Es sieht danach aus, als wollten die Programmschaffenden des ARD-Hauptkanals Das Erste im Verein mit dem Produktions- und Einkaufsableger Degeto das Fernsehpublikum langsam und mit Fingerspitzengefühl an das horizontale Erzählen gewöhnen. Die Taktik: Die früher oft im Abstand von mehreren Monaten gesendeten Folgen der Donnerstagskrimis werden verdichtet und in Doppelfolgen ausgestrahlt. Man hat das Anfang des Jahrtausends schon bei den „Donna Leon“-Verfilmungen praktiziert und je zwei Filme binnen weniger Tage angesetzt. Seit einiger Zeit ist dieses programmgestalterische Vorgehen namentlich am Donnerstag häufiger zu beobachten. Damit einhergehend, werden immer häufiger Episoden-übergreifende Handlungsstränge eingebaut und mal mehr, mal weniger intensiv aus- und weitergeführt. So auch bei den beiden Folgen der Reihe „Der Bozen-Krimi“ (früher „Kripo Bozen“), die ihre Erstaufführung im Januar 2019 haben.
Im ersten Film mit dem Titel „Leichte Beute“ wird ein nächtlicher Einbrecher vom vorzeitig heimkehrenden Hausherrn überrascht. Der Villenbesitzer zieht eine Waffe, es kommt zum Gerangel. Der Einbrecher behält die Oberhand, der Überfallene wehrt sich dennoch weiter und wird am Ende erschossen. Der Tote war ein für seine harten Urteile bekannter Richter. Kommissarin Sonja Schwarz (Chiara Schoras), „Capo“ Matteo Zanchetti (Tobias Oertel) und ihr Team vermuten zunächst einen Racheakt. Das Publikum aber hat schon Hinweise erhalten, dass es sich anders verhalten könnte. In einem idyllisch gelegenen, dennoch bald bankrotten Berghotel haben sich drei Strafentlassene eingemietet, die sich auf einer ausgiebigen Diebestour befinden. Einer der Strolche ist der ehemalige Lebensgefährte der Hotelière (Daniela Schulz) und Vater ihres Kindes. Der Bruder (Emanuel Fellmer) der Gastgewerblerin arbeitet praktischerweise in einer Sicherheitsfirma, die die Alarmanlagen luxuriöser Immobilien betreut. Und über die Möglichkeit verfügt, die Geräte zentral abzuschalten.
Foto: Degeto / Hans-Joachim Pfeiffer
Nur am Rande erscheint in dieser Episode der Restaurantbesitzer Francesco Rossi (Thomas Sarbacher), der ansonsten in dieser Reihe für den durchlaufenden Handlungsfaden sorgt. Hinter der Fassade des feingeistigen Edel-Gastronomen verbirgt sich ein Statthalter der kalabresischen Mafia. Seit langem möchten Schwarz und Zanchetti diesen Dunkelmann zur Strecke bringen. Da gab es ein fortgesetztes Katz-und-Maus-Spiel, das freilich viel gewitzter, pfiffiger und spannender hätte ausfallen können. Immer verhielt sich Rossi geschickt genug und trat nie persönlich in Zusammenhang mit irgendwelchen Verbrechen in Erscheinung. Regelmäßig wurde er verdächtigt, nicht selten war er tatsächlich unschuldig. Das ändert sich mit dem zweiten Film des Doppels, „Falsches Spiel“. Thorsten Näter, Stamm-Regisseur der Reihe und hier auch der Autor, holt Rossi aus den schummrigen Kulissen seiner klandestinen Drahtzieherei in den Vordergrund. Die Mafiabosse im fernen Kalabrien sind mit Rossis ‚Geschäftsführung‘ nicht mehr zufrieden und schicken ihm eine Art Buchprüfer (Anatole Taubman), der ihm warnende Worte zuraunt. Die Anwesenheit dieses Kontrolleurs hat einen Autoritätsverlust des Bozener Paten zur Folge, der daraufhin ungewohnt cholerisch reagiert, der buchstäblich und in übertragenem Sinne heftig um sich prügelt und selbst zur Waffe greift.
In „Falsches Spiel“ deutet sich an, welche Qualität diese Reihe erreichen könnte. Reizvoll wäre gewesen, die mähliche Zerrüttung Rossis und seinen Machtverfall in kleinen Schritten voranzutreiben. Stattdessen kommt diese Wende vergleichsweise abrupt und will so gar nicht zu dem selbstsicheren, überlegt taktierenden Seigneur passen, den man in den vorherigen, seit 2015 ausgestrahlten Folgen kennenlernen durfte. Auch schauspielerisch geraten diese Szenen wenig subtil, der oft arg hölzerne Rossi-Darsteller Thomas Sarbacher springt übergangslos von einem Extrem ins nächste. Ähnlich überstürzt zeigt Näter, wie der von Tobias Oertel regungsarm und mit übertrieben gepresster Stimme gespielte Commissario Zanchetti aus ermittlungsstrategischen Gründen zum Spieler und Säufer wird. Er und Rossi kennen sich seit langem. Unwahrscheinlich, dass Rossi diese Finte nicht auf Anhieb durchschaut hätte.
Foto: Degeto / Hans-Joachim Pfeiffer
„Ist in Südtirol die Luft raus? Selten wirkten und agierten Verbrecher so unglaubwürdig und fahrig wie in dem auf Effekte getrimmten Fall… Der Berg ruft – nach zu vielen Abstürzen!“ (TV-Spielfilm über „Leichte Beute“)
All das ist symptomatisch für die Reihe, bei der dramaturgische Schwächen zum wiederkehrenden Merkmal geworden sind. In bald jeder Folge ist Kommissarin Sonja Schwarz, die nebenher mit Tochter (Charleen Deetz) und Mutter (Lisa Kreuzer) ein wirtschaftlich angeschlagenes Weingut betreibt, auch privat in den Kriminalfall verstrickt. Das wirkt gezwungen und künstlich und korrespondiert insofern mit den verwandtschaftlichen Verhältnissen und herbeigequälten Zufällen in der Folge „Leichte Beute“. Der Mörder in „Falsches Spiel“ gehört obendrein zu diesen vollends geistverlassenen Tätern, wie man sie unter anderem aus vielen Skandinavienkrimis kennt, die immer ungeheure Anstrengungen und manchmal auch enorme Kosten auf sich nehmen, um ihre Opfer auf möglichst umständliche Weise zu ermorden. Der hier zum Beispiel hat seine Zielperson, einen Arbeiter im Marmorbergwerk, schon hinterrücks niedergeschlagen und könnte dem Bewusstlosen nun ohne Weiteres den Garaus machen. Stattdessen startet er einen Frontlader, hebt einen tonnenschweren Marmorblock und lässt ihn auf den armen Mann niedersausen. Der Argot-Ausdruck „platt machen“ sollte hier um des Effektes willen wohl wörtlich genommen werden.
Mit solchen Dummheiten geht natürlich ein erhöhtes Entdeckungsrisiko einher wie auch die Gefahr, deutliche Spuren zu hinterlassen. Wenn man dann noch die Auflösung speziell dieses Films kennt und weiß, wer da als heimtückischer Schläger unterwegs war, das haushohe Transportgerät erklettert und durch den unterirdischen Steinbruch gelenkt haben soll, ist der Blödsinn perfekt. Natürlich werden am Ende von „Falsches Spiel“ alle Schuldigen gefasst. Zugleich baut Näter einen Cliffhanger ein, der auf den Beginn eines neuen konsekutiven Erzählstrangs hindeutet. Es wird also weiter gemordet im Schatten der Südtiroler Schroffen.