Nach einem Einsatz mit Todesfolge kommt es Svenja Rasmussen (Katharina Schlothauer) nicht ungelegen, dass sie in ihrer alten Heimat Flensburg gebraucht wird. Für die Polizei-Dienststelle hier ist sie ein Glückfall. Gerade gab es mal wieder einen Toten. Da es sich um einen Dänen handelt, entpuppt sich der Fall, in den der Firmenpartner des Toten (Andreas Grötzinger) und ein deutscher Spirituosenhändler (Max von Pufendorf) verwickelt sind, als knifflig. Und der Kollege Antoine Haller (Eugene Boateng) ist zwar ein umsichtiger Fakten-Ermittler und auch sonst nicht auf den Kopf gefallen, aber ihm fehlt die Erfahrung und das Knowhow eines Hauptkommissars. Und Streifenpolizistin Ina (Iris Becher) ist zwar fleißig, hat aber vor allem Augen für die Heimkehrerin. Einige Wermutstropfen sind allerdings mit Svenjas Rückkehr verbunden: Ihre Lebenspartnerin lebt weiterhin in Hamburg und ihr Vater (Uwe Rohde), bei dem sie in ihrem Elternhaus wohnt, ist kränker als gedacht, er wird immer wieder von psychotischen Schüben heimgesucht. Grund ist der Selbstmord seines Sohns, Svenjas Bruders. Beide waren ebenfalls Polizisten in Flensburg, der ältere war eine Legende, der jüngere offenbar ein schwarzes Schaf. Sein Vater allerdings bezweifelt dies.
Auf der Suche nach weißen Flecken auf Deutschlands Krimi-Landkarte ist man jetzt im ganz hohen Norden angekommen: „Der Flensburg-Krimi“ wurde von der ARD-Tochter Degeto, dem NDR, der Kölner Produktionsfirma filmpool und dem Drehbuchautor Stephan Wuschansky (50x „SOKO Stuttgart“) offenbar als eine Art Diversitätsprojekt entwickelt. Eine lesbische Hauptkommissarin, eine Polizistin mit offensichtlich ähnlicher sexueller Präferenz und ein schwarzer Kollege mit Rassismus-Erfahrungen – auf dem Papier ist das schon mal was, um die unrühmlichen deutschen Fernsehkrimistatistiken divers aufzuhübschen, aber auch fürs Marketing der Reihe und das Selbstverständnis der Macher. „Svenja und Antoine sind zwei Außenseiter im Polizeidienst, die aber in einer bunten und vielfältigen Gesellschaft Normalität sein müssen – und sicherlich mehr und mehr dazu werden, so dass alte Machtstrukturen der Vergangenheit angehören“, hofft Wuschansky im Presseheft-Interview. Hinzu kommt noch der B-Plot um einen verdienten Polizisten, der nach einem privaten Schicksalsschlag ein Fall für die Psychiatrie geworden ist. Die Grundpfeiler der Geschichte also, die Hauptfiguren, scheinen gesellschaftspolitisch relevant und einem zeitgemäßen Denken entsprungen zu sein. Aber ergibt politische Korrektheit schon einen guten Film?!
Bereits beim Intro von „Der Tote am Strand“ reibt man sich ungläubig die Augen. Der vermasselte Einsatz der Heldin ist in jeder Hinsicht so schlampig geschrieben und inszeniert, dass man auf das „und Cut“ wartet, welches diese laienhafte Szene als Film im Film oder dergleichen entlarven würde. Doch hier ist tatsächlich alles ernst gemeint: der hölzerne Dialog, der aberwitzige Leichtsinn der Kommissarin, die pathetische Musikuntermalung. Und auch sonst jagt ein Fehler den nächsten. Da wird ein Notarzt gerufen, als die Kommissarin, die keinen Kontakt mit dem Opfer hat, schon längst den Täter verfolgt, um Sekunden später auf dessen Satz „Er ist tot oder?“ mit „Ja“ zu antworten. Ob dieses „Ja“ nur das Gezeigte auf den Kopf stellt oder ob dieses „Ja“ der entscheidende Fehler der Kommissarin ist, bleibt unklar, thematisiert wird dieses „Ja“ jedenfalls nicht. Wichtig für die Macher ist ohnehin nur der Effekt am Ende der zwei Minuten. So lässt sich knallig in den Titelvorspann reingehen. Gleich zweimal wird die Kommissarin gegen Ende des Films in ähnliche Situationen geraten. Dann macht sie es natürlich besser. Ob das noch Genremuster ist oder nur dramaturgisches Klischee, das liegt im Auge des Betrachters. Ob der Zuschauer es als Erzählmotiv durchgehen lässt, das dürfte allerdings auch eine Frage der Umsetzung sein. So viel vorweg: Ein Holger-Karsten-Schmidt- oder Lars-Becker-Film ist dieser „Flensburg-Krimi“ auf jeden Fall nicht.
