Der gute Bulle – Friss oder stirb

Rohde, Hasanovic, Bagriacik, Gersak, Muslu, Lars Becker. Guter Bulle, böser Bulle

Foto: ZDF / Nik Konietzny
Foto Rainer Tittelbach

Armin Rohde ist als „Der gute Bulle“ (ZDF / Network Movie) zum zweiten Mal im Einsatz. Sein Anti-Held, ein trockener Alkoholiker, kennt die Abgründe, die einen erwarten, wenn Sucht & Lügen, Leidenschaft & Egoismus die Oberhand über das eigene Leben gewinnen… Es ist ein typischer Lars-Becker-Film. Rau die Gangart, rüde der Tonfall, und die Grenzen zwischen den vermeintlichen Guten und den Bösen verschwimmen. Plot und Charaktere sind einfach gestrickt, die Dramaturgie nicht gerade subtil. Die Handlung ist straight, die Atmosphäre cool, der Film spannend. Es gibt Tote, aber auch gerötete Augen. Am Ende ist „Friss oder stirb“ mehr lakonisches Cop-Melodram als Polizeithriller. Einziges Manko: Die Sprachcodes unterscheiden sich kaum. Gefühlt hört man in jedem zweiten Satz ein „Fick dich“ oder ein „du Wichser“, stets hat einer den anderen an den „Eiern“, und als Attribut kommt ein „fucking“ offenbar immer gut. Dagegen kann die Bildsprache nicht immer „anstinken“.

Fredo Schulz (Armin Rohde) ist beunruhigt. Der trockene Alkoholiker, der sich in seinem letzten Leben schon so manchen Chemiecocktail gemixt hat, soll ausgerechnet eine Sonderermittlung im Drogendezernat Berlin-Neukölln leiten. Gerade ist der zweite verdeckte Ermittler binnen kürzester Zeit über die Wupper gegangen. Sein Chef (Michael Maertens) vermutet einen Maulwurf in den eigenen Reihen. Und tatsächlich: Axel Gondorf (Sascha Alexander Gersak) steht auf der Gehaltsliste von Großdealer Hassan Moussa (Murathan Muslu). Der Polizist war sogar dabei, als der Drogenboss den letzten „Spitzel“ eliminierte, und anschließend musste seine bessere Hälfte (Nadeshda Brennicke) auch noch als Tatortreinigerin mitanpacken. Einen neuen Mann bei Moussa einzuschleusen, dürfte schwierig werden. Schulz und sein Kollege Milan Filipovic (Edin Hasanovic) versuchen es trotzdem – und sie setzen auf eine Frau, auf die attraktive Dealerin Dakota (Almila Bagriacik), die eine kleine Tochter hat und noch zwei Jahre Knast abzusitzen hätte. Sie geht den gefährlichen Deal ein. Zwar riechen alle, die Dakotas Vita kennen, die Mutter (Meral Perin) oder der Junkie-Ex, Klette Pablo (Vincent Krüger), den Braten, Moussa aber vertraut dieser jungen Frau, die ihn mit ihrer Coolness und ihrer großen Klappe sichtlich beeindruckt. Der Plan der Polizisten scheint also aufzugehen. Wenn sie ihn nur mal nicht selbst unterlaufen. Schulz jedenfalls hat seine Dämonen nicht im Griff, und ob Filipovic seine Leidenschaft zügeln kann und sie ihm beim Ermitteln nicht den Kopf vernebelt, ist noch unklar: Der junge Mann hatte nämlich ein Jahr lang ein heimliches Verhältnis mit Dakota und ist offenbar noch immer verrückt nach ihr.

