Die Prophezeiung: „Du wirst leiden, dich dafür hassen, dass du mich verlassen hast.“
Malu (Josefine Preuß) zweifelt an ihrem Verstand. Lange hat sich die Ärztin, die erst seit kurzem wieder in Berlin lebt, nicht mehr so wohl und sicher bei einem Mann gefühlt wie bei Hannes (Vladimir Burlakov): charmant, attraktiv, fürsorglich, romantisch und auch sexuell auf ihrer Wellenlänge – ein idealer Partner also. Dann aber wächst die Irritation über diesen Mann. Tagelang taucht er ab, ist nicht zu erreichen, dann wieder drängt er sich auf und blamiert sie vor ihrem Chef. „Er weiß genau, welche Knöpfe er drücken muss“, erkennt Malu. Und weil es ihr immer schlechter geht mit diesem vermeintlichen Traummann, macht sie – auch auf Anraten ihrer besten und einzigen Freundin (Anna Blomeier) – Schluss mit ihm. Doch das ist noch lange nicht das Ende ihrer „Beziehung“. Hannes will die Kontrolle über das Leben dieser Frau, die es gewagt hat, sich von ihm zu trennen. Und er prophezeit: „Du wirst leiden, dich dafür hassen, dass du mich verlassen hast. Ich bin das Beste, was dir je passiert ist. Du wirst nie wieder alleine sein.“ Sein Plan ist es offensichtlich nicht nur, sie zu verfolgen und von ihrer Umwelt zu isolieren – dieser sadistische Kontrollfreak will Malu demütigen, er will ihren Willen brechen, indem er sie, das Opfer, nach außen hin zum Täter macht. Und so bekommt das Ermittlungsverfahren nicht er, sondern sie an den Hals. Die Polizei ist machtlos bei diesem Stalker-Profi, der noch mit einer anderen (Victoria Chilap) sein perfides Spiel treibt.
Foto: Sat 1 / Gordon Mühle
Nach allen Regeln der Genrekunst wird die Heldin in Angst & Schrecken versetzt
„Dein Leben gehört mir“ erzählt von einer jungen Frau, die ein Mann seelisch zu zerstören versucht: Sie verliert jede Sicherheit, sie verliert ihre Zuversicht, ihre Nerven, ihren Job, und sie wird mehr und mehr ihrer eigenen Selbstwahrnehmung beraubt. Dass es für die Heldin dieses Sat-1-Fernsehfilms nicht so ausgeht wie von ihrem sadistischen Verfolger beabsichtigt, das liegt vor allem auch am Genre. Mag die Autorin Kristin Derfler („Es ist nicht vorbei“, „Brüder“) das Phänomen „Stalking“ auch sehr genau recherchiert haben und mögen vielleicht auch ein paar Zuschauer in diesen 90 Minuten sensibilisiert werden für das Thema, so ist doch der Film von Jochen Alexander Freydank („Der Usedom-Krimi“) in erster Linie ein kapitaler Thriller, der nach allen Regeln der Genrekunst die Heldin in Angst und Schrecken versetzt und den Zuschauer dabei mitfiebern lässt. Dramaturgisch hält sich Derfler vielleicht etwas zu strikt an die Drei-Akt-Form: In den ersten 30 Minuten wird zunächst das Glück der Hauptfigur zelebriert, die von diesem Mann anfangs verwöhnt, dann immer seltsamer behandelt wird, bis sie die Beziehung beendet. Im Mittelteil gibt der Täter die Spielregeln vor und zieht die Frau hinein in sein krankes System, bis sie im Schlussdrittel zum Angriff übergeht, etwas blauäugig zwar, aber mit ein bisschen Cleverness und unter freundlicher Mithilfe der Autorin geht sie am Ende erwartungsgemäß als Sieger vom Hochhausdach. Also war der Selbstverteidigungskurs, der vorher lakonisch in die Handlung eingebaut wurde, am Ende doch noch zu etwas gut.
