Der Bozen-Krimi – Familienehre

Chiara Schoras, Raab, Burlakov, Thieme, Klaschka, Nennstiel. An der Tradition erstickt

Foto: Degeto / Hans-Joachim Pfeiffer
Foto Tilmann P. Gangloff

Die Spannungsspitzen mögen überschaubar sein, aber der 16. „Bozen-Krimi“ (Degeto / Merfee) hat andere Qualitäten: Anton, schwuler Spross einer alteingesessenen erzkonservativen Hotelierfamilie, tritt regelmäßig als Travestiekünstlerin auf und hat ein heimliches Verhältnis mit einem Eishockeyprofi. Als der Sportstar ermordet wird und auch der Sänger einen Anschlag nur knapp überlebt, drängen sich mehrere Verdächtige geradezu auf. „Familienehre“ ist schon allein wegen des Ensembles sehenswert: Vladimir Burlakov überzeugt auch als Sänger, Thomas Thieme verkörpert den verknöcherten Patriarchen, Marita Breuer spielt die still duldende Mutter. Während frühere Episoden der Reihe oft daran gescheitert sind, das Privatleben der Kommissarin mit ihren Ermittlungen zu kombinieren, kann sich Sonja Schwarz (Chiara Schoras) diesmal ganz auf die Arbeit konzentrieren.

Eigentlich ist Vielschichtigkeit ein Qualitätsmerkmal, aber bei den „Bozen-Krimis“ ist die Verknüpfung mehrerer Handlungsebenen viel zu oft misslungen; gerade die Kombination des Privatlebens der Kommissarin mit den Ermittlungen war nicht immer überzeugend. Im 16. Fall kann sich die Kommissarin dagegen ganz auf die Arbeit konzentrieren, und das tut dem Film sichtlich gut, zumal auch die Geschichte interessant ist: Nach der Ermordung von Eishockeystar Marcel Wallner findet Sonja Schwarz (Chiara Schoras) heraus, dass der verheiratete Familienvater ein sorgsam verheimlichtes Verhältnis mit einem Mann hatte. Wallner galt als „harter Hund“, der auf dem Eis und beim Training keine Freunde kannte; wäre bekannt geworden, dass er schwul ist, hätte dies vermutlich das Ende seiner Karriere bedeutet. Bei seinem Freund sind die Rahmenbedingungen kaum besser: Anton Hofer tritt unter dem Namen Isabella regelmäßig als Sängerin in einer Bar auf. Seiner Familie gehört eines der renommiertesten Häuser am Platz. Der Vater ist ein Patriarch alter Schule: traditionsbewusst und konservativ bis in die Knochen; aus seiner Sicht ist der Sohn aus der Art geschlagen.

Der Bozen-Krimi – FamilienehreFoto: Degeto / Hans-Joachim Pfeiffer
„Capo“ Sonja Schwarz (Chiara Schoras) ermittelt diesmal, in ihrem bereits sechzehnten Fall, in Bozens Eishockeywelt.

Schon allein Vladimir Burlakov und Thomas Thieme sorgen dafür, dass „Familienehre“ sehenswert ist. Für Thieme ist die Rolle allerdings keine große Herausforderung; im Grunde genügt sein Charisma, um den Hotelier zu verkörpern. Umso bemerkenswerter sind Burlakovs Darbietungen als Isabella, wenn er den Chanson „Die blaue Katze“ von Florian Paul zum Besten gibt. Witzigerweise wirkt er mit seinem athletischen Oberkörper in den Rückblenden viel eher wie ein Leistungssportler als Felix Everding, der den Eishockeystar spielt. Als auch auf Anton ein Mordanschlag verübt wird, gerät Familie Hofer endgültig ins Visier der Ermittlungen. Zu den Verdächtigen gehört neben Antons Ex-Freund (Rafael Gareisen) auch Marcels Manager. Sebastian Glasner beteuert zwar, Marcel sei sein bester Freund gewesen, aber das hat ihn nicht daran gehindert, dessen Geld zu unterschlagen. Glasner-Darsteller Julian Weigend zählt in Krimis ohnehin automatisch zum Kreis der Verdächtigen.

