Der 16jährige Miki Witt (Aaron Hilmer) ist zur falschen Zeit am falschen Ort und wird Augenzeuge einer nächtlichen Exekution: Ein Undercover-Beamter des LKA, der in einen arabischen Clan eingeschleust wurde, ist das Opfer. Die Täter sind der Gangsterboss Ahmed Sayed (Timur Isik) und sein Mann fürs Grobe (Cem Öztabakci). Endlich hat das LKA etwas in der Hand, um die beiden aus dem Verkehr zu ziehen – denn Miki ist bereit, gegen sie auszusagen. In Windeseile wird ein Zeugenschutzprogramm für den Jungen und seine geschiedenen Eltern (Anja Kling, Gregor Bloéb) organisiert. Sie werden ausgeflogen und auf einem Landgut in der Nähe Roms einquartiert. Um eine „Infiltration“ auszuschließen, setzt LKA-Chef Decker (Johannes Allmayer) auf ein junges Team: Die Leitung überträgt er „Novizin“ Sarah Brandt (Anna Bederke), an ihre Seite stellt er die ebenso unerfahrene Marleen Westermann (Sina Bianca Hentschel) und den lebensmüden Personenschützer Lobeck (Oliver Masucci), der demnächst in Frührente gehen wird. Nicht ganz unberechtigt sind da die Zweifel von Mikis Eltern, ob Brandt ihrer Aufgabe gewachsen ist. Diese wiederum fordert bei Decker einen Ersatz für Lobeck an: Der Mann sei ein Sicherheitsrisiko, er ist Alkoholiker und hat bei seinem letzten Einsatz sein komplettes Team verloren. Noch bevor der Ersatzbeamte vor Ort ist, stellt Sarah Brandt Lobeck frei. Und dann fällt plötzlich das Licht aus…
Foto: Degeto / Stephan Rabold
Als einen „Trip in die Finsternis“ bezeichnet Drehbuchautor Holger Karsten Schmidt („Mord in Eberswalde“ / „Gladbeck“) den Zeugenschutzprogrammthriller „Der Auftrag“. Nach der helleren Variante „Das Programm“ mit Nina Kunzendorf schickt der mehrfache Grimme-Preisträger und Experte für gehobenes Suspense-TV nun eine nicht mehr existente Familie, eine unfertige LKA-Frau und einen umso fertigeren Kollegen, den die Todessehnsucht plagt, in ein Abenteuer, das den Gesetzen des Genres folgt, das aber bekannte Situationen klug und wirkungsvoll variiert und das mit fürs öffentlich-rechtliche Fernsehen unüblichen Wendungen aufwartet. Die Muster kennt jeder – und doch ist diese Mischung aus Thriller & Tragödie, aus analytischem Blick & emotionalen Zwischentönen über 100 Minuten lang spannend. Der Plot kommt schnell zur Sache. Man spürt förmlich, was es heißt, in ein Zeugenschutzprogramm aufgenommen zu werden: Die Polizistin reißt die unwissende Mutter des Zeugen von einer Minute zur nächsten raus aus ihrem Leben. Die nächste Sequenz gibt die Erklärung: der Mord, der Augenzeuge, die Flucht vom Tatort aus der beengten Untergrundbar ins Freie. Es folgen Schüsse am Kottbusser Tor, der Junge in Panik, eine Polizistin wird tödlich getroffen, knallt blutüberströmt auf die Kühlerhaube ihres Wagens. Dann instruiert der LKA-Chef die Personenschützerin, er stimmt sie ein auf den „verschwägerten, versippten kriminellen Clan“, bevor die Polizistin die Familie auf das Kommende vorbereitet. Das alles ist perfekte Informationsvergabe – konzentriert, sich selbsterklärend, packend, physisch. Nach knapp 20 Minuten sind alle im Bilde. Auch der Zuschauer. Der „Trip in die Finsternis“ kann beginnen.