Der gute Bulle – Friss oder stirbFoto: ZDF / Nik Konietzny
Der Bulle und die Dealerin – keine zukunftsträchtige Kombi. Edin Hasanovic und Almila Bagriacik

Dieser Fredo Schulz kennt sich selbst gut genug, um zu wissen, was ihn bei diesem Fall erwartet: „Da hab‘ ich gleich wieder meinen eigenen Affen auf der Schulter“, befürchtet er nicht zu Unrecht. Aber er hat keine Wahl, er muss den Fall übernehmen, denn nur er ist garantiert nicht korrupt. Armin Rohde ist „Der gute Bulle“, der jetzt mit der Episode „Friss oder stirb“ zum zweiten Mal im ZDF (diesmal vorab auf Arte) zum Einsatz kommt. Der Mann, der Frau und Tochter bei einem Unfall verloren hat, kennt die Abgründe, die einen erwarten, wenn Sucht und Lügen, Leidenschaft und Egoismus die Oberhand über das eigene Leben gewinnen. Dieser Polizist macht sich keine Illusionen mehr. „Am Ende kannst du dich auf keinen verlassen“, ist sich Schulz sicher. Seinem Kollegen redet er deshalb ins Gewissen: Ein Kriminaler, der mit einer Dealerin zusammen ist, das sei ein verhängnisvoller Widerspruch – da treffen Wahrheitssuche und Lüge unversöhnlich aufeinander… Rohde verkörpert diesen Instinktbullen als einen gebrochenen Charakter, dem schon mal sein – im Film erwähnter – „siebter Sinn“ verlorengeht. Er wirkt weniger souverän, aber auch weniger rabiat als Erich Bo Erichsen in der ZDF-Ausnahme-Krimireihe „Nachtschicht“. Er holt jedoch nur einmal kurz den Geist aus der Flasche, wird daraufhin aus einer Therapiesitzung trockener Alkoholiker von der Leiterin (Nina Kunzendorf in einer Mini-Rolle) verwiesen, bleibt danach standhaft, selbst als ihn der „böse Bulle“ zum Trinken zu verführen versucht.

„Der gute Bulle“ ist ein typischer Lars-Becker-Film. Rau die Gangart, rüde der Tonfall, und die Grenzen zwischen den vermeintlichen Guten und den Bösen verschwimmen. Man fragt sich: Wer ist hier kriminell? Wer ist ein ehrlicher Polizist? Wer ermittelt Undercover, und wer ist nur ein kleiner Informant? Und wem kann man trauen? Um an den großen Fisch zu kommen, lässt man die Kleinen dealen, im Namen des Gesetzes also gegen das Gesetz verstoßen. Und selbst ein Mörder ist in den Momenten, in denen er nicht tötet, bei Lars Becker ein Mensch, nicht nur dadurch, dass der Autor-Regisseur aus der Perspektive des Killers erzählt, sondern vor allem durch das, was er ihm alles in den Mund legt. Bevor der Drogendealer zu Beginn den verdeckten Ermittler erschießt, plaudern er und der korrupte Cop Gondorf noch vor der Wohnungstür des Opfers über Moussas Hang zur Zweitfrau (was sein späteres „Interesse“ an Dakota motiviert) oder die Unarten, „dieses Gewinsel“, wenn jemandem sein letztes Stündlein geschlagen habe. Der Plot ist im Gegensatz zum ersten Film mit Anti-Held Fredo Schulz etwas weniger originell, die Dramaturgie auch nicht gerade subtil. Die Handlung ist geradlinig, der Zuschauer immer im Bilde, er weiß nicht alles, aber sehr viel mehr als die Helden bei ihrem verzweifelten Kampf gegen die Drogenkriminalität, und die Wendungen kommen in der Regel, wenn man sie erwartet. Auch der coole Polizei-Fernsehfilm hat (mittlerweile) seine Konventionen. Und die Tragödie nimmt ihren Lauf, am Ende etwas anders, als man kurz zuvor noch angenommen hat: Sie kommt auf leisen Sohlen. Nach dem Spannungshöhepunkt gibt es nicht den Beckerschen Polizeithriller-Showdown. „Der gute Bulle“ endet als lakonisches Melodram. Gescheiterte Existenzen, wohin das Auge reicht. Wo das Verbrechen und seine Bekämpfung regieren, ist kein Raum für menschliche Beziehungen. Überall nur „Wichser“, falsche „Ratten“, „Arschlöcher“ oder eine „Fucking Bitch“.