Hoch im Norden angekommen folgt das übliche Geplänkel, das man heute in Premium-Krimi-Reihen zwar tunlichst vermeidet, das aber in den frühen 2000er Jahren noch üblich war. Da werden das Hierarchieproblem des lockeren Kommissars mit ghanaischen Wurzeln und Rasmussens delegierender Pragmatismus angesprochen, was dank des beiläufigen Spiels von Katharina Schlothauer und Eugene Boateng noch wohlwollend als Expositionsclinch durchgeht. Etwas nervig ist dagegen von Anfang an dieses oberflächliche Gejuxe und Gewitzel: Antoines Wetteifer (wenigstens ein Running Gag, allerdings mehr running als Gag), der Disput über die konträren Fahrstile, er im entspannten Sunshine-Reggae-Move, sie im Tempo der Großstadt, das kann in einem Unterhaltungskrimi auch mal okay sein, in einem Film, der allerdings zu Beginn vorwiegend mit solchen Jokes versucht zu punkten und diese „Wesensmerkmale“ oft nur ein einziges Mal angesprochen werden (statt sie durch Wieder-holung an der dramaturgischen Dichte der Narration arbeiten zu lassen), das wird in der Summe eine ziemliche Bürde. Denn auch der Krimifall reißt mit seinen „Wo waren Sie…?“- oder „Sagt Ihnen der Name…?“-Fragen oder der Darstellung des Leichenfunds („Was liegt denn da im Wasser?“ – „Scheiße, fuck.“) keine Bäume aus, ja er wirkt mitunter wie eine ungewollte Ermittlerkrimi-Parodie. Und dann gibt es ja auch noch diese Situationen draußen vor der Polizeistation, wo Francescos Espresso Mobil steht: Das sorgt zwar für luftige Stimmung, vor allem aber für heftige Fremdschäm-Effekte. Das ist nicht Primetime-like.
Ohne die Hauptdarstellerin wäre dieser Film noch schwerer zu ertragen. Katharina Schlothauer, Jahrgang 1985, die sich nach der Hauptrolle in dem multimedialen TV-Thriller „Dina Foxx – Tödlicher Kontakt“ durch schräge Sidekick-Rollen mit angenehm auffälligem Style und nach ersten tragenden Drama-Rollen in „Die Protokollantin“ oder vor allem dem „Tatort – Krieg im Kopf“ für höhere Aufgaben empfohlen hatte, macht prinzipiell eine gute Figur. Und das nicht nur wegen des wehenden, langen Mantels. Den Spagat zwischen relativ junger Hauptkommissarin und einer Tochter, die mit der Familie eine schwere Last zu tragen hat, meistert sie mit gutem Aussehen und sympathischem Spiel – mal lächelnd leger, mal nachdenklich und einfühlsam. Svenja ist eine Frau, die im Leben steht. Von dem „sechsten Sinn“, den Schlothauer im Presseheft erwähnt, ist bislang nicht viel zu spüren. In der Krimi-Geschichte, die als Krimi nie in Gang kommt, die das Familiendrama im Fall jedoch auch nur behauptet, anstatt es zu erzählen, geht es im Übrigen wie in der Geschichte der Rasmussens um Kinder, die einem „verloren“ gehen. Auch das private Drama der Kommissarin kommt emotional kaum zum Tragen. Da sitzt diese Svenja einige Sekunden in ihrem Kinderzimmer. Wie leicht hätte man durch ein paar beiläufig, aber erkennbar gesetzte Zeichen in dieser Szene etwas über die Jugendträume der Heldin aussagen und damit die mit privaten Gefühlsinfos sparsame Hauptfigur emotional etwas aufladen können. Das ist das größte Manko des Films: In diesem ersten „Flensburg-Krimi“ geht es allein um die Vermittlung äußerer Fakten.
