Was tun, wenn alle Thriller-Geschichten erzählt sind? Man schaut sich beispielsweise wie Wolf Jakoby im modernen Strafvollzug um. So kam der Autor auf die Plot-Idee vom “Fußfesselmörder”. Immer öfter gibt es Versuche elektronisch überwachten Freigangs für Straftäter. Dabei wohnen sie nicht selten in den eigenen vier Wänden, die zu einer Art Knast werden. Eine Fußfessel begleitet sie Tag und Nacht. Das TV-Movie von Michael Karen reizt das Thema aus in Richtung Psycho-Thriller. Eine junge Frau fürchtet die Rache eines psychopathischen Freigängers. 15 Jahre glaubt die Kunststudentin Kathrin vor dem Babymörder Ruhe zu haben, der sie einst tödlich bedrohte und gegen den sie vor Gericht ausgesagt hat. “Ich werde dich besuchen – irgendwann”, flüsterte er ihr im Gerichtssaal zu. Bereits nach neun Jahren ist es soweit. Ingo Brunner ist einer der Teilnehmer am Berliner Pilotprojekt. Seine Zeit im Knast hat der Experte für elektronische Kommunikationssysteme in seine Rache investiert: So manipuliert er seine Fußfessel und nimmt die Witterung auf. Ein höllischer Plan vom perfekten Mord: das Überwachungsorgan selbst gibt das Alibi.
“Ein guter Stoff für einen Thriller”, sagt die Hauptdarstellerin Esther Zimmering. Das mag sein. Doch mischt sich Sat 1 mit diesem Genre-Film unwillkürlich in die politische Meinungsbildung ein. Der Strafvollzug mit Fußfessel könnte bei überfüllten und kostspieligen Gefängnissen tatsächlich auf Dauer zu einer Alternative zum “Knast” werden – zumindest bei leichten Vergehen. Dass nun Sat 1 ein solches liberales Konzept diskreditiert und zum Horror-Szenario ausmalt, beweist wenig Fingerspitzengefühl. Das ist Geschichtenerzählen mit der Brechstange und ohne soziales Gewissen. Und das ist auch noch schlechtes Entertainment, ein Rückfall in die Anfänge der TV-Movies der 90er – spekulativ, billig, ohne innere Logik.
Daran kann die sympathische Esther Zimmering auch nicht viel ändern. Die Potsdamerin, die in dem ZDF-Dreiteiler “Der Liebe entgegen” in ihrer ersten Hauptrolle glänzte, passt sich den Bedingungen des Sat-1-Movies an. “Was tut eine Frau, die keine Möglichkeit bekommt, ihr Kind und vielleicht ihr eigenes Leben vor einem Mörder zu schützen?” Diese Frage habe sich die Schauspielerin zwar immer wieder gestellt. Dennoch wird nur in wenigen Situationen die tiefe Angst ihrer Heldin spürbar. Statt dessen sieht man in einer Szene, wie der “Böse” gegen den Timecode seiner Fußfessel anrennt. Soll der Zuschauer mit ihm oder mit der Heldin mitfiebern? Autor Jakoby ist eher vom “Tier” Brunner fasziniert. “Der Fußfesselmörder” ist ein kalter, kalkulierter Film mit einer – nett gesagt – diffusen Haltung. (Text-Stand: 11.2.2003)
Foto: Sat 1 / Jahnke