Abiturientin Laura (Henriette Schmidt) ist ein hübsches, braves Mädchen. Sie ist das einzige Kind der Königs, der Umgangston in der Familie ist liebevoll. Der große Unbekannte, in den sich die 18-jährige Laura verliebt hat, weckt die wohlwollende Neugier der Eltern. Aber dann geschieht das Unfassbare: Laura wird verhaftet, weil sie auf zwei Polizisten geschossen haben soll. Der eine stirbt sofort, der andere einige Tage später. Ihr Vater Eckhart (Jan-Gregor Kremp) ist selbst Polizist und hält es für völlig unmöglich, dass seine Tochter etwas mit diesem Verbrechen zu tun haben könnte. Doch Laura sitzt nur da und schweigt.
Was stimmte nicht in dieser Kleinfamilien-Idylle? In klug eingestreuten Rückblenden erzählt Autor-Regisseur Tom Zenker, was der Vater verdrängte, welche Veränderungen er bei seiner geliebten Tochter nicht wahrnehmen wollte. „Der blinde Fleck“ ist kein klassischer Krimi, sondern ein spannendes Familiendrama von hoher Intensität. Nicht die Ermittlungsarbeit, sondern die Konflikte hinter der unbegreiflichen Tat, die wie aus heiterem Himmel über eine intakte Mittelschichts-Familie zu kommen scheint, rücken in den Vordergrund. Die Dialoge sind knapp und präzise, oft verraten nur scheinbare Nebensächlichkeiten, dass unter der Oberfläche Misstrauen und Entfremdung wachsen. Der Film erklärt die Entwicklung Lauras nicht vollständig, es bleibt ein blinder Fleck – eine gekonnte Reflektion des Gefühls vieler Eltern, die sich die Veränderungen ihrer Kinder in der Pubertät nicht immer erklären können.
Zenker schildert das Drama aus der Sicht des Vaters, der am Ende vor der Wahl steht, die falsche Idylle zu einem schrecklichen Preis aufrechtzuerhalten oder sich das Scheitern seiner Familie einzugestehen. Kremp beweist in dieser Rolle seine ganze Klasse, auch Nina Petri überzeugt als seine Frau Marianne, die ihre Tochter und ihre Ehe mit etwas klareren Augen betrachtet. Und dann dieses düstere, brillante Ende: Henriette Schmidt, deren Figur Laura bewusst rätselhaft gehalten wird, muss alles in diesen letzten Blick legen, den sie mit Kremp wechselt. Wortlos, verlogen, bleiern, so sieht die Hölle hinter der schmucken Vorstadt-Kulisse aus. Der 1971 geborene Zenker erhielt 2007 für „Der blinde Fleck“, seinen Abschlussfilm an der Deutschen Film- und Fernsehakademie Berlin (dffb), den First Steps Award. 2009 wurde der Film außerdem mit dem Deutschen Fernsehkrimipreis ausgezeichnet. (Text-Stand: 2008)