Die Gangster sind den Guten auf den Fersen. Das deuten die Filmbilder unmissverständlich an. Die Gegner werden irgendwann ihre Klingen kreuzen. Es ist nur eine Frage der Zeit. Es ist „das Ausreizen dieser Ruhe-vor-dem-Sturm-Situation“, die Regisseur Florian Baxmeyer („Harter Brocken – Die Kronzeugin“) besonderes Vergnügen bereitet hat. „Man weiß, es wird knallen, aber man weiß nicht, wann.“ Wie in zahlreichen Krimi-Thrillern von Holger Karsten Schmidt verleiht der Autor auch in „Der Auftrag“ diesem dramaturgischen Muster Western-like Züge. Ähnlich wie in Howard Hawks Western-Klassiker „Rio Bravo“ befinden sich die abgehalfterten und im Überlebenskampf unerfahrenen Hüter des Gesetzes in einem Haus, das nur bedingt Schutz bietet. Die Familie und die Polizisten sind vielmehr wie in einem Käfig gefangen. Die Terrassentür ist vergittert und verschlossen. Das ist gut – solange der Feind draußen ist. Alkoholiker Lobeck macht sich und den anderen nichts vor. Eine Garantie, dass alle lebend zurückkommen werden von dieser Reise, will er dem Zeugen nicht geben. Nur in einem ist sich der Mann ganz sicher: „Ich kann dir garantieren, dass du nach mir stirbst.“ Spätestens an dieser Stelle denkt man als Zuschauer über die Frage nach, die sich bei Thrillern dieser Art immer stellt: Wer überlebt? Wer wird vom Autor geopfert? Und sind diese Opfer dramaturgische Konvention oder geben sie der Geschichte vielleicht einen tieferen Sinn.
Foto: Degeto / Stephan Rabold
„Ich hab‘ noch viel vor“, sagt der Vater der Polizistin. Als Zuschauer muss man bezweifeln, dass dieser Mann noch viel vorhaben wird. In Schmidts dichten, oft kompromisslosen Drehbüchern gibt es weder Verlegenheitsszenen noch Figuren, die nur schmückendes Beiwerk sind: Und so kann man sich als Zuschauer früh denken, welches Schicksal dem alten Herrn (eine Gast-Rolle für Michael Mendl) wohl bevorstehen dürfte. Bei aller Liebe zum Bigger than Life überlässt der Autor die kriminalistischen Grundlagen seiner Geschichten nicht der Phantasie. „Die Mechanismen und der Ablauf der gesamten Zeugenschutzmaßnahme sind realistisch“, betont er im Presseheft-Interview. Das Einzige was allerdings sehr lange ausgeblendet bleibt, ist die Frage, was mit der Familie nach der Aussage des Sohnes passiert. Selbst die von Anja Kling gespielte Löwenmutter macht sich über alles Gedanken; diesen entscheidenden Aspekt ihres (künftigen) Lebens allerdings spricht sie nicht an. Das Zeugenschutzthema hat Holger Karsten Schmidt im Übrigen schon mal auf ganz andere Art und Weise in einem Thriller behandelt: Im Grimme-Preis-gekrönten „Mörder auf Amrum“ muss ein von Hinnerk Schönemann verkörperter Dorfpolizist eine Zeugin beschützen, nachdem von den professionellen Personenschützern keiner mehr am Leben ist.
Dem Sog der Geschichte entspricht auch der Sog, der durch die Inszenierung entsteht. Florian Baxmeyer (16 „Tatorte“ in zwölf Jahren), Kamerafrau Eva Katharina Bühler und Cutterin Friederike Weymar finden für jede Extremsituation die passende Bildsprache. Fein akzentuiert ist die Augenzeugensituation aufgelöst, rasant und schnittig geht es indes am Kottbusser Tor zu. Die Erschießungsszene der Polizistin im Herzen von Berlin Kreuzberg habe man, so der Regisseur, „dokumentarisch gedreht“ – sprich: mit realistischem Treiben am Kotti. Und später in Italien gibt es eine Vielzahl intensiver Gesprächsszenen, mal emotional, mal lakonisch, mal nachdenklich stimmend, in denen die Figuren emotional unterfüttert und die Beziehungsnetze zunehmend dichter gespannt werden. Und dann kommt das große Ballern… Das Timing ist insgesamt vorzüglich. Das liegt auch an den überzeugenden Schauspielern. Anja Kling und Gregor Bloéb spielen punktgenau. Auch der junge Aaron Hilmer macht seine Sache gut. Die Gesichter des Films aber sind Anna Bederke und Oliver Masucci. Sie agiert nach dem Motto Wenn die Augen Geschichten erzählen: Ihre Polizistin ist überfordert, unsicher, verzweifelt. Und er verkörpert seinen Lobeck als einen am Abgrund taumelnden Trinker. Umso klarer sind dessen Worte: „Ich hab‘ schon mein ganzes Leben getrunken … Ich bin zu feige, um mir das Leben zu nehmen … Ich bin besser wenn ich meinen Pegel hab‘.“ (Text-Stand: 7.3.2019)