers Geschichten spielt der Zufall auch diesmal eine gewichtige Rolle. Etwas Glück braucht selbst ein Instinktbulle wie Fredo Schulz. Durch die gefühlte Alltagsstruktur der Geschichte kreidet man diesem sehr menschlichen Genrefilm das Zufallsprinzip aber nicht als ein Manko der Narration an. Dafür fließt „Nur Tote reden nicht“ einfach auch zu gut. Dramaturgie und Inszenierung harmonieren vorzüglich miteinander. So wirken beispielsweise die ersten Bilder beinahe dokumentarisch (ein Flug wird abgefertigt), ebenso ist der angekündigte Abschied aus dem Polizeidienst ein eher alltäglicher Vorgang. Auch die Vernehmung am Flughafen ist undramatisch in Szene gesetzt. Eine gute, sachliche Exposition nimmt ihren Gang. Erst als die Polizisten eine Raststätte anfahren, nachdem sie das Für und Wider diskutiert haben, droht Unheil. Es reicht, dass diese Szene im Dunkeln spielt und Milan und Fredo etwas unruhig werden; der Score schwillt dabei nur ein klein bisschen an. Auch später, wenn die Spannungskurve der Handlung steigt, baut Becker filmsprachlich auf das Weniger-ist-mehr-Prinzip. Wer Schauspieler hat wie Rohde, Ljubek, Hasanovic oder Sabin Tambrea als neuer Kollege, der große Lust macht auf mehr, der braucht keine künstliche Spannungsmache und kann den Reizpegel getrost herunterfahren. Dabei entspricht die filmische Tonlage ganz der depressiv-melancholischen Stimmungslage vieler Charaktere.