Foto: Sat 1 / Gordon Mühle
STALKING. „Die Fachleute differenzieren zwischen 4 Prototypen: Am meisten verbreitet ist das „Ex-Partner-Stalking“. Zweitens aber auch die Belästigung aufgrund von einseitiger Verliebtheit. Diese sogenannten „Erotomanics“ hegen die durch nichts zu erschütternde Überzeugung, von einem anderen geliebt zu werden, obwohl hierfür keinerlei Anhaltspunkte existieren oder sogar der Kontakt längst abgebrochen wurde. Die härteren und gefährlicheren Varianten sind der Typ drei, das „wahnhaft fixierte Stalking“ und der Typ vier, das „sadistische Stalking“. Letzteren geht es darum, alle Macht und Kontrolle über das Opfer zu gewinnen, häufig werden auch Familienmitglieder und Freunde des Opfers mit einbezogen. Anfänglich zeigt sich der sadistische Stalker freundlich und seine Aktivitäten können kaum von denen des „Verliebten Belästigers“ unterschieden werden. Aber im Gegensatz zu Typ zwei ist das Handeln des sadistischen Stalkers auf ein negatives Ziel ausgerichtet. Er will sein Opfer pausenlos beunruhigen, aus der Fassung bringen und Leben und Seele zerstören.“ (Autorin Kristin Derfler)
Die Wirkungsmacht des Genres ist ungebrochen – und diese Malu kein Mäuschen…
„Dein Leben gehört mir“ erfindet erwartungsgemäß den (Psycho-)Thriller nicht neu. Jede narrative Wendung bedient das altbekannte Muster. Die Wirkungsmacht dieses Genres ist allerdings ungebrochen. Und das, obwohl der Bedrohungsdramaturgie Grenzen gesetzt sind: Eine solche im relativ „realistischen“ Raum angesiedelte Geschichte lässt sich nun mal nicht endlos steigern, im Gegensatz etwa zu künstlich reduzierten Szenarien. Eine gute Drehbuchidee ist die Ausweitung auf eine dritte Person, eine andere Frau, die „Hannes“ mit seinem Sadismus bearbeitet. Diese Nicole lässt sich alles gefallen, ist willenlos, wirkt bis in die kleinste Bewegung ihres Körpers hinein wie ein fremdbestimmtes Wesen. Die richtige Entscheidung war es natürlich auch, eine intelligente junge Frau, die als Ärztin mitten im Leben steht und eine gewisse Menschenkenntnis mitbringt, zur Heldin zu machen. So dauert es, bis sie „klein“ gemacht ist, länger als bei einem „Mäuschen“, das sich ohne Widerrede auf das krankhafte Katz-und-Maus-Spiel einlässt. Ohnmacht, Selbstzweifel und Scham sind bei Malu dafür umso größer, und auch die Gegenreaktion kann man dieser Frau eher abnehmen als beispielsweise einer wie Nicole. Im Sat-1-Interview führt Autorin Derfler noch einen weiteren Grund an, weshalb sie kein geborenes Opfer zur weiblichen Hauptfigur gemacht hat: Eine solche Frau hätte diesen Mann durchschauen müssen, nimmt man an. „Dennoch begegnet sie, entgegen ihrer ersten Wahrnehmung, nicht ihrem Traummann, sondern einem Stalker.“ Derfler wollte damit betonen, „dass absolut jeder von Stalking betroffen sein kann“.
Foto: Sat 1 / Gordon Mühle
Die Nacht, die Stadt, die Angst: ein auch filmästhetisch bemerkenswerter Thriller
Dass aus der gut recherchierten und spannend erzählten Geschichte am Ende auch ein bemerkenswerter Film geworden ist, liegt maßgeblich mit an der ästhetisch beeindruckenden Inszenierung und der stimmigen Besetzung der Hauptdarsteller. Regisseur Jochen Alexander Freydank und Kameramann Martin Schlecht finden immer wieder angenehm unprätentiöse visuelle Metaphern, in denen sich das Erzählte (oft mehr als nur) stimmungsvoll spiegelt. Die Bildsprache korrespondiert sehr direkt mit der Gefühlslage der Heldin. Da leuchten immer wieder die Lichter der Großstadt, anfangs cool und verführerisch, später kalt, ungemütlich und bedrohlich. Ins Bild gerückt werden die kahle Pracht der Plattenbauten, ungemütliche Treppenhäuser, leere Gänge, windige Häuserfluchten. Da draußen sind so viele, aber keiner kann helfen. „Wir zeigen Berlin als eine anonyme Großstadt, in der man sich trotzdem nicht verstecken kann“, so Freydank. Besonders eindrucksvoll sind Momente, in denen der Stand der emotionalen Dinge auf ein Bild gebracht wird: Da sehen wir in der Phase der ersten Irritation im Vordergrund die Heldin, wie sie vergeblich versucht, den Mann ihrer Träume am Handy zu erreichen; der aber steht ernst und etwas unheimlich hinter ihr, zwischen beiden nur eine Glasscheibe, und er gibt sich nicht zu erkennen: eine atmosphärische Vorausdeutung auf das folgende Machtspiel. Gelegentlich arbeitet Schlecht mit den im Thriller so beliebten engen Perspektiven. Dabei taucht gerade in diesen Einstellungen der „Böse“ aber gar nicht auf (wir sind hier ja nicht in einem Serienkiller-Thriller, sondern eher in einem Thriller-Drama). Eher schon liegt Stalker „Hannes“ – wenn man es nicht unbedingt erwartet – im oder auch schon mal unterm Bett. Die Cadrage ist in „Dein Leben gehört mir“ mehr narrativer Spiegel als ein Raum der Effekte. Am Ende des ersten Akts sehen wir Malu mit Freundin in ihrer Wohnung; die Kamera ist weit weg von ihnen postiert, Dreiviertel des Bildes ist schwarz. Die immer deutlicher werdende Bedrohung findet hier eine bildliche Entsprechung: auch das ein düsterer Vorausblick auf noch düsterere Zeiten. Und die Besetzung? Mit der lässt sich die Dialektik der Geschichte vorzüglich erzählen. Vladimir Burlakov funktioniert als sensibler Liebhaber ebenso gut wie als Psychoterrorist, und die zierliche Josefine Preuß, die vor allem in der nuancierten Darstellung ihrer Angst überzeugt, hat – je weniger ihre Figur eine Chance gegen das Monster besitzt – die Sympathien umso mehr auf ihrer Seite. (Text-Stand: 17.3.2019)