Ein Wintertag in Dänemark. Mitten im Wald liegt eine Frau. Sie ist an einen Pfahl gekettet, fast am Ende, kann aber mit Hilfe eines Steins das Schloss der Kette sprengen. Sie schlägt sich nach Ribe durch, eine einstige Wikingerstadt, schleppt sich auf die dortige Polizeistation. Da geht es gerade drunter und drüber. Denn man feiert ausgelassen die heidnischen „Rauhnächte“, das sind die Tage um den Jahreswechsel nach Weihnachten, Tage, in denen die stürmischen Mächte des Winters gebändigt werden. Auf der Wache beschäftigen torkelnde Typen die Beamten. An den sadistischen Serienmörder, der Menschen entführt und im Wald verhungern lässt, denkt in diesem Moment niemand. Im Trubel passiert Polizistin Ida Sörensen (Marlene Morreis) ein folgenschwerer Fehler: sie erkennt Smilla Vestergaard (Anne Kanis), das neueste Opfer des Killers, nicht. Sie weist die Frau ab, die kaum ein Wort herausbringt, weil sie denkt, es sei eine Betrunkene. So schnappt sich der Killer sein entflohenes Opfer erneut. Ida will ihr Versagen wieder gut machen und Smilla finden, bevor sie verhungert oder erfriert. Stur bis zur Selbstaufgabe geht sie ihren Weg – gegen alle Widerstände. Die gibt es in Person der ehrgeizigen Kommissarin Frida Olsen (Katharina Heyer), die Ida ständig spüren lasst, dass sie einen Fehler gemacht hat. Ihr älterer Kollege Magnus Vinter (Nicki von Tempelhoff) ist ihr keine große Hilfe. Auch nicht ihr Lebenspartner Jannik Larsen (Tim Bergmann), ein Schriftsteller in der Schaffenskrise. Als Ida auf einen 20 Jahre zurückliegenden ungeklärten Todesfall stößt, glaubt sie, den Ausgangspunkt für das Motiv des Serientäters gefunden zu haben. Und so taucht Ida in die Vergangenheit ein, spürt den Bruder des damaligen Opfers, Tjelle Fisker (Janek Rieke), auf und kommt einem tragischen Geheimnis auf die Spur.
Foto: Degeto / Manju Sawhney
Der „Donnerstag-Krimi“ im Ersten ist um eine schmucke Location reicher: Nach Amsterdam, Barcelona, Bozen, Bretagne, Irland, Island, Masuren, Kroatien, Lissabon, Prag, Tel Aviv und Zürich geht die Europa-Reise weiter und macht Station in Dänemark. Klingt interessant, ist aber gewagt. Denn die Dänen drehen selbst klasse Krimis. Beispiele gefällig? „Kommissarin Lund“, „Countdown Copenhagen“, „Follow the Money“, „Der Adler“ oder der Klassiker „Die Brücke“. Da liegt die Messlatte hoch. Und so ist klar: Das kann man nicht nachmachen, man muss es anders machen. Aber wie? Die Degeto überträgt dafür deutsche Befindlichkeiten in andere Länder und nutzt die ansprechenden Kulissen. Und so sieht man deutsche TV-Gesichter an dänischen Orten, dazu gibt es mit den Rauhnächten ein wenig dänische Folklore.
Das kann man mögen, muss man aber nicht. Da kann man sich auch gleich den Originalen zuwenden. Sieht man aber von dem Krimi-Tourismus ab, bietet „Rauhnächte“ eine Krimistory, die gut funktioniert. Die Geschichte des Vielschreibers Timo Berndt, der von „Wilsberg“, „Ein starkes Team“, „Friesland“, „Marie Brand“, „Die Chefin“, „Der Staatsanwalt“ bis „Die Toten vom Bodensee“ schon diverse ZDF-Krimireihe bedient hat, ist wendungsreich und hält so die Grundspannung bis zum Showdown. Berndt rückt nicht – wie üblich – einen Kommissar oder eine Kommissarin in den Mittelpunkt, eine „einfache“ Streifenpolizistin ist das Herzstück der Reihe. Erinnert ein wenig an Verena Altenberger im BR-„Polizeiruf“, die zu Beginn auch als so genanntes „Streifenhörnchen“ unterwegs war. Dass die Ermittlerin in ihrem ersten Fall eine Vorgesetzte vor die Nase gesetzt bekommt, die sich als Karrierezicke entpuppt, ist nicht sonderlich originell und zählt zu den schwächeren Aspekten des Krimis. Die Figur der Ida überzeugt: Sie ist die Polizistin von nebenan, strebsam, nett, geerdet. Ein großer Fehler bringt sie aus dem Gleichgewicht, Hilflosigkeit und Verzweiflung wandelt sie in den Kampf um das Leben der Frau um, die sie schon einmal retten hätte können. Dabei muss sie sich in einer Männerwelt und gleichzeitig gegen eine kühle, aufstrebende Ermittlerin von außen behaupten. In diesem Spannungsfeld ist viel Raum, um der Figur emotional durch den Film zu folgen.
Regisseur Christian Theede (als gebürtiger Flensburger mit dem Nachbarland Dänemark durchaus vertraut) und sein Kameramann Simon Schmejkal wissen, die Schauplätze der historischen Wikingerstadt Ribe und der schroffen Nordsee-Küstenlandschaft zu nutzen. Es gelingen eindrucksvolle Bilder und eine – ob der kargen, weitläufigen Landschaft – Atmosphäre der Melancholie und Einsamkeit. Tag und Nacht, hell und dunkel, das Duo versteht es, mit den Kontrasten zu spielen. Theede, der zuletzt die beiden neuen Saarland- “Tatort“-Krimis mit dem Ermittlerduo Schürk und Hölzer gedreht hat und mit „Nord Nord Mord“ auch schon ein wenig Nordsee-Dreh-Erfahrung hat, schafft Spannung aus der Konstellation der Figuren zueinander, sei es privat oder beruflich. Man hat ständig das Gefühl, dass fast jeder aus dem Cast in die Sache verstrickt sein könnte. Zudem arbeitet Theede auch geschickt mit Thriller-Elementen, lässt Ida im Alleingang einen Tatverdächtigen verfolgen. „Der Dänemark-Krimi: Rauhnächte“ ist kein Skandinavien-Reißer wie man ihn kennt, auch kein „Danish Dynamite“, aber ein gelungener Einstand für den neuen „Donnerstagskrimi“.