Der Bozen-Krimi – Verspieltes Glück

Chiara Schoras, Gabriel Raab, Thorsten Näter. Kündigung, mit Blut signiert

Foto: Degeto / Hans-Joachim Pfeiffer
Foto Tilmann P. Gangloff

Die Episode „Verspieltes Glück“ leidet unter einem typischen Manko der Reihe: Bei vielen Filmen ist es nicht gelungen, die horizontale Mafia-Ebene und den jeweils aktuellen Fall in ein harmonisches Gleichgewicht zu bringen. Außerdem besteht ein großer Teil der Dialoge aus typischen Krimi-Versatzstücken. Die Inszenierung ist routiniert, aber echte Spannung kommt erst zum Finale auf.

Bevor die Bilder laufen lernten, haben sich die Menschen ihre Freizeit mit Fortsetzungsromanen vertrieben. Kino, Radio und Fernsehen haben diese Erzählweise gern übernommen. Heute, da alles jederzeit und überall verfügbar ist, wirkt die Erinnerung an die frühere Vorfreude aufs nächste Kapitel beinahe rührend. Mit einigen ihrer Donnerstags- und Freitagsreihen spekuliert die ARD-Tochter Degeto allerdings nach wie vor auf diesen ganz besonderen Kitzel, wenn das Ende eines spannenden Handlungsstrangs vertagt wird. Liegen allerdings mehrere Monate zwischen den einzelnen Episoden, kommt es zunächst fast zwangsläufig zu einer gewissen Orientierungslosigkeit, weil eine Zusammenfassung der bisherigen Ereignisse offenbar verpönt ist. Die Qualität eines Drehbuchs zeigt sich nun unter anderem in der Frage, wie gut die Vorgeschichte integriert wird. Bei den „Bozen-Krimis“ ist das in der Vergangenheit oft eher schlecht als recht gelöst worden. Die vierzehnte Episode, „Verspieltes Glück“, bildet in dieser Hinsicht keine Ausnahme, zumal ohnehin ganz schön viel erklärt wird, meist in Gestalt von Revierszenen, in denen sich Commissario Sonja Schwarz (Chiara Schoras) sowie Vater und Sohn Kerschbaumer (Gabriel Raab, Hanspeter Müller-Drossaart) auf den neuesten Stand der Ermittlungen bringen.

Zweites Manko der „Bozen-Krimis“ war von Beginn an die Kombination einer horizontalen Erzählung, die sich über mehrere Episoden erstreckte, mit einem jeweils aktuellen Fall. Hier ging es um die Mafia, dort überwiegend um Beziehungstaten. Oder anders gesagt: hier Thriller, dort gewöhnlicher TV-Krimi; da ist ein Spannungsgefälle fast unvermeidlich. Außerdem fehlen der Hauptfigur Mit- und Gegenspieler von Format, seit Tobias Oertel (als Capo) und Thomas Sarbacher (als regionaler Mafiaboss) nicht mehr mitwirken, selbst wenn Leonardo Nigro als Michele Lagagna, neuer Statthalter der „Familie“ in Südtirol, ein interessanter Schauspieler mit eindrucksvoller Präsenz ist. Ihren Reiz bezieht diese Ebene aus der Doppelrolle von Sonjas Geliebtem: Riccardo Riello (Stefano Bernardin) arbeitet für die Anti-Mafia-Behörde und hat als verdeckter Ermittler das Vertrauen von Lagagna gewonnen, muss sich aber nun wie ein Krimineller verhalten, um einen äußerst riskanten Plan seiner Behörde umzusetzen.

Der Bozen-Krimi – Verspieltes GlückFoto: Degeto / Hans-Joachim Pfeiffer
Der Statthalter der „Familie“ in Südtirol: Mafiaboss Lagagna (Leonardo Nigro) setzt Riccardo (Stefano Bernardin) unter Erfolgsdruck. Antagonist mit genügend Format? „Der Bozen-Krimi – Verspieltes Glück“

Die zweite Ebene scheint übersichtlicher, aber nur auf den ersten Blick: Ein spielsüchtiger Holzschnitzer ist ermordet worden. Nun steht seine Tochter (Katja Studt) quasi vor dem Nichts: Die Hypothek auf das Eigenheim der Familie kann sie unmöglich bezahlen, zudem leidet ihr kleiner Sohn unter Muskelschwund. Als wäre das noch nicht genug, konfrontiert das Drehbuch sie mit einem weiteren Schock, denn dieser Handlungsstrang birgt ein doppeltes Drama: Neben der bedauernswerten alleinerziehenden Mutter geht es auch um eine vom hartherzigen Oberhaupt (Miguel Herz-Kestranek als typischer Filmpatriarch) mit strenger Hand geführte Hoteliersfamilie, die ein düsteres Geheimnis hütet. Da das Fernsehen entsprechende Geschichten schon öfter erzählt hat, dürfte der erfahrene Teil des Publikums hellhörig werden, wenn zwei gleichaltrige Kinder fast am selben Tag Geburtstag haben.

Das Drehbuch stammt von „Taunuskrimi“-Regisseur Marcus O. Rosenmüller, der eher selten als Autor in Erscheinung tritt; und wenn doch, dann in der Regel für eigene Filme. Koautor war Kris Karathomas, mit dem Rosenmüller schon einige Male zusammengearbeitet hat. Viel zu viele Dialoge bestehen jedoch aus typischen Krimiversatzstücken, weshalb ein Mafia-Satz wie „Verträge werden mit Tinte unterschrieben, Kündigungen mit Blut“ kräftig aus dem Rahmen fällt. Regie führte Thorsten Näter; „Verspieltes Glück“ ist sein elfter „Bozen-Krimi“. Die Inszenierung ist routiniert, aber echte Spannung kommt erst zum Finale auf, als es aus Sicht der Mafiajäger um alles oder nichts geht; diesen Teil des Films erzählt der Thriller-versierte Näter allerdings derart fesselnd, dass er das Herz tatsächlich schneller schlagen lässt. (Text-Stand: 8.2.2022)

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Reihe

ARD Degeto

Mit Chiara Schoras, Gabriel Raab, Lisa Kreuzer, Hanspeter Müller-Drossaart, Stefano Bernardin, Picco von Groote, Katja Studt, Leonardo Nigro, Miguel Herz-Kestranek, Julia Jäger

Kamera: Joachim Hasse

Szenenbild: Jost Brand-Hübner

Kostüm: Sonja Kappl

Schnitt: Julia von Frihling

Musik: Annette Focks

Redaktion: Diane Wurzschmitt, Katja Kirchen

Produktionsfirma: Merfee Film- und Fernsehproduktion

Produktion: Eberhard Jost

Drehbuch: Marcus O. Rosenmüller, Kris Karathomas

Regie: Thorsten Näter

Quote: 5,5 Mio. Zuschauer (18,5% MA); Wh. (2023): 4,62 Mio. (21,3% MA)

EA: 03.03.2022 20:15 Uhr | ARD

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