Es sollte langsam eine Frage der Ehre werden, auf einen derartigen Einstiegsköder zu verzichten, aber in diesem Fall lässt sich der Cliffhanger gleich zu Beginn rechtfertigen, denn er enthält eine entscheidende Information: Katja lebt. Eine zweite Frage beantwortet der Prolog, dem eine halbstündige Rückblende folgt, jedoch nicht: Lebt sie womöglich nur deshalb noch, weil sie einen Mord begangen hat? Der Auftakt zum ersten „Amsterdam-Krimi“ ist die perfekte Einstimmung für einen Hochglanz-Thriller, mit dem die ARD-Tochter Degeto ihre Auslandskrimis um ein besonderes Kapitel ergänzt. Der Film beginnt mit einer Szene auf dem Bahnhof von Amsterdam: Eine Frau wird von der Polizei verfolgt, ein Mann verschafft ihr den nötigen Vorsprung, indem er in die Luft schießt. Dann beginnt die Rückblende, und der Thriller wandelt sich vorübergehend zur Romanze: Der Mann (Hannes Jaenicke) und die Frau (Alice Dwyer) erzählen sich gegenseitig, was sie am anderen stört, und versichern sich, dass sie das jeden Tag erleben möchten. Nach und nach stellt sich raus: Beide arbeiten fürs LKA Düsseldorf. Alex Pollack ist Katjas Chef und hat sie als verdeckte Ermittlerin auf den deutschen Drogenhändler Fischer (Sascha Alexander Gersak) angesetzt, der von Amsterdam aus operiert. Sie will aussteigen, weil sie dem Gangster mittlerweile viel zu nahe gekommen ist. Als Alex einige Wochen lang nichts von ihr hört, selbst nach Amsterdam reist und auf Fischers Hausboot sowie in seiner Wohnung mehrere Wanzen anbringt, muss er sich anhören, wie nah „viel zu nah“ ist. Eine der Wanzen steckt in Katjas neuem Kleid. Auf diese Weise wird er Ohrenzeuge, wie Fischer einen Verräter beseitigen lässt; und natürlich nimmt er an, dass seine Geliebte erschossen worden ist. Da der Film den Prolog zu diesem Zeitpunkt noch nicht eingeholt hat, ist der Zuschauer dem Ermittler einen Schritt voraus: Er weiß, dass Katja keineswegs tot ist. Trotzdem ist es ziemlich spannend, wie Alex nun versucht, die Ereignisse mithilfe seiner Aufnahme zu rekonstruieren; eine Art Hommage an Brian de Palmas Thriller „Blow Out – Der Tod löscht alle Spuren“ (1981), der wiederum eine Verbeugung vor dem Klassiker „Blow Up“ war. Alex entdeckt auf diese Weise tatsächlich den Tatort und sieht förmlich vor sich, wie Katja erschossen worden ist. Erst später stellt sich heraus, dass die Hinrichtung nicht ihr, sondern einem verdeckten Ermittler der holländischen Polizei galt.
Im Film bietet sich diese Geschichte allerdings viel verzwickter dar, weil der Österreicher Peter Koller (sein erstes Drehbuch für einen deutschen Fernsehfilm entstand nach einer Vorlage von Rebecca Mahnkopf und Klaus Pieber) die Details erst nach und nach preisgibt. Das führt zu einer gewissen Grundspannung, die Michael Kreindl, der für die Degeto auch die „Kroatien-Krimis“ inszeniert hat, durch bewährte Handlungselemente erhöht: Alex bringt die Abhörgeräte an, Fischer kommt heim, nimmt wahr, dass irgendwas nicht stimmt, ahnt, wo sich der ungebetene Gast versteckt haben könnte, und zieht seine Pistole – eine einfache, aber dank Musik und Schnitt äußerst wirkungsvolle Methode. Später erzielen Buch und Regie einen ähnlichen Effekt, als Alex in die Höhle des Löwen muss, um die Wanze aus Katjas Kleid zu entfernen: Die Gangster treffen sich im Rahmen eines Empfangs zum Hinterzimmergespräch, bei dem jeder Teilnehmer mit einem Metalldetektor untersucht wird. Als Alex im Bahnhof verhaftet wird, braucht sein einheimischer Kollege de Groot (Fedja van Huêt) – kein „käserollender Hampelmann in lustig bemalten Holzschuhen“, wie er versichert – nicht lange, um herauszufinden, wer ihm da ins Netz gegangen ist. Der Holländer hat eine persönliche Rechnung mit Fischer offen und ist schon lange hinter dem Drogenhändler her; der Mann, dessen Ermordung Alex akustisch beigewohnt hat, war sein verdeckter Ermittler. Nachdem die beiden Männer die obligaten Unfreundlichkeiten ausgetauscht haben, beschließen sie, Fischer und seinen Kompagnon, einen angesehenen Investor namens Koning (Raymond Thiry), der Kontakte in die höchsten Kreise genießt, gemeinsam zu jagen. Tatsächlich tun die Verbrecher ihnen den Gefallen und finden sich samt ihren Kunden am Containerhafen ein, um eine große Lieferung in Empfang zu nehmen; aber die Gangster sind auch nicht blöd.