Der gute Bulle – Friss oder stirbFoto: ZDF / Nik Konietzny
Die guten Bullen, Schulz (Armin Rohde) und Filipovic (Edin Hasanovic), beim SEK-Einsatz

Auch in Beckers „Nachtschicht“ oder in seinen düsteren Cop-Krimis mit Fritz Karl und Nicolas Ofczarek herrscht ein derber Umgangston. In diesen Filmen trifft man allerdings mehrheitlich auf männliche „Normalredner“, und da gibt es in tragenden Rollen Barbara Auer als Polizeipsychologin, zahlreiche (Ehe-)Frauen und eine Staatsanwältin, die sich einer gepflegten Ausdrucksweise bedienen. In „Friss oder stirb“ verschwimmen die Sprachcodes. Mag das vielleicht konsequent in Hinblick auf die Vermischung von „guter“ und „böser“ Welt sein – wahrnehmungspsychologisch nutzt sich dieser überzogene vermeintliche Straßen-Slang rasch ab. Gefühlt hört man hier in jedem zweiten Satz, ein „Fick dich“ oder ein „du Wichser“, stets hat einer den anderen an den „Eiern“, und als Attribut kommt ein „fucking“ offenbar immer gut. Erschwerend hinzu kommt, dass in „Nachtschicht“ mehr ironische Brechungen im Spiel sind; man erinnere sich nur an die beiden Killer, gespielt von Frederick Lau und Murathan Muslu, in der letzten Episode „Es lebe der Tod“. Dagegen ist Muslus Moussa hier nur eine brutale, polygame Dumpfbacke, die mit ihren Dialogen nicht viel hermacht. Dass in „Friss oder stirb“ Figuren das Sagen haben, die wenig ambivalent sind, die gern das Maul aufreißen und auf dicke Hose machen, ist eine Hypothek, die sich auf den Stil des gesamten Films auswirkt. Auch wenn die Geschwätzigkeit der Figuren zum narrativen Konzept gehört, so leiden darunter doch ein bisschen die physische Wirkung der Figuren als auch die mögliche visuelle Kraft. Die Bilder können diesmal mit dem dunklen Plot nicht ganz mithalten. Das alles ist natürlich Meckern auf hohem Niveau; Maßstab sind Becker-Filme wie „Unter Feinden“, „Zum Sterben zu früh“ oder die besten „Nachtschicht“-Episoden. Schade, dass die Bildsprache des Vorspanns nicht tendenziell im Film beibehalten wurde. Das hätte gut gepasst zum „bigger than life“, wie Becker es liebt, nur wäre dieser artifizielle Look für den ZDF-Zuschauer wohl zu viel des Guten gewesen. Atmosphärisch dicht ist das Ganze dennoch, und sehr viel cooler & spannender als die meisten TV-Krimis ist „Der gute Bulle“ sowieso.

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Reihe

Arte, ZDF

Mit Armin Rohde, Edin Hasanovic, Sascha Alexander Gersak, Almila Bagriacik, Murathan Muslu, Vincent Krüger, Nadeshda Brennicke, Meral Perin, Nele Kiper, Nina Kunzendorf, Michael Maertens, Jasmin Shakeri, Gerhard Wittmann

Kamera: Wedigo von Schultzendorff

Szenenbild: Anina Diener

Kostüm: Claudia Gonnzález Espindola

Schnitt: Sanjeev Hathiramani

Musik: Hinrich Dageför, Stefan Wulff

Redaktion: Daniel Blum (ZDF), Olaf Grunert (Arte)

Produktionsfirma: Network Movie

Produktion: Wolfgang Cimera, Bettina Wente

Drehbuch: Lars Becker

Regie: Lars Becker

Quote: ZDF: 6,02 Mio. Zuschauer (18,8% MA); Wh. (2022): 4,53 Mio. (18,3% MA)

EA: 26.04.2019 20:15 Uhr | Arte

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