Das Ergebnis: Die Zuschauer*innen sehen weniger einen audiovisuell erzählten Film, sie hören vielmehr einer ambitionslos bebilderten Handlung zu. Dieser Eindruck wird dramaturgisch dadurch noch unterstrichen, dass man den Ermittlern auf Schritt und Tritt folgen muss. Ohne Perspektivwechsel kein Mehrwissen, und ohne Mehrwissen wird man als Zuschauer zum bloßen Plot-Empfänger. Wenn die Szenen wenigstens eine innere Spannung hätten, eine glaubwürdige dramatische Situation oder eine gewisse Lebendigkeit ausstrahlen würden. Stattdessen Worte, nichts als Worte. 90 Minuten plätschern die Dialoge von Szene zu Szene. Schnell weiß man, wozu es zwei Hauptfiguren gibt: Damit die eine der anderen berichterstattet. Auch die Auflösung des Mordes erfolgt nach Vorabendkrimi-Schema-F: verbal. Die Regisseurin Janis Rebecca Rattenni („Rentnercops“) weiß, weshalb sie die Szene nicht als Rückblende präsentiert: zu hanebüchen das Drumherum der Tötungssituation. Das lässt sich nicht inszenieren – und dann mittendrin noch ein Hund (der laut Dialog ein belgischer Schäferhund ist, bei seinem einzigen Auftritt im Film allerdings von einem deutschen Schäferhund dargestellt wird). Die Dialogwechsel sind keine Krimi-Sternstunden, doch schlimmer noch: Sie sind fast ausschließlich dazu da, den Zuschauer zu informieren („Und dann hat er sich umgebracht, auch wenn wir es alle nicht wahrhaben wollen“). Andere Sätze sind nur gequirltes Pathos („Vor diesem Moment hatte ich Angst, seit ich Monikas Brief gefunden habe“). Für die figureninterne Drama-Kommunikation hingegen sind die Dialoge dürftig. Die Mängelliste ließe sich beliebig fortsetzen. Ach ja, der Score ist auch furchtbar. Auch ein preisgekrönter Komponist muss Geld verdienen. Aber muss es denn dieses ewige Klavier-Geklimper sein. Kein Szenen-Übergang (das wäre auch noch ein Thema!), kaum eine Figurenemotion ohne musikalische Hilfestellung. Nur ein einziges Mal gibt es pures Drama: Uwe Rohdes Vater darf der Tochter erzählen, was ihn bedrückt, und die Musik schweigt.
Abschließend noch ein paar Dinge, die – neben Schlothauer und auch Eugene Boateng („Borga“), der nicht nur mit hipper Frisur und dem vorlauten Humor seiner Figur Pluspunkte sammelt – ein bisschen Hoffnung machen. So funktionieren die juxigen Interaktionen zwischen den Kommissaren, so sehr sie auch dramaturgische Konvention sind, letztendlich besser als der dröge Krimifall, der durch seine „Wahnsinnsgeschichte“, wie es im Film heißt, leider nicht gewinnen kann, solange er wie ein Vorabendkrimi erzählt ist. „Übrigens, wir beide haben einen ähnlichen Frauengeschmack“ ist der mit Abstand beste Satz des Films. Und einer der wenigen Lichtblicke ist dieses ständige Herumscharwenzeln der Streifenpolizistin um ihre Chefin. Das ist blick- und kameratechnisch gut eingefangen, wird vom auch zwischenmenschlich flink kombinierenden Antoine amüsant kommentiert („Bin ich im falschen Augenblick gekommen?“), und ist für einen möglicherweise zweiten Film interessanter und amüsanter als das am Filmende ausgegebene obligatorische Krimirätsel. Der Rest ist Fernsehen zum besser machen, das einem so die Laune nehmen kann, dass man sich schon darüber freut, dass Svenja Rasmussen nicht Coldplay sondern Radiohead hört.