„Familienehre“ ist das erste Drehbuch von Mathias Klaschka für die Südtiroler Reihe. Der Autor ist gewissermaßen sein eigenes Qualitätsmerkmal, er hat fast alle Vorlagen für die ZDF-Krimireihen „Kommissarin Heller“ und „Solo für Weiss“ geschrieben. Die Umsetzung durch Regisseur Thomas Nennstiel ist im guten Sinne routiniert, wenn auch nicht weiter aufregend; es gibt nur wenige Spannungsspitzen, und die zerren nicht gerade an den Nerven. Nennstiel hat zuletzt fürs ZDF mehrere Komödien über die „Familie Bundschuh“ gedreht. Sein erster „Bozen-Krimi“, „Mord am Penser Joch“ (2021), zeichnete sich durch optische Eleganz aus, auch diesmal ist die Kameraarbeit (Achim Hasse) sehr sorgfältig; gerade die Revierszenen, für alle Regisseure von Reihenkrimis wegen der potenziellen Eintönigkeit eine echte Herausforderung, fallen dank der Lichtgestaltung positiv aus dem Rahmen.

Der Bozen-Krimi – FamilienehreFoto: Degeto / Hans-Joachim Pfeiffer
„Der Bozen-Krimi – Familienehre“. Auch Anton Hofer hat zwei Gesichter. Der Hotelierssohn tritt regelmäßig als Sängerin in einer Bar auf. Vladimir Burlakov agiert in jeder Hinsicht überaus beeindruckend.

Ansonsten lebt „Familienehre“ jedoch von den interessanten Figuren, die zudem markant und zum Teil namhaft besetzt sind. Sehr überzeugend ist zum Beispiel Zsá Zsá Inci als Witwe, die die verschiedenen Trauerphasen von Schmerz über Verzweiflung bis Zorn im Zeitraffer durchläuft. Im Zentrum stehen jedoch die Hofers: Marita Breuer verkörpert die Frau des Patriarchen als stille Dulderin, Stefan Rudolf spielt den zweiten Sohn, der als Nachfolger des Vaters alles richtig machen will, finanziell aber mit dem Rücken zur Wand steht und deshalb zu unmoralischen, illegalen Methoden greift. Die jüngere Schwester (Antonia Breidenbach) ist die einzige in der Sippe, die ein gutes Wort für den Bruder einlegt und ihn im Krankenhaus besucht. Sophie erkennt zwar, dass die gesamte Familie an der von den Eltern vorgegebenen Tradition erstickt, aber anders als Anton fehlt ihr zumindest zunächst der Mut zur Rebellion.

Burlakov und Thieme werden im Vorspann als Gäste geführt, weil sie rein quantitativ nur Nebenfiguren verkörpern; aber sie spielen die Schlüsselrollen der Geschichte. Gerade für Burlakov dürften die Dreharbeiten sehr besonders gewesen sein. Antons Wunsch, frei leben zu können, sagt er im Pressematerial, habe er sehr gut nachvollziehen können: „weil ich genau weiß, was es bedeutet, einen wichtigen Teil seiner Persönlichkeit zu verstecken.“ Wenige Wochen nach Drehschluss des Films hat er sich bei einer Veranstaltung zum ersten Mal mit seinem Lebensgefährten gezeigt und so seine Homosexualität öffentlich gemacht.

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Reihe

ARD Degeto

Mit Chiara Schoras, Gabriel Raab, Hanspeter Müller-Drossaart, Vladimir Burlakov, Thomas Thieme, Julian Weigend, Stefan Rudolf, Zsá Zsá Inci, Marita Breuer, Antonia Breidenbach, Rafael Gareisen, Felix Everding, Lisa Kreuzer, Charleen Deetz

Kamera: Achim Hasse

Szenenbild: Jost Brand-Hübner

Kostüm: Sonja Kappl

Schnitt: Simone Sugg-Hofmann

Musik: Fabian Römer, Steffen Kaltschmid.

Soundtrack: Juanes („La Camisa Negra“)

Redaktion: Patrick Noel Simon, Katja Kirchen

Produktionsfirma: Merfee Film- und Fernsehproduktion

Produktion: Eberhard Jost

Drehbuch: Mathias Klaschka

Regie: Thomas Nennstiel

Quote: 6,95 Mio. Zuschauer (26,5% MA)

EA: 07.11.2022 10:00 Uhr | ARD-Mediathek

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