Neben den ausnahmslos ausgezeichneten darstellerischen Leistungen – das gilt ausdrücklich auch für die Niederländer – macht gerade die Bildgestaltung den „Amsterdam-Krimi“ zu einem besonderen Film. Anton Klima und Namche Okon lassen die Bilder sehr aufwändig wirken, und das bezieht sich nicht nur, aber auch auf die Ereignisse vor seiner Kamera; bei einem Kinofilm sagen Produzenten in solchen Fällen gern, dass ein Regisseur die Produktionskosten auch auf die Leinwand gebracht hat. Darüber hinaus zeichnen sich die kühlen Aufnahmen, von Andreas Helmle mit guter Thriller-Musik im Stil von Klaus Schulze unterlegt, durch eine eindrucksvolle optische Hochwertigkeit aus. Die Auswahl der Schauplätze, unter anderem das Rijksmuseum, tut ein Übriges. Die Bahnhofsszene war logistisch sicher nicht einfach zu realisieren; viele Szenen sind zudem in Straßen und Grachten entstanden. Trotzdem lebt auch dieser inhaltlich enorm dichte erste Teil, „Tod in der Prinzengracht“, von den Figuren und ihren Darstellern. Hannes Jaenicke und Alice Dwyer sind eine hochinteressante Kombination, weil er seine Rollen stets mit großer Präsenz und viel Energie versieht, während sie sich gern betont kühl, kontrolliert und emotionsarm gibt. Das passt perfekt: hier Alex, der kotzen muss, als er belauscht, wie seine Geliebte Fischers Heiratsantrag annimmt, dort Katja, von der er bis zum Schluss nicht weiß, ob sie eine Mörderin ist. Sascha Alexander Gersak, beängstigend gut als Entführer Rösner in „Gladbeck“, ist als unfreiwilliger Dritter im Bunde eine ausgezeichnete Ergänzung. Dazu eine Geschichte, deren Sorgfalt im Detail – genial: ein Fotoautomat als toter Briefkasten – in der Regel nur von Romanverfilmungen erreicht wird: Die Degeto hat mit dem „Amsterdam-Krimi“ einen neuen Maßstab für die Donnerstagsreihen gesetzt. Einziger Wermutstropfen ist die sprachliche Ebene: Weil inklusive der Nachrichtensprecher alle deutsch reden, ist es etwas seltsam, dass die meisten Niederländer einen hörbaren holländischen Akzent haben. Andererseits klingen sie auf diese Weise natürlich; Synchron-Stimmen wirken gerade im direkten Vergleich zu deutschen Schauspielern oft lebensfremd.
Der zweite Film, „Auferstanden von den Toten“, ist eine direkte Fortsetzung und beginnt auch mit einer Zusammenfassung der bisherigen Ereignisse. Regie führt nun Peter Ladkani. Am aufwändigen Look ändert sich nichts, aber die Handschrift ist anders; die Kameraführung ist etwas unruhiger, die atmosphärischen Zwischenschnitte betonen Amsterdams Status als Metropole. Auch der Kontrahent wechselt: Nach dem Finale von Teil eins liegt Fischer im Koma und spielt keine aktive Rolle mehr. Gegenspieler der Polizisten ist jetzt Koning. Er lässt seine Verbindungen spielen, um den Fall nach der Explosion eines Schiffes, auf dem vor der Küste die Designerdrogen hergestellt worden sind, für beendet zu erklären. De Groot soll sich stattdessen um das rätselhafte Ableben einer Studentin kümmern, die nach dem blödsinnigen Aufnahmeritual einer Studentenverbindung tot in einer Gasse gefunden worden ist. Doch die Ermittler haben, wie Alex hintersinnig feststellt, mehr Glück als Verstand: Auf dem Telefon der jungen Frau finden sie den Anruf eines Mannes, der die Explosion überlebt hat. Derweil hat Katja, die schon zuvor Fischers rechte Hand war, endgültig dessen Geschäfte übernommen. Sollte er aus dem Koma erwachen, wäre das ihr sicherer Tod; in ihr altes Leben kann sie im Grunde nur über die Leichen von Fischer und Koning zurück. „Auferstanden von den Toten“ bietet nicht mehr ganz so viel Nervenkitzel, zumal nun auch deutlich mehr erklärt werden muss. Dafür ist die Spannung jetzt hintergründiger: Weil ein Maulwurf Koning über alle Schritte der Polizei informiert, kann de Groot seinen eigenen Leuten nicht mehr trauen; und Alex hat keine Ahnung, ob Katja ihn noch liebt, ganz zu schweigen von der nach wie vor ungeklärten Frage, ob sie eine Mörderin ist. Erneut zahlt sich aus, wie gut die niederländischen Schauspieler ausgewählt worden sind. Die auch physiognomisch sehr markanten Darsteller von de Groots Team erinnern an die hartgesottenen Großstadtbullen aus französischen Thrillern, und Raymond Thiry ist noch eindrucksvoller als Gersak, weil der seinen Gangster mit durchaus sympathischen Zügen versehen hat; Koning dagegen ist ein Antagonist von klirrender Kälte. Wie Kreindl, so durfte auch Ladkani an einen einigen beeindruckenden Schauplätzen drehen. Der Regisseur hat seine Spuren im deutschen Fernsehen vor allem mit „Medcrimes“ (2013) hinterlassen, dem Pilotfilm zu einer nie realisierten RTL-Serie; er beendet die Thriller-Ebene mit einem angemessenen Finale, als sich alle Beteiligten in den Katakomben einer Kathedrale einfinden. Der Film schließt wie einst „Casablanca“ mit dem Beginn einer wunderbaren Freundschaft und ebnet so den Weg für etwaige Fortsetzungen. (Text-Stand: 30.